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der Ansicht ist, ein aufgeklärter und gescheidter Kopf
zu sein.
In diesem Vorurtheil ist der Kraichgaubote befangen, von
dem man einen confesfionellen Anstand gegen die Katho-
liken nie erwarten darf.
Baden.
* Heidelberg, 17. Dec. In seiner Rundschau preist der
Freiburger Bote die badischen Zustände in folgender Weise:
„Baden ist fort und fort laut der Versicherung der Landgraben-
base, des Mannheimer Spitalblattes und aller literarischen
Zwangsanstalten das freieste, wohlhabendste, gescheiteste und
glücklichste Musterfleckchen des Erdballs. Um ein Himmelchen
auf Erden zu sein, fehlt ihm blos noch das entzückende Loos,
von der Madame Großborussia als Frühstück genossen und
verdaut zu werden. Wahlfreiheit, Vereinsfreiheit, Gemeinde-
freiheit, Unterrichtsfreiheit, Preßfreiheit und ähnliche Lappalien
haben wir zwar nicht, dafür aber viele Beamten, große Diäten,
fette Advokaten, volksbeglückende Juden, viel fremdes Volk,
glückliche Gerichtsvollzieher, schöne Schulden, hohen Kriegsruhm,
die herrliche Preßordonnanz vom 28. Juli und Freiheitsmänner
L la vr. Schmieder. Herz, was willst du mehr?"
* Heidelberg, 17. Dec. Die auf gestern nach Mannheim
ausgeschriebene Volksversammlung zur Besprechung der deutschen
Frage und der inneren Zustände unseres Landes hat zum
zweiten Mal abgesagt werden müssen, weil die beiden Haupt-
redner Welcker und v. Feder, der Eine durch plötzliches
Unwohlsein, der Andere durch dringende Geschäfte, zu erschei-
nen verhindert waren, und weil außerdem der Mangel eines
Lokalcomittzs störend einwirkte. Die Versammlung wäre jeden-
falls stark besucht worden, da nicht nur aus Mannheim
selbst große Zuzüge erfolgt wären, sondern auch aus der Rhein-
pfalz, von der Bergstraße, aus Darmstadt und Frankfurt sich
zahlreiche Teilnehmer eingefuuden hatten. Das in der Neuen
Bad. Landeszeitung aufgestellte Programm war so vortrefflich
redigirt und die darin niedergelegten großdeutschen Gesichts-
punkte wie die über die innere Lage Badens ausgestellten Re-
solutionen sind so verständig abgefaßt, daß auch die großoeutsch-
katholische Partei sich vollkommen mit denselben befreunden
kann. Insbesondere heißt es am Schlüsse: „Zur Betheiligung
an den bezeichneten Bestrebungen sind alle Staatsbürger ohne
Unterschied des Standes und ohne Unterschied der religiösen
Meinungen und des kirchlichen Bekenntnisses berufen. Eine
Verständigung des Staates mit den Kirchen über die bisherigen
Streitfragen ist auf freiheitlichem Boden anzustreben."
Gut, gebt die Kirchen vollkommen frei wie in Amerika und
gebt uns Unterrichtsfreiheit wie sie dort ist — und kein Mensch
wird mit uns mehr Streit bekommen. Es wird dann nur
noch politische, keine kirchlichen Parteien mehr auf dem
Kampfplatze geben. Was aber die verunglückte Versammlung
selbst betrifft, so meint der Bote, die Herren hätten seit dem
Jahre 1848 die rechte Praxis in dergleichen Arrangements
verloren. Der Bote und die Seinen haben das jetzt besser
los; die Noth war aber auch freilich ein guter Lehrmeister.
Zum Schluffe möchte der Bote fragen, ob es nicht der Ueber-
legung werth wäre, die längst verschollene, unpraktisch gewor-
dene Reichsversassung ganz aus dem Spiele zu lassen?
