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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 51-63 (1. Mai - 31. Mai)
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Bote

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Pfälzer
Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag,
Donnerstag und Samstag. f U-T-


^53.

Samstag, den 5. Mai

1866.

Sieg oder Rückzug?
H Aus dem Kraichgau, 30. April. Die Beräucherung
Lamey's hat in dem bekannten Fackelzug, von dem sich das
„Volk" nicht mehr länger zurückhalten ließ, ihren Höhepunkt ge-
funden, wie die Lobhudelei der Presse in den Ausdrücken: „volks-
tümlicher Minister, Liebling, Günstling des Volks." Ist ein-
mal die Ernüchterung zurückgekehrt, und sie kann nicht ausbleiben,
so wird man einsehen, daß der in Scene gesetzte Jubel in kei-
nem Verhältnisse stand zu der Thatsache, daß elf Abgeordnete
der 1. Kammer gegen deren acht über eine Anklage zur Tages-
ordnung übergegnngen sind, deren Berechtigung so lange als
eine unbestrittene gelten muß, als man ihr nichts entgegensetzt,
denn persönliche Entschuldigungen, persönliche Lobsprüche und
persönliche Angriffe. Freilich hat man auch in der 2. Kammer
die Gelegenheit vom Zaune gerissen, längstbekannte Sympathien
repetiren zu lassen, und auf „den Eindruck des Erstaunens, ja
der tiefsten Entrüstung" hinzuweisen, welchen die von Andlaw j
gegen Lamey erhobene Anklage überall hervorgerufen haben
soll; es ist sogar mit unaussprechlicher Naivität die Abstimmung
der acht Grundherren als ein Beweis sür die Reformbedürftig-
keit der 1. Kammer bezeichnet worden: aber all diese maßlosen,
der Person des Ministers dargebrachten Huldigungen wollen ver-
ständigen Leuten vorkommen, wie die Siegeslieder eines fast ge-
schlagenen Heeres, die Beglückwünschungen eines Feldherrn, der
durch einen klugen Einfall seiner Niederlage answich. Die
Sache ist es, die hier allein ins Spiel kommt, und die Sache,
welche der Minister vertritt, scheint denn doch nicht so grün zu
stehen. Sieht man auch ganz ab von der Andlaw'schen Anklage,
welche wohl noch eine andere Beleuchtung finden wird, als die
Pforzheimer'und Ettlinger Fackelträger sie zu bieten vermochten,
so sind jetzt schon Stimmen laut geworden, welche unsere Be-
hauptung rechtfertigen werden. „Es ist begreiflich, so läßt Hr.
Lamey selbst sich vernehmen, daß wenn man in einen tausend-
jährigen Zustand einen neuen Grundsatz eiuführt, in friedlichen
Zeiten die Menschen sich auch nicht sofort in solchen neuen
Zustand einleben; vergeblich ist daher auch das Bestreben der-
jenigen, welche meinen, das Prinzip von 1860 lasse sich un-
mittelbar nach allen Richtungen des Lebens einführen, es wer-
den hier die widerstrebenden Kräfte und Ansichten sich noch länger
entgegenstellen." Ins reine Deutsch übersetzt erscheint uns dieser
Ausspruch als das ministerielle Zugeständniß, erstens, daß man
an die Stelle des christlichen den modernen religionslosen Staat
setzen will, und zweitens, daß dies auf dem Wege einer fried-
lichen Reform sich nicht thun läßt. Was sollen wir aber von
der Neugestaltung des Staates denken, wenn die neue Aera
selbst durch ihren ersten Sprecher erklärt, daß „in friedlichen
Zeiten" sich die Menschen nicht sofort in sie einleben können?
Wir müssen denken, daß diese Neugestaltung etwas Ungesundes
sein müsse. Denn wäre sie etwas Gesundes, so würde sie von
selbst aus den Bedürfnissen des Volkes hervorgehen, und brauchte
nicht demselben im Widerspruch mit dessen tausendjährigen Sitten
und Anschauungen aufgenöthigt zu werden.
Ganz im Einklang mit diesem demüthigen Zugeständniß
scheint es uns zu stehen, wenn der den Ständen vorgelegte Ent-
wurf des Schulgesetzes von dem Lieblingsgedanken der neuen
Aera, der Communalschule ganz absieht, und die Beibehaltung
der confessionellen Schule empfiehlt. „Diese Schulen, so heißt
es wörtlich in dem Entwürfe, haben die Tradition von mehreren
Jahrhunderten für sich, sie entsprechen nach den bisher gemachten
Erfahrungen den Neigungen der Mehrheit der Bevölkerung, sie
sind mit deren Anschauung und Gewohnheiten so tief verwach-
sen, daß ihre plötzliche Beseitigung durch einen Act der gesetz-
gebenden Gewalt als eine tief eingreifende und nicht selten
schmerzende Aenderung der socialen Verhältnisse, namentlich unter
der Landbevölkerung empfunden würde. Bedeutsamer noch ist
die Rücksicht auf den idealen Gehalt und die innere

