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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 40-50 (5. April - 28. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43883#0163

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40. Donnerstag, den 5. April


1866.

Nachchristliches.
Obgleich es schon lange her ist, müssen wir doch auf Nr.
6 der Beilage zum Heidelberger Journal, die uns nochmals
zufällig in die Hand gefallen ist, zurückkommen, weil sich dort
einige Skizzen aus einem Vortrage, den Professor v. Rauner
über Friedrich den Großen zu Berlin gehalten hat, vorfiuden.
In demselben erwähnt Prof. v. R. auch ein paar tadelnde
Aeußerungen, die Friedrich über die Theologen gemacht hat.
Gleichsam zu einiger Vervollständigung derselben wollen
wir hier aus einem gut geschriebenen Buche (Armuth und
Christenthum von Diaconus Dr. Merz. Stuttgart und Tübin-
gen bei Cotta, 1849) auch einige Aeußerungen desselben großen
Friedrich hersetzen. Es heißt darin z. B. S. 46: „Diesem
System der wirthschaftlichen Volksverderbung (darunter sind
nämlich verstanden: Staatskassenmaßregeln, ein furchtbar kost-
spieliger Gerichtsgang, Lotto, Spielbanken u. dgl. m.) ging die
religiöse angelegentlich zur Seite. Die Schule ward in der
unseligsten Dürftigkeit erhalten und noch dazu den armen
Gemeinden aufgebürdet; zugleich mache man sie von der Elemen-
tar- bis zur hohen Schule wesentlich zu bloßer Kopf- und
Staats-Abrichtanstalt. Die Kirche aber zu verhöhnen, mit Füßen
zu treten und wo möglich dem Volke zu verleiden, war eine
fleißige Aufgabe der Staatsgewalt und ihrer volksfeindlichen,
allem natürlichen Boden entfremdeten, kästen- und maschinen-
mäßigen Beamienherrschaft. Man weiß, wie zumal darin Friedrich
„der Große" vorangegangen ist. Die Geistlichen nannte er kaum
anders als Fasen und Cheker (Pfaffen und Schächer). Auf eine
Bitte für die armen Pfarrweisentöchter schrieb er am 24. Sept.
1783 an den Rand: „Die Priester Döchter, warum heirathen
sich die Huren nicht, wenn Sie gebrechlich seindt, So kan Man
Sie versorgen, seindt Sie gesundt, So können sie heirathen
oder arbeiten, das kommt ihrem Stande Zu." Die Verfügung
auf einen Bericht über die Besetzung der dritten theologischen
Professur zu Königsberg lautete: „Ein Teologus ist leicht zu
finden, das ist ein Thier sonder Vernunft." Die Bestimmung
(vom Jahr 1765), daß alle außer der Ehe Mutter werdenden
Personen, worunter auch von ihren Männern getrennt lebende
Ehefrauen zu verstehen, „zu keiner Strafe ferner gezogen, auch
ihnen nicht die geringsten Vorwürfe deshalb oder einige Schande
gemacht werden sollte," mußte an den 4 Bußtagen und am
Pssugfifeste öffentlich von allen Kanzeln „vor dein Segen"
abgelesen werden. Als das Consistorium zu M. einst einen
unehelich geborenen Kandidaten nicht anstellen zu können glaubte,
schrieb er: „das Consistorium seind Esel und wissen selbst nicht
ob sie ebelich geboren sind." Das Himmelfahrtsfest wurde durch
einfachen Cabinetsbefehl abgeschafft. Einer Gemeinde, die wegen
Umbau ihrer alten dunkeln Kirche bittend einkam, antwortete er:
„Selig sind die nicht sehen und doch glauben." In einem
Briese an d'Alembert erklärt er seine Kunst dahin: „Man muß
die Männer in Staatsämtern ausklären, mit vollen Händen
Hohn und Lächerlichkeit über den Aberglauben ausschütten, die
Glaubenslehren verspotten, den falschen Eifer vertilgen und so
die Gemüther auf die Bahn—der allgemeinen Duldung leiten."
Fürsten^und Schreiber befolgen überall treulich Rath und Be-
e ' von einem Duodezkönig, der bei Besetzung
von PfarrfielleiF die Namen der Kandidaten auf Zettelchen seinen
Bunden vorwarf und den ersten, der apportirt wurde, als den
Besten ernannte. Und ihre Absicht ist großentheils gelungen:
au2 der „gebildeten" Kaste ist das kirchliche Bewußtsein gründ-
lich vertilgt; aber dafür hat Fürsten und Beamtenthum, das
uch höhnisch weigert mit Armen und Kleinen vor Gott gleich zu
werden in christlicher Demuth, das Zukirchgehen für das Erb-
therl des dummen Haufens erklärt, für sich am Sonntag Mor-
gen dre Schreibstube oder den Roman und Nachmittags die
„Promenade" und Lufifahrt vorbehält, sich auch so ganz um
Herz und Liebe des Volkes gebracht, daß jetzt alle Ehrfurcht