—n. Heidelberg, 18. Dec. Jemehr die deutsche Partei
bestrebt ist, sür die Verwirklichung des Südbundes Schritte
zu thun, desto zahlreicher und heftiger werden die Angriffe der
Gothaer, was sich eigentlich von selbst versteht. Daß die All-
gemeine Zeitung als bekannte Wetterfahne und der Schwäbische
Merkur in den Chorus der gothaischen Blätter gegen die Er-
richtung des Südbundes einstimmeu, ist wiederum etwas Na-
türliches; daß aber ein Korrespondent dieser letzteren Blätter,
der in den verwichenen Monaten die großdeutsche Fahne sehr
auffallend zur Schau trug, der ferner ein thätiges Mitglied
jener am 11. Nov. abgehaltenen Versammlung zu Stuttgart
war, deren eifrigstes Bestreben bekanntlich dahin ging, Propa-
ganda für den Südbund zu machen, das ist etwas durchaus
Unnatürliches. Der Scheerencorrespondent der Allg. Ztg. und
der badische Winkelhackencorrespondent des Schwäbischen Mer-
kurs ist eine und dieselbe Person, mit dessen Korrespondenzen,
auch die Heidelberger Zeitung gefüttert wird (wie neuerdings
wieder gegen Edelsheim. Die Red.) So wendet sich denn der
erwähnte Korrespondent jene mehrmonatliche großdeutsche Wet-
terfahne und Theilnehmer an der Stuttgarter Versammlung,
in der Allgem. Ztg. v. 10. und im Schwäb. Merk. v. 16. d.
Mts. gegen denselben Südbund und behauptet sogar, daß der-
selbe durchaus keinen günstigen Boden in Süddeutschland fände.
Wir freuen uns unendlich, einen Menschen, der bereits zwei-
mal die gothaische Fahne ausgepflanzt hat und dann plötzlich
; dreimal ein Ueberläufer in das großdeutsche Lager wurde, jetzt
s wieder auf einer Seite zu finden, wohin er eingedenk des Bis-
s marck'schen Spruches: „Macht geht vor Recht" von jeher gehört
s hat. (Diese schätzbare Mittheilung ist dem Boten nicht von
s „schwarzer" Seite zugegangen; hätte man ihn vorher nach dem
Manne gefragt — der Bote hat bekanntlich eine treffliche
- Personalkenntniß —, so wäre die Antwort derart ausgefallen,
s daß man den Betreffenden sein fern gehalten hätte; denn
! dieser ist kein Anderer als — juchhe! — der Weckbäck!)
* Heidelberg, 18. Dec. Aus letzten Samstag war eine
i Versammlung des Nationalvereins dahier in den Darmstädter
Hof eingeladen; indessen hatten sich nur 21 Mitglieder einge-
; funden, und zwar als namhafter Bruchtheil von den „100,000
entschlossenen Männern", welche die Badische Landesbase
dem Nationalverein vor kurzem angeworben hat. Vielleicht
! aber wird uns die Base antworten, daß jene 21 zwar nicht
zu den vielen, aber um so mehr zu den „entschlossenen" Männern
zu zählen sind, worüber wir uns freilich kein Urtheil erlauben
möchten. Dagegen dürften wir wohl ganz leise und be-
scheiden anfragen, wie viele Landeskinder sich eigentlich unter
den 21 Spartanern befunden haben?
-s- Äus dem vordern Odenwalde, 17. Dec. Mit Beginn
der Adventszeit war es von langer Zeit her bei uns Brauch,
daß zweimal in der Woche Rorateämter statthatten. Da wir
aber in dem Städtchen, in welchem Einsender dieses wohnt,
einen andern Pfarrer bekamen und dieser über die Sache nicht
in Kenntniß gesetzt war, so machte irgend ein Gemeindeglied
den Geistlichen hieraus aufmerksam, worauf alsbald zwei Ro-
rateämter sür jede Woche während der Adventszeit von der
Kanzel verkündet wurden. Der Lehrer hatte dies nicht so bald
gehört, als er nach beendigtem Gottesdienst voll Aufregung in
die Sacristei stürzte und der Stiftungscommission, die überdies
schon Jahre lang nicht mehr vollständig ist und nicht viel
Widerspruch zu leisten pflegt, erklärte, daß er bei diesem Gottes-
dienst, den er geradezu als „Erdichtung" bezeichnete, nicht Mit-
wirken werde, es sei denn daß man ihm für jedes Rorateamt
30 kr. für seine Mühe bezahle. Ein anwesendes Stiftungs-
mitglied versprach dem Lehrer die verlangten 30 kr. Ob aber
das betreffende Mitglied dem Lehrer das Geld aus eigner Tasche
bezahlt oder ein Andrer es thut, das bleibt dem Einsender
dieses gleich, aber Fonds sind hierzu keine vorhanden, und der
Rechner wird sich hüten, es unter einer andern Rubrik zu ver-
§ Bruchsal, 15. Dec. Unser Stadtrath faßte den Be-
schluß, die Leimsiederei des ausgerissenen Fabrikanten Blenkner,
welche oberhalb ganz in der Nähe der Heidelsheimer Vorstadt
liegt und die ganze Lust mit ihrem pestilenzartigen Gestank be-
lästigt, auzukaufen und dadurch das Neuausleben dieses übel-
riechenden Geschäftes, das, nebenbei bemerkt, der Kraichgaubote
mit seiner aufgeklärten Nase, „die Brüt he unserer städ-
tischen Industrie" nennt, zu verhindern. So anerkennens-
werth das beabsichtigte Streben des Stadtraths in dieser die
allgemeinen Interessen der Stadt so nahe berührende Angele-
genheit ist, so müssen wir doch der Ansicht des großen und
kleinen Ausschusses, wornach der Gemeinderathsbeschluß zu ver-
werfen ist, vollkommen beistimmen. 3000 fl. für die Stinkhütte
eines bankerottere und selbst liberalen Leimsieders ist denn doch
etwas zu viel. Mögen sich feiere Freunde anderswo entschädi-
gen; uns aber wird hoffentlich die Sanitätspolizei, die Ver-
waltungsbehörde und der um oas Wohl der Stadt so wacker
interessirte Bürgermeister vor einer Nachbarschaft zu schützen
wissen, welche bei den Wohnplätzen civilisirter Menschen
nicht mehr zu finden sein sollte.
