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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 26-39 (1.März - 31. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43883#0123

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Pfalzer

Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag
Donnerstag und Samstag.



30. Samstag, den 10. Mär; 1866.

Die gläubigen Katholiken und Protestanten.
Der Artikel in Nr. 1 des ev. Kirchenbl. mit der Ueberschrift
„Ultramontane und Pietisten" gibt mir Gelegenheit, zur Erörte-
rung einer wichtigen Zeitfrage und zur Beseitigung von Be-
fürchtungen beizutragen, die unfern Gegnern ganz vortrefflich
zu Statten kommen. Vor allen Dingen sollte man die Spott-
und Schimpfnamen unserer Gegner nie zu einer Ueberschrift
gebrauchen, weil es den Schein hat, als ob wir uns diese
Prädicate selbst beilegen. Wer sind die „Ultramontanen" ? Die
gläubigen Katholiken. Wer sind die „Orthodoxen und Pietisten"?
Die gläubigen oder evangelischen Protestanten. Denn die Ortho-
doxie existirt längst nicht mehr, sie ist seit 70—80 Jahren ge-
schichtlich geworden, gehört der Schule an, und die, welche
heute noch Pietisten heißen, wollen, wie alle gläubigen Prote-
stanten, nichts anderes als einen Herzensglauben auf Grund
der Schrift und des Bekenntnisses. Wir sind evangelische Prote-
stanten oder Altprotestanten im Gegensatz der Neuprotestanten
oder Vernunstprotestanten, das Urtheil des Mannheimer Kirchen-
vertreters: „Ultramontane und Pietisten gleichen einander wie
ein Ei dem andern" stammt aus dem Aberwitz, aus dem „un-
bewußten Christenthum", das nichts vom Evangelium weiß und
alle historischen bisher klaren Begriffe verwirrt. Indem wir
darum dasselbe weiter nicht beachten, so wäre nur die Frage:
welche Gemeinschaft haben gläubige Katholiken und Protestanten
und können sie im gegenwärtigen Kampfe gegen die Auflösung
zusammenstehen? Aber wohlgemerkt, unsere Gegner, so ver-
schieden sie in ihren Gesinnungen sind, stellen keine derartigen
Vorfragen; sie handeln und lösen die Fragen sehr praktisch. Als
evangelische Protestanten haben wir mit allen gläubigen Katho-
liken einen gemeinsamen Grund, das apostolische und nicäni-
sche Bekenntniß. Dies sind bekanntlich die Bekenntnisse der
allgemeinen Christenheit. Den historischen Zusammenhang mit
denselben oder ihre Katholicität hat die evangelische Kirche nie
aufgegeben. Evangelische Protestanten bekennen sich darum mit
den gläubigen Katholiken zu dem Glauben an die Offenbarung
Gottes als Vater, Sohn und heiliger Geist, und besonders zu
dem Glauben, daß in Christo wahrhaftiges göttliches Wesen
erschienen ist. Sie haben mit einander den gleichen altkirchli-
chen Glauben der allgemeinen Christenheit. Durch die Refor-
mation find wir freilich als eine neue Kirchengenleinschaft von
den gläubigen Katholiken getrennt und haben die vornehmsten
Abweichungen in den sieben Artikeln der Augsburgischen Con-
session dargelegt; allein eben dieses Bekenntniß enthält in den
21 Artikeln den Glauben der allgemeinen Christenheit, und es
wollte darin Melanchthon die Uebereinstimmung der Evangeli-
schen mit den Hauptlehren der Katholischen nachweisen. Wir
glauben also mit ihnen an den lebendigen Gott, Schöpfer, Er-
halter und Regierer, den Sohn Gottes und seine Erlösung von
Sünde, Tod und Verdammniß, den heiligen Geist, der uns
heiligt. Wir glauben miteinander an eine Offenbarung Gottes
im alten und neuen Testament, und kein Katholik wird in Ab-
rede stellen, daß der Glaube die Liebe und jegliches gute Werk
als frucht hervorbringen muß. Obgleich wir aber als eine
besondere Kirchengemeinschaft äußerlich getrennt sind, so haben
wir mit ihnen darin eine innere Gemeinschaft. Wir dürfen
dieselbe nicht unterschätzen, denn es ist eine Gemeinschaft in
den Grnndlehren des Christenthums, und wenn wir auch fest-
halten an dem „dürch den Glauben allein und nicht durch
Werke oder eigenes Verdienst", so sagen wir doch auch, daß
der Glaube gute Werke hervortreiben muß. Wir wollen im
Cultus eine Wiederanknüpfung an die Gottesdienstordnung der
alten vornicänischen Kirche, die Wiederherstellung des Gemeinde-
gottesdienstes, welche in der neuen Agende ihren Ausdruck ge-
funden hat. In der Verfassung wollen wir den Episcopalis-
muv mit Presbyterialismus, denn ersterer schützt uns gegen
das eingerißene Haufenregiment des „unbewußten Christen-
thums". Und in dem Schulstreit, der heute noch die ganze

