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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 64-76 (2. Juni - 30. Juni)
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M 64. Samstag, den 2. Juni 1866.



* Verstandes- und Gefühlspolitik.
Unter den Phrasen, welche das Gothathnm jetzt für die
Neutralität der Mittel- und Kleinstaaten zu gebrauchen für gut
findet, steht außer dem Gespenst des Ultramontanismus und der
Reaktion die Warnung obenan, das deutsche Volk dürfe sich nicht
von der „Gefühlspolitik" leiten lasten, es müsse vielmehr
die Lage des Vaterlandes mit kaltem Blute in's Auge fasten,
es müsse den Verstand statt des Herzens sprechen lassen. Zwei
weise Worte fürwahr: re8pio6 tiusiu! (blick auf den Ausgang!)
Ich glaube jedoch, daß die Politik des Verstandes mit der Politik
des Gefühles im vorliegenden zwischen Oesterreich und Preußen
obschwebenden Conflicte sich sehr wohl vereinigen läßt. Wenn
zuerst der Kopf gesprochen hat, dann darf auch das Herz
kommen, und wenn beide übereinftimmcn, dann erst gibt es
einen guten Klang und diesen guten Klang soll die deutsche Na-
tion trotz Gothathum ausrecht erhalten, ihn als Echo von den
Thronen bis in die niedrigste Hütte hineintragen.
Der erste Akt, das Prüfen durch den Verstand, das kalte
Abwägen von Recht und Unrecht, die Befragung des Gewissens
ist vorüber. Dieser Richter hat zu Ungunsten Preußens ent-
schieden. Nicht Bismarck allein, sondern auch alle jene Politiker,
welche dell „Beruf Preußens" auf ihre Fahne schrieben, sind
verurtheilt.
Und wenn nun jetzt der zweite Akt beginnt und das Herz
sich ebenfalls an diesem Nichterspruch betheiligt und laut schlägt !
für des Vaterlandes Große und Ehre, wenn es den Opfermuts,
weckt und die glühendste Hingebung für die höchsten Güter der
Nation, dann kann nur Feigheit uud Verrath in dem Bestreben,
die edelste Begeisterung zurückzudrängen, erblickt werden. Ja,
Feigheit und Verrath, Ihr Gothaer, übt Ihr, und das Loos
des unglücklichen Polens wäre bei Euren Plänen für Deutsch-
land noch zu gut.
Gott sei Dank! Die Gefühlspolitik der deutschen Nation
geht Hand in Hand mit der Verstandespolitik. Deine Wuth über
das Schmählichste, was Deutschland in Bezug auf eine Ver-
bindung mit dem Ausland, in Bezug auf Verläugnung von
Recht und in Bezug auf Beschönigung einer Vergewaltigungs-
politik je gesehen, ist gerecht, deine Begeisterung, mein Volk, das
schönste Zeichen deines moralischen Werthes! Sie sichert dir die
gebührende glänzende Stelle im Areopag der Völker, ihr muß
das Ausland Achtung zollen, das — wenn auch lüstern nach
deutschem Gebiet — sich hüten wird, den polnischen Frevel einer
Theilung zu erneuern.
Auch damals erklang der Warnungsruf vor Gefühlspolitik,
als der deutsche Reich Nag zu Regensburg auf Betreiben Preu-
ßens den Krieg gegen die französische Republik nicht mehr kräftig
sortführen wollte, er erklang in der arglistigen Bestrebung zum
Basler Frieden zu gelangen.
And hörten wir nicht gleichfalls dieselbe Sirenenstimme im
Jahre 1859 ? Auch damals sollte die Gefühlspolitik nicht auf-
kommen , um dem fchwerbedrängteu Bruderstamme gegen den
ailswärtigcu Friedensstörer Hülfe zu leisten; docy als Oesterreich
nach der Schlacht von Solferino darniederlag, da machte die
schändliche Clique plötzlich eine Schwenkung, verlangte die Fort-
setzung des Krieges und die Hülfeleistung von Preußen, und
zwar lediglich aus dem Grunde, 'weil das helfende Preußen dem
hilfsbedürftigen Oesterreich seine (und welche!) Bedingungen
hätte vorschreiben können. Wenn Oesterreich, die damalige
Hinterlist durchschauend, den Frieden schloß, so verdient es noch
heute den Dank des Gefammtvaterlandes, denn es schützte dieses
vor der eisernen Umarmung Preußens. Doch wie anders wäre
es ergangen, wenn damals die Gefühlspolitik des gesammten
Volkes auch ihren Antheil genommen hätte, wenn das sogenannte
„Schwert Deutschlands" von vornherein an der Seite des deut-
schen Bundesgenossen in den Krieg eingetreten wäre, wenn dann
nach ruhmwürdiger Beendigung des Waffengangs jene moralische