Einheit der Volksbildung, für welche die Verbin-
dung des Religions- mit dem übrigen Schulunter-
richt von der allergrößten Wichtigkeit ist." Was
werden unsere rabiaten Volksbildner dazu sagen? was die sog.
Fortschrittspartei? Werden sie nicht Herrn Lamey beschuldigen
müssen, daß er „den Neigungen der Bevölkerung und den Tra-
ditionen der Jahrhunderte" mehr Rechnung zu tragen sich an-
schicke, als sich mit der Aufrechthaltung des liberaeln Programms
verträgt? Und was denken die Ultramontanen dazu ? Sie lassen
sich mit Genugtuung von ihren Gegnern das Zugeständniß
machen, daß es eine in den Ueberlieferungen der Jahrhunderte
begründete, heilige Sache ist, für die sie kämpfen und hegen die
Hoffnung, daß man in gerechter Würdigung des wachsenden
Widerstandes von Seiten der Bevölkerung die Acte oer gesetz-
gebenden Gewalt auf dasjenige beschränken wird, was „in fried-
lichen Zeiten" ohne Gewalt und ohne Zwang und ohne Rechts-
verletzung sich einführen läßt, was mit einem Worte zum wahren
Wohl und Frieden des Volkes führt.

Baden.
* Heidelberg, 2. Mai. Triumph, Ihr Katholiken! Die
Civilehe wird voraussichtlich nicht eingeführt werden! Der Abg.
Kirsner hat als Berichterstatter über Eckhard's Motion die
Erklärung abgegeben, daß die Commission sich nicht für die Ein-
führung dieser Ehe erklären könne. Die Fortschrittspartei wird
darüber zwar sehr verstimmt sein, aber doch schließlich gute
Miene dazu machen müssen, wie sie denn überhaupt nicht viel
beißt. Uebrigens kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die
Civilehe noch im Laufe dieses Sommers eingeführt worden wäre
mit Billigung der gesammten Aerapartei — denn der Wille und
der Appetit dazu ist hier vollkommen vorhanden —, wenn Ihr
Katholiken beiderlei Geschlechts Euch nicht auf so imponirende
und energische Weise dagegen erhoben hättet. Die Zwangscivil-
ehe ist ein überwundener Standpunkt; man möchte sie gerne
durchgeführt sehen, aber man wagt dies nicht mehr! Seht
Ihr, was mit Muth und Thatkraft ausgerichtet werden kann;
also merkt Euch dies für's nächste Mal, wenn wieder etwas
Aehnliches Eure kirchlichen Anschauungen und Euer Privatge-
wissen Verletzendes aufs Tapet gebracht wird! Dann wieder:
frisch weg Petitionen und Adressen haufenweise nach Karlsruhe
geschickt und Volksversammlungen gehalten, gerade wie's unsre
Gegner von jeher mit Erfolg gemacht haben; denn man muß
vor allem von den Feinden lernen.
Diesmal aber wäre anzunehmen, daß die obligatorische
Civilehe in der I. Kammer einen beredten Gegner erhalten
hätte, der sonst nirgends auf unsrer Seite zu finden ist: Herrn
Geh. Rath Bluntschli. Dem Boten ist nämlich mitgetheilt
worden — denn er selbst liest so gelehrtes Zeug nicht —
Herr Bluntschli habe in seinem allgemeinen Staatsrecht (Mün-
chen 1852), und zwar im 5. Capitel, Nr. 3, S. 47, die aus-
drücklichen Worte geschrieben: „Die Form der Eingehung der
Ehe ist keineswegs gleichgültig, und eine Form, welche geeig-
net ist, die Innigkeit und Heiligkeit (aha!) des ehelichen Verhält-
nisses darzustellen und zum Bewußtsein zu bringen, jedenfalls einer
andern vorzuziehen, welche die Ehe lediglich als ein willkührliches
Produkt einer bloßen Uebereinkunft bezeichnet. In diesem Be-
ttacht ist die Sitte auch der modernen christlichen Völker, welche
auf kirchliche Trauung einen Werth legt, in der That besser
als die Gesetzgebung mancher neueren Staaten, welche die
Form eines gewöhnlichen Conttactes zur Regel erhebt und so
der unsittlichen und gefährlichen Vorstellung, daß die
Ehe ein blos conventionelles Verhältniß sei, Vorschub leistet."
So Herr Bluntschli d. h. der Herr Bluntschli des Jahres 1852;
wird der Herr Bluntschli vom Jahr 1866 den früheren Lügen
strafen und dessen Aussprüche für einen „Humbug" erklären?
* Heidelberg, 2. Mai. Der faktische Redakteur des Heidel-
 
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