— Bruchsal, 15. Dec. Den ausgedehntesten Nach-
forschungen unserer Polizei konnte es bisher noch nicht gelingen
dem Thäter aus die Spur zu kommen, der sich mit einer un-
gewohnten Keckheit einen Eingriff auf dem hiesigen Rathhause
in die Kasse des Rathschreibers Heck und dessen Gehilfen er-
laubte. Selbst das jüngste Verschwinden von Nathhausschlüsseln
führte auf keinen zuverlässigeren Verdacht. Nichts ist natür-
licher, als daß derlei Vorkommnisse zu den verschiedensten Be-
merkungen , zumal bei einem klatschsüchtigen Publikum, Anlaß
gaben, die wir jedoch sür jetzt zu verschieben für geeigneter
halten, bis die Gerichte auch in diese Mpsterie des Rathhauses,
wie in die des Leihhauses mehr Licht und Aufklärung gebracht
haben werden.
/X Bruchsal, 16. Dec. Letzten Freitag kam endlich m
Karlsruhe bei der Strafkammer des Kreis- und Hofgerichtes
die Verhandlung über die vielbesprochene Leihhausangelegenhcit
unserer Stadt vor. Dieselbe nahm dell ganzen Tag in An-
spruch und endete damit, daß der ehemalige Controleur E. Maisch
der Rechnersuntreue sür schuldig erklärt und zum Ersatz des
der Ansicht ist, ein aufgeklärter und gescheidter Kopf
zu sein.
In diesem Vorurtheil ist der Kraichgaubote befangen, von
dem man einen confesfionellen Anstand gegen die Katho-
liken nie erwarten darf.
Baden.
* Heidelberg, 17. Dec. In seiner Rundschau preist der
Freiburger Bote die badischen Zustände in folgender Weise:
„Baden ist fort und fort laut der Versicherung der Landgraben-
base, des Mannheimer Spitalblattes und aller literarischen
Zwangsanstalten das freieste, wohlhabendste, gescheiteste und
glücklichste Musterfleckchen des Erdballs. Um ein Himmelchen
auf Erden zu sein, fehlt ihm blos noch das entzückende Loos,
von der Madame Großborussia als Frühstück genossen und
verdaut zu werden. Wahlfreiheit, Vereinsfreiheit, Gemeinde-
freiheit, Unterrichtsfreiheit, Preßfreiheit und ähnliche Lappalien
haben wir zwar nicht, dafür aber viele Beamten, große Diäten,
fette Advokaten, volksbeglückende Juden, viel fremdes Volk,
glückliche Gerichtsvollzieher, schöne Schulden, hohen Kriegsruhm,
die herrliche Preßordonnanz vom 28. Juli und Freiheitsmänner
L la vr. Schmieder. Herz, was willst du mehr?"
