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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 116-128 (2. Oktober - 30. Oktober)
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Donnerstag und Samstag.

Donnerstag den 18. October

0 kr. ohne Träger-
Jns.-Geb. 2 !r. d.Z.

* Zur Lage.
ii.
Unsere Leser erinnern sich von neulich, daß der Pfälzer !
Bote einen Artikel brachte, der die Ueberschrift: „Die Christen
in der Türkei" führte. In diesem Aussatz waren die Bedrückun-
gen der Christen geschildert und in Beziehung auf die jetzige
Bewegung auf den griechischen Inseln die Hoffnung ausgespro-
chen, daß in Bälde die türkische Wirthschaft für immer aus
Europa verschwinden möge. Indem wir nun vollkommen die
wohlgemeinte Absicht der in dem Artikel niedergelegten christli-
chen Anschauungen und Hoffnungen Zu würdigen wissen, können
wir doch aus politischen Gründen uns mit dem dort Gesagten
keineswegs befreunden und wollen deßhalb mit einigen Worten
unfern entgegengesetzten Standpunkt geltend machen.
In dem Bestand oder dem Untergang der europäischen
Türker kreuzen sich die verschiedensten Interessen der Nationen.
Rußland vor allem hat eine ungeheure, Europa und Asien zu-
gleich bedrohende Zukunft vor sich, wenn es bei dem Zusam-
menbrechen des osmanischen Reiches die große Erbschaft anzu-
treten vermag. Es hat sich deßhalb jetzt mit Amerika verbün-
det, das ein natürliches Interesse hat, England und dem fran-
zösischen Cäsarismus, der die Freiheit jenseits des Oceans zu
bedrohen sich vermaß, überall hemmend in den Weg zu treten.
Von Amerika und Rußland ist denn auch der Aufstand der
Candioten angeschürt, von diesen beiden Reichen die ganze
Gährung in der Türkei aufs Eifrigste genährt worden. Jnoi-
rect werden diese Bestrebungen der beioen mächtigen Verbünde-
ten durch Preußen gefördert, das den alten Rivalen Sesterreich
nicht blos aus Italien und Deutschland hinausgedrängt hat,
sondern ihm nun auch noch an der untern Douau den Weg
verlegen und ihm die letzte Möglichkeit eines nochmaligen gro-
ßen Aufschwunges durch thatkräftiges Eingreifen in die Dinge
des Orients verschließen möchte, weil Graf Bismarck Zum völ-
ligen Untergang des Kaiserreichs mit Wälschen, Magyaren,
Slowaken, Serben und Wallachen auf Leben und Tod verschwo-
ren ist. Aus diesem Grunde wurde auch ein Mitglied des preu-
ßischen Königshauses zum Fürsten von Rumänien ernannt, der
die Aufgabe haben soll, un Dienste Preußens und Rußlands
die ringsum liegenden Völker österreichischen wie türkischen An-
teils aufzuregen und in dem zweiten Kampfe mit dem Kaiser-
staate die Absichten Preußens von Südwesten her mit Waffen-
macht zu unterstützen.

So stehen sich denn im Augenblick die Großmächte bereits
entschieden feindselig im Orient gegenüber: auf der einen Seite
England und Frankreich als Gegner der russischen Annexions-
politik, denen Oesterreich, sobald es sich etwas erholt hat, mit
Sicherheit beitreten wird, — Rußland und Amerika dagegen
auf der andern Seite, ersteres, um ein neues großes Reich sich
anzufügen, letzteres, um an der Demüthigung seiner Feinde
— England und Frankreich — sich zu beiheiligen. Preußen
wird sich auf die Seite schlagen, wo es sicher ist, Oesterreich
nicht zu finden, d. h. es wird seine ganze Politik von seinem
Haß gegen Oesterreich abhängig machen und also auf Seiten
Rußlands zu treffen sein. Bemerkenswerth ist bei dieser Gele-
genheit hauptsächlich noch, wie wenig Geltung das Nationali-
tätsprincip in Wahrheit zu haben pflegt, wenn man sieht, wie
der Ritter desselben, Napoleon, gegen die Selbstständigkeit der
Griechen auf türkischer Seite Partei ergreift, weil es sein und
Frankreichs Interesse ist!
Aber auch im Interesse der Humanität und eines wahren
Christenthums sind wir nicht im Stande, den Umwälzungen im
Orient das Wort zu reden. Es ist wahr, der Türke ist oft
roh; brutal, intolerant u. s. w., allein immerhin wird man ihm
in den meisten Fällen einen gewissen ritterlichen Sinn, Evel-
muth und Ehrlichkeit nicht absprechen können. Was sind da-
gegen die sich so nennenden Griechen — denn vom alten Grie-
chenblut haben sie keinen Tropfen in ihren Adern — und der
übrige Mischmasch von Völkerschaften fstr Leute? Im Orient
sagt man nicht mit Unrecht: ein Grieche überlistet einen Juden
im Handel, und ein Armenier überlistet den Griechen und
Juden zugleich. Darüber kann kein Zweifel sein: die kaum
den Namen verdienenden Christen in der Türkei sind ein über-
aus schlaues, schachersüchtiges, raubgieriges und widerlich fal-
sches Volk, das denn auch nur zu häufig von den Türken mit
der gebührenden Verachtung behandelt wird.
Es war ein ungeheurer Mißgriff, jene griechische Schöpfung
der großmächtlichen Diplomatie. Metternich allein hatte damals
nichts von der Herstellung des sog. Griechenlandes mit Recht
wissen wollen. Wenn die Christen in der Türkei heute ein
selbstständiges Reich gründen, so würden sie morgen schon ohne
Zweifel die nämlichen Zustände haben, wie sie im modernen
Hellas seit Jahrzehnten sich gestaltet haben; müßten sie aber
gar russisch werden, so könnte die Sehnsucht nach den ägypti-
schen Fleischtöpfen der alten morschen, aus Schwäche viel Spiel-
raum gewährenden Türkei keine drei Tage ausbleiben.