badische Bevölkerung in Unruhe versetzt, wie stehen wir da mit
allen gläubigen Katholiken? Wir wollen wie sie keine Tren-
nung der Schule von der Kirche. Wir wollen die Heranbildung
der Jugend in Gemeinschaft mit der confessionellen Familie
und Gemeinde auf Grund der confessionellen christlichen Volkser-
ziehung. Stimmen nun unsere Gegner auch nur in einem
Punkte mit uns überein? Sind sie nicht auch die Gegner der
gläubigen Katholiken? Es ist klar, wir haben mit diesen Ge-
meinsamkeit des Glaubens in den Grundlehren des Christen-
thums, wir haben gemeinschaftliche Interessen, wir haben ge-
meinschaftliche Gegner.
Wir müssen eben darum auch rm Kampfe gegen unsere Feinde
zusammensteyen. Lassen wir doch einmal alle engherzigen Er-
wägungen und Befürchtungen. Mag Rom einen Unterschied
machen zwischen gläubigen und ungläubigen Protestanten oder
nicht, mögen die Häupter der Katholiken den Protestantismus
billig beurtheilen oder nicht, beides haben wir jetzt nicht in
das Reine zu bringen; es handelt sich vielmehr darum, das
gemeinschaftliche Hans gegen Unterwühlung seiner
Fundamente zu sichern. Auch die Zwistigkeiten wegen
der gemischten Ehen treten gegen diesen Hauptgesichtspunkt in
weiten Hintergrund. Ohnedem ist dieser Gegenstand rechtlich
festgestellt. Lernen mir doch von unfern Gegnern! Im staat-
lichen Leben wirken Demokraten und Liberale zusammen, um
ein gemeinschaftliches Ziel zu erreichen. Im kirchlichen Kreise
gehen Rationalisten, Atheisten und Pantheisten Hand in Hand,
die „unbewußten Christen" werden zum Ja sagen zusammen-
gerufen, weil es sich um ein gemeinschaftliches Interesse handelt.
Welch' ein Unterschied ist aber zwischen Beiden! Was vereinigt
sie? das gemeinschaftliche Interesse und Ziel. Nirgends wird
mehr nach dem Grundsätze gehandelt: „der Zweck heiligt die
Mittel", als bei unsern Gegnern. Die auf die Jesuiten schelten
sind wie Wölfe gegen die Lämmer. Sie verbinden sich sogar
mit den Juden, wie die neueste Zeit gelehrt hat. Damit sind
wir nicht geneigt, unsere Gegner zum Vorbild zu nehmen, sondern
wir sollen dem Hauptgesichtspunkt nicht Bedenklichkeiten unter-
ordnen, die jetzt nicht zur Sprache kommen können, vielmehr
uns zum Nachtheil und den Gegnern zum Vortheil gereichen.
Die Letztern sehen freilich sauer zu einer Solidarität der posi-
tiven Protestanten und Katholiken. Der Professor Holtzmann
in Heidelberg hat uns vor bald einem Jahr in der Providenz-
kirche in Heidelberg in Bann gethan, weil gläubige P wtestan-
ten in den „Beobachter" schreiben. Die Landeszeitung hat uns
schon mehrmals den freundlichen Rath ertheilt, wir sollten
lieber ganz katholisch werden. Wir können aber von diesem
Rath keinen Gebrauch machen; wir bleiben in unserm Eigen-
thum, vertheidigen und schützen dasselbe und sagen: geht ihr
dahin, wohin ihr gehört — zu den Deutschkatholiken, denen
ihr, wie Scholl von Schellenberg sagt, schon längst die Hände
unter dem Tisch gereicht habt.
Dazu kommt — und wir betonen das sehr nachdrücklich
— daß der gemeinsame Kampf nicht zur Vermehrung der Macht
des einen oder andern Theils, sondern zur Wiederherstellung
des unterdrückten Rechts geführt wird, daß die gläubigen Ka-
tholiken in allen conservativen Organen laut erklären: wir
wollen gleiches Recht für Alle. Die Gegner sind sehr
schlau, sie streuen aus: Die Katholiken wollen nur Machtver-
größerung, und haben sie diese erlangt, so werden sie euch
unterdrücken. Wer in gegenwärtigem Kamps das als baare
Münze annimmt, der läßt sich lahm legen und arbeitet den
Gegnern in die Hände. Diese haben durch ihr Blendwerk schon
viel erreicht, sie haben die ev. Bevölkerung, deren Kern conser-
vativ ist, in neuester Zeit irre geleitet, daß mancher sich gegen
sein Gefühl zur Wahl eines Feindes der Kirche verleiten ließ.
Sie haben im Agendenstreit gelogen: man will euch katholisch
machen; die prot. Bevölkerung hat es geglaubt und zur Rechts-
unterdrückung und Machtvergrößerung der Gegner geholfen.
 
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