* Heidelberg, 17. Dec. Die auf gestern nach Mannheim
ausgeschriebene Volksversammlung zur Besprechung der deutschen
Frage und der inneren Zustände unseres Landes hat zum
zweiten Mal abgesagt werden müssen, weil die beiden Haupt-
redner Welcker und v. Feder, der Eine durch plötzliches
Unwohlsein, der Andere durch dringende Geschäfte, zu erschei-
nen verhindert waren, und weil außerdem der Mangel eines
Lokalcomittzs störend einwirkte. Die Versammlung wäre jeden-
falls stark besucht worden, da nicht nur aus Mannheim
selbst große Zuzüge erfolgt wären, sondern auch aus der Rhein-
pfalz, von der Bergstraße, aus Darmstadt und Frankfurt sich
zahlreiche Teilnehmer eingefuuden hatten. Das in der Neuen
Bad. Landeszeitung aufgestellte Programm war so vortrefflich
redigirt und die darin niedergelegten großdeutschen Gesichts-
punkte wie die über die innere Lage Badens ausgestellten Re-
solutionen sind so verständig abgefaßt, daß auch die großoeutsch-
katholische Partei sich vollkommen mit denselben befreunden
kann. Insbesondere heißt es am Schlüsse: „Zur Betheiligung
an den bezeichneten Bestrebungen sind alle Staatsbürger ohne
Unterschied des Standes und ohne Unterschied der religiösen
Meinungen und des kirchlichen Bekenntnisses berufen. Eine
Verständigung des Staates mit den Kirchen über die bisherigen
Streitfragen ist auf freiheitlichem Boden anzustreben."
Gut, gebt die Kirchen vollkommen frei wie in Amerika und
gebt uns Unterrichtsfreiheit wie sie dort ist — und kein Mensch
wird mit uns mehr Streit bekommen. Es wird dann nur
noch politische, keine kirchlichen Parteien mehr auf dem
Kampfplatze geben. Was aber die verunglückte Versammlung
selbst betrifft, so meint der Bote, die Herren hätten seit dem
Jahre 1848 die rechte Praxis in dergleichen Arrangements
verloren. Der Bote und die Seinen haben das jetzt besser
los; die Noth war aber auch freilich ein guter Lehrmeister.
Zum Schluffe möchte der Bote fragen, ob es nicht der Ueber-
legung werth wäre, die längst verschollene, unpraktisch gewor-
dene Reichsversassung ganz aus dem Spiele zu lassen?
—n. Heidelberg, 18. Dec. Jemehr die deutsche Partei
bestrebt ist, sür die Verwirklichung des Südbundes Schritte
zu thun, desto zahlreicher und heftiger werden die Angriffe der
Gothaer, was sich eigentlich von selbst versteht. Daß die All-
gemeine Zeitung als bekannte Wetterfahne und der Schwäbische
Merkur in den Chorus der gothaischen Blätter gegen die Er-
richtung des Südbundes einstimmeu, ist wiederum etwas Na-
türliches; daß aber ein Korrespondent dieser letzteren Blätter,
der in den verwichenen Monaten die großdeutsche Fahne sehr
auffallend zur Schau trug, der ferner ein thätiges Mitglied
jener am 11. Nov. abgehaltenen Versammlung zu Stuttgart
war, deren eifrigstes Bestreben bekanntlich dahin ging, Propa-
ganda für den Südbund zu machen, das ist etwas durchaus
Unnatürliches. Der Scheerencorrespondent der Allg. Ztg. und
der badische Winkelhackencorrespondent des Schwäbischen Mer-
kurs ist eine und dieselbe Person, mit dessen Korrespondenzen,
auch die Heidelberger Zeitung gefüttert wird (wie neuerdings
wieder gegen Edelsheim. Die Red.) So wendet sich denn der
erwähnte Korrespondent jene mehrmonatliche großdeutsche Wet-
terfahne und Theilnehmer an der Stuttgarter Versammlung,
in der Allgem. Ztg. v. 10. und im Schwäb. Merk. v. 16. d.
Mts. gegen denselben Südbund und behauptet sogar, daß der-
selbe durchaus keinen günstigen Boden in Süddeutschland fände.
Wir freuen uns unendlich, einen Menschen, der bereits zwei-
mal die gothaische Fahne ausgepflanzt hat und dann plötzlich
; dreimal ein Ueberläufer in das großdeutsche Lager wurde, jetzt
s wieder auf einer Seite zu finden, wohin er eingedenk des Bis-
s marck'schen Spruches: „Macht geht vor Recht" von jeher gehört
s hat. (Diese schätzbare Mittheilung ist dem Boten nicht von
s „schwarzer" Seite zugegangen; hätte man ihn vorher nach dem
Manne gefragt — der Bote hat bekanntlich eine treffliche
- Personalkenntniß —, so wäre die Antwort derart ausgefallen,
s daß man den Betreffenden sein fern gehalten hätte; denn
! dieser ist kein Anderer als — juchhe! — der Weckbäck!)