i Eroberung in dem Herzen des Volkes eingezogen wäre, die Gotha
! seit Jahren durch Phrasengeklingel hervorzurufen vergebens be-
müht ist. Ja, denn stände heute Preußen groß da, dann hätte
es einen hohen Platz einzunehmen das Recht gehabt. Da aber
gerade das Gegentheil geschah, — wer mag sich darüber ver-
wundern, daß das Volk diese traurige und schlechte Rolle im
Gedächtniß bewahrt!
So sagen wir denn: die G efüh lsp o litik soll und muß
zur Geltung gelangen; ja, es würde eine Schande sein, wenn
dies nicht der Fall wäre. Mit Begeisterung wollen wir in den
Kampf ziehen und mit Begeisterung ihn zum Heil unseres Vater-
landes beendigen. Wahrlich, die schwieligen Hände des Arbeiters,
die kaum mehr im Stande sind Weib und Kinder zu ernähren,
zeigen einen sicherern Weg als der honigsüße Mund der Pro-
fessoren, die, in fetter Wolle sitzend uud noch immer bei Forellen
und Champagner schwelgend, mit vornehmer Geringschätzung und
voll Arglist die schlichte Gefühlspolitik des Volkes in den Hinter-
grund zu drängen suchen!

„Das Concordats-Oesterreich."
In der letzthin zu Frankfurt stattgehabten Versammlung
von Abgeordneten des Nationalvereins ist unter den gegen Oe-
sterreich vorgebrachten Anschuldigungen auch der obige Ausdruck,
mit allem, was dazu herkömmlich gehören soll, wiederholt wor-
den. Da Wahrheit und Gerechtigkeit für jeden Mann von Rechts-
gefühl und Gewissen unter allen Umständen Pflicht ist, so stellen
wir dieser Anschuldigung zur Berichtigung der irre geleiteten
öffentlichen Meinung das folgende Zeugniß aus der Feder eines
Mannes entgegen, der sich auf dem Titelblatt seiner Schrift*)
nennt: „K. K. Professor an der theologischen Facultät, Garni-
sonsprediger in Wien, Mitglied des Consistoriums der coord.
Preßburger Evan. Augsb. Conf.-Superintendenz rc.", welcher
mithin unbestreitbar als ein eben so sachkundiger wie unpar-
teiischer Zeuge anzusehen ist. Derselbe schreibt S. 86 Fol-
gendes :
„Was wollt ihr (Protestanten Oesterreichs)? Eine freie,
selbstständige, autonome Kirchenverfassung? Wo in Europa
habt ihr siefreier undautonomer —etwa Schottlands
Preßbpterialkirche ausgenommen? Ich frage, wo? In Sachsen,
in Preußen, in Frankreich, in England — Schweden — Schweiz?
Nirgend!
„Was wollt ihr noch? Schutz und gleiche Betheiligung
am Staatsgute? Wo in Europa habt ihr eineu katholischen
Staat, der einem so verschwindenden Bruchtheil seiner Bevöl-
kerung, wie die kaum etwas über ein Achtel einer Million
zählenden Protestanten der deutsch-slavischen Provinzen sind, so
viel Wohlwollen, Schutz uud Betheiligung am Staatsgute zu
Theil werden ließe, wie dieses „verschrieene Concordats-Oester-
reich,,? Ich will nicht von der Dotation der Superintendenten
und Senioren reden, die der Kaiser nicht ernennt und doch
bezahlt, — ich will nicht von den systemisirten 8000 Fl. zur
jährlichen Unterstützung armer Gemeinden und Schulen reden.
— Auch das wollen wir nicht hoch anschlagen, daß dieser katho-
lische Staat binnen drei Jahren in Wien, Prag, Lemberg,
Verona und Venedig (evangelische) Garnisonskirchen mit einem
Kostenaufwande von 80,000 Fl. östreichischer Währung, ohne
auch nur ein Wort der Bitte oder des Dankes von der Kirche
erhalten zu haben, Herstellen ließ. — Auch darüber soll kein
Wort besonderer Anerkennung getagt werden, daß dieser Staat
seit vier Jahren 10 Theologen der Monarchie jeden mit 600 Fl.
jährlich nach den Universitäten Deutschlands schickt; — unsere
armen Väter mußten zuerst zwei Jahre pädagogisiren, um sich
dann mit dem Ersparten mühsam ein Jahr hindurch an den
Musensitzen des evangelischen Jerusalem durchzubringen. — Alles
*) Johann Michael Szeberim,c. Der Pseudo-Protestantismus aus kirchen-
rechtlichem Gebiete. Wien 1865.
 
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