^rpe, zweite und dritte Llede.
Eine Erzählung von Wilhelm Fischer.
(Köln. Ztg.)
(Fortsetzung.)
Ich hab' absichtlich gezögert; es kommt mir hart an — nun rasch da-
rüber weg! Du weißt schon, daß ich in fidele Gesellschast gerathen war;
ich kam zuweilen sehr spät oder sehr srüh nach Hause, sintemalen ja um
Mitternacht immer wieder ein neuer Tag beginnt, und stand natürlich i
anderen Morgens um so später auf. So hatte ich denn vor nunmehr !
fünf Wochen einmal gegen halb Elf geschellt und hörte schon, wie man
mir im Wohnzimmer das Frühstück zurecht setzte; ich war angezogen und !
wusch mir eben den matten Kopf mit etwas Kölnischem Wasser, als ein >
lauter Schrei mich plötzlich nach vorn rief. Bertha stand vor dem offenen
Bauer und hielt das kleine, todte Vögelchen in der Hand! Die Scham-
röthe stieg mir ins Gesicht: ich hatte es in den letzten Tagen ganz vergessen.
Schämen Sie sich , rief das zornige Mädchen, und jetzt war der graue
Schleier zerrissen, ihr dunkles Auge flammte, ihre Wange glühte und ihr
Busen wogte in leidenschaftlicher Bewegung; schämen Sie sich, ein unschuldi- >
ges Thier einsperren, ist grausam genug, aber es unbarmherzig, mit kanni-
balischer Gleichgültigkeit verschmachten lassen....
Ich war aufrichtig betrübt über den Vorfall und sagte dies, glaub'
ich, auch. Hätte ich darauf nur geschwiegen! Aber in dem unglückseligen
Bestreben, allen Ernst aus dem Leben zu verbannen und scherzend über
das führende wegzugleiten, fügte ich mit erkünsteltem Lächeln' hinzu: Ich
hab eben die letzten Tage hindurch etwas zu viel getrunken und in Folge
dessen mem armes Vögelchen etwas zu wenig.
Aber da hättest du sie sehen sollen, Orest! Sie schleuderte mir einen
Blick zu, der mein Rückenmark erschauern und mich die dumme Aeußeruna
sofort bereuen ließ. -

Pfui, rief sie darauf, nicht zufrieden, Ihrer Eltern Hoffnung und
Ihre Zukunft im Weine zu ersäufen (ja Orest, ersäufen sagte sie!) in
später Nacht als willenlose Masse nach Hause zu taumeln und die herrlichen
Tage zu verschlafen und zu verdämmmern, ersticken Sie jetzt noch den Rest
besseren Gefühls in rohem, erbärmlichem Scherz! Pfui, Herr Referendar,
das hätte ich von Ihnen nicht erwartet!
Die Vorwürfe trafen mich, bei aller Uebertriebenheit, und deßhalb
verkehrte sich meine Beschämung, wie ich mit Freuden spürte, in Zorn gegen
Bertha: in diesem Augenblicke haßte ich sie und hätte sie schütteln und
schlagen können, so wüthend war ich. Aber ich bezwang mich; sie war zu
weit gegangen, und meinen Vortheil als Jurist verfolgend, sagte ich mit
so viel Kälte als möglich: Es ist mir zwar außerordentlich schmeichelhaft,
Fräulein, der Gegenstand Ihrer Moralpredigten zu fein, aber Sie gestatten
mir doch wohl die Bemerkung, daß ich allmählig gelernt haben muß, selbst-
ständig über meine Zeit zu verfügen. Und sollte meine Lebensweise die
Hausordnung stören....
Sie legte das todte Vögelchen behutsam auf die Commode und athmete
schwer; die Thränen schossen ihr in die schönen Augen, aber auch sie be-
zwang sich: Ich bitte um Verzeihung, daß ich mich in Dinge gemischt habe,
die mich durchaus nicht angehen — es ist gerecht, daß Sie mich zurückweisen
— ob es auch edelmüthig ist?
Und fort war sie, ehe ich antworten konnte. Verwirrt blieb ich zurück.
Mit meinem Zorne kämpfte schon ein anderes Gefühl. Ich ergriff die
kleine Leiche und schleuderte sie in blinder Wuth durchs offene Fenster bis
in den Fluß; dann wusch ich mir voll Ekel die Hände mehrmals, als wenn
Blut daran klebte, warf mich aufs Sopha und — frühstückte doch nicht.
Aufs Bureau ging ich nicht und zur Tafel auch nicht, sondern streifte
mißmuthig in den Bergen herum, aß bei einem Bauer einige Eier und
ein Stück Schinken und kehrte gegen Abend zur Stadt zurück. Zwei Ent-
schlüsse standen bei mir fest: erstens, meine jetzige Wohnung sogleich zu
verlassen, und zweitens, mich nie wieder xu betrinken. Nicht, als ob ich
 
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