* Heidelberg, 18. Dec. Aus letzten Samstag war eine
i Versammlung des Nationalvereins dahier in den Darmstädter
Hof eingeladen; indessen hatten sich nur 21 Mitglieder einge-
; funden, und zwar als namhafter Bruchtheil von den „100,000
entschlossenen Männern", welche die Badische Landesbase
dem Nationalverein vor kurzem angeworben hat. Vielleicht
! aber wird uns die Base antworten, daß jene 21 zwar nicht
zu den vielen, aber um so mehr zu den „entschlossenen" Männern
zu zählen sind, worüber wir uns freilich kein Urtheil erlauben
möchten. Dagegen dürften wir wohl ganz leise und be-
scheiden anfragen, wie viele Landeskinder sich eigentlich unter
den 21 Spartanern befunden haben?
-s- Äus dem vordern Odenwalde, 17. Dec. Mit Beginn
der Adventszeit war es von langer Zeit her bei uns Brauch,
daß zweimal in der Woche Rorateämter statthatten. Da wir
aber in dem Städtchen, in welchem Einsender dieses wohnt,
einen andern Pfarrer bekamen und dieser über die Sache nicht
in Kenntniß gesetzt war, so machte irgend ein Gemeindeglied
den Geistlichen hieraus aufmerksam, worauf alsbald zwei Ro-
rateämter sür jede Woche während der Adventszeit von der
Kanzel verkündet wurden. Der Lehrer hatte dies nicht so bald
gehört, als er nach beendigtem Gottesdienst voll Aufregung in
die Sacristei stürzte und der Stiftungscommission, die überdies
schon Jahre lang nicht mehr vollständig ist und nicht viel
Widerspruch zu leisten pflegt, erklärte, daß er bei diesem Gottes-
dienst, den er geradezu als „Erdichtung" bezeichnete, nicht Mit-
wirken werde, es sei denn daß man ihm für jedes Rorateamt
30 kr. für seine Mühe bezahle. Ein anwesendes Stiftungs-
mitglied versprach dem Lehrer die verlangten 30 kr. Ob aber
das betreffende Mitglied dem Lehrer das Geld aus eigner Tasche
bezahlt oder ein Andrer es thut, das bleibt dem Einsender
dieses gleich, aber Fonds sind hierzu keine vorhanden, und der
Rechner wird sich hüten, es unter einer andern Rubrik zu ver-
§ Bruchsal, 15. Dec. Unser Stadtrath faßte den Be-
schluß, die Leimsiederei des ausgerissenen Fabrikanten Blenkner,
welche oberhalb ganz in der Nähe der Heidelsheimer Vorstadt
liegt und die ganze Lust mit ihrem pestilenzartigen Gestank be-
lästigt, auzukaufen und dadurch das Neuausleben dieses übel-
riechenden Geschäftes, das, nebenbei bemerkt, der Kraichgaubote
mit seiner aufgeklärten Nase, „die Brüt he unserer städ-
tischen Industrie" nennt, zu verhindern. So anerkennens-
werth das beabsichtigte Streben des Stadtraths in dieser die
allgemeinen Interessen der Stadt so nahe berührende Angele-
genheit ist, so müssen wir doch der Ansicht des großen und
kleinen Ausschusses, wornach der Gemeinderathsbeschluß zu ver-
werfen ist, vollkommen beistimmen. 3000 fl. für die Stinkhütte
eines bankerottere und selbst liberalen Leimsieders ist denn doch
etwas zu viel. Mögen sich feiere Freunde anderswo entschädi-
gen; uns aber wird hoffentlich die Sanitätspolizei, die Ver-
waltungsbehörde und der um oas Wohl der Stadt so wacker
interessirte Bürgermeister vor einer Nachbarschaft zu schützen
wissen, welche bei den Wohnplätzen civilisirter Menschen
nicht mehr zu finden sein sollte.
— Bruchsal, 15. Dec. Den ausgedehntesten Nach-
forschungen unserer Polizei konnte es bisher noch nicht gelingen
dem Thäter aus die Spur zu kommen, der sich mit einer un-
gewohnten Keckheit einen Eingriff auf dem hiesigen Rathhause
in die Kasse des Rathschreibers Heck und dessen Gehilfen er-
laubte. Selbst das jüngste Verschwinden von Nathhausschlüsseln
führte auf keinen zuverlässigeren Verdacht. Nichts ist natür-
licher, als daß derlei Vorkommnisse zu den verschiedensten