und Ehrerbietung einerseits, aller Einfluß und alle Einwirkung
ardererseits völlig dahin ist."
Auf Seite 49 beginnt nun eine Parallele zwischen Julian
dem Apostaten und Friedrich dem Großen. Es heißt dort:
„Julian ist bis heute das leibhaftige Vorbild der neueren,
namentlich der deutschen Staatskunst. Zum Geistlichen erzogen,
fand Julian im Christenthum nur ein Gewebe spitzfindiger
Formeln und einen Gottesdienst der Sklaverei. Unsere Volks-
führer und Staatsregenten in den Fußstapfen Friedrichs des
Großen lassen sich gern das Evangelium in ein schlechtes
Sagengewebe, das Bekenntniß als ärgerliches Formelwesen, die
Schrift mit ihren goldenen Sprüchen als elenden Gedächtnißkram
von gelehrten Meistern des Zweifels zerglauben und eilen, „die
feige Religion der christlichen Hundedemuth von sich zu werfen."
Im Umgänge mit den Dichtern und Weisen der heidnischen
Vorzeit ging für Julian sein höheres Leben auf. Von unfern
Staats- und Weltweisen hat erst jüngst wieder einer erklärt,
wie wir uns müssen „am Griechenthum großnähren, damit uns
wieder der Begriff des vom Christenthum verlorenen wahrhaft
menschlichen Daseins ausgehe." Durch den kühn benützten Drang
der Umstände auf den Thron gelangt, glaubte Julian sich von
den Göllern bestimmt, die schönste Zeit des Alterthums zurück-
zuführen. Unsere durch kühnen Schwung auf Regententhron und
Rednerbühnen Emporgekommenen sehen sich endlich der glücklichen
Aufgabe gegenüber, das Volk aufzuklären, den falschen Eifer
zu vertilgen und Alles auf ihren eigenen Standpunkt zurückzu-
bringen, auf dessen Höhe sie nicht wissen, „ob es überhaupt
noch ein Standpunkt ist," das ist dann die schöne Zeit alt-
griechischer Freiheit und Gleichheit und Liebe und Lust. Julian
wollte seinem erneuerten Heidenthum alle Tugenden und Vor-
theile des Christenthums aneignen. Unsere neuen Juliane wollen
den von der Kirche befreiten Staat mit den Gütern und Stif-
tungen derselben zu einem Reiche freier Sittlichkeit, der Bruder-
liebe, der Bildung und des Wohlstandes für alle bevorrechten.
Julian entfernte die bekenntnißtreuen Christen von Staats-
ämtern, verurtheilte sie zu Wiederherstellung der heidnischen
Tempel und schloß sie von den höheren Schulen aus, anerkannte
alle Sekten und lud die Inden zu Wiederanfrichlung ihres
Heiligthums ein. In Julian des Zweiten Reich muß „ein jeder
nach feiner Fagon selig werden," müssen christliche Hochschulen
heidnische und jüdische Lehrer annehmen, dürfen „die Pietisten"
und geistlichen Orden den Wanderstab ergreifen, wird das ge-
schichtliche und biblische Christenthum von den höhern Schulen
ausgeschlossen, erhält jede Sekte den Freibrief und Unterstützung
aus der vom christlichen Volke gefüllten Staatskasse, werden die
Juden nicht blos zu allen Ehren und Würden, z. B. in die
Kammern und Gerichtshöfe, sondern auch zur Wiederaufnahme
ihrer Zeitrechnung und ihrer Sprache als einer gerichtlich
giltigen eingeladen (wie jüngst (1849) in der württembergischen
Kammer). Der alte Julian errichtete endlich Wohlthätig-
keitsanstaltcn auf heidnischem Fuße, um den Christen die Pflege
und Liebe der Armen wcgznsangen, begünstigte jedes heidnische
Unternehmen, nahm den christlichen jedes Vorrecht. Der wieder
erstandene Julian nimmt die Armen in seine Verwaltung, grün-
det Staatsanstalten, um die kirchlichen nicht benutzen zu müssen
und ihuen den Boden wegzunehmen, verbietet hier die äußere,
dort die innere Mission, hier die barmherzigen Schwestern, dort
das Hospiz auf dem Bernhard, hier den Gustav-Adolfs-Verein,
dort selbst die Mäßigkeitsgesellschaften, verweigert seine Erlaub-
niß Zu Errichtung christlicher Jünglings- und Gesellenvereine,
läßt aber die communistischen und soeialistischen „Handwerker-
vereine" weit offen, welche ausgesprochenermaßen „die untern
Stände und deren jungen Nachwuchs gegen das von den Pfaffen
verunstaltete Christenthum in Bewegung setzen wollen, zum
Sturze nicht blos des Glaubens, sondern auch der Sitten
der Väter."" Lnpisnti sat!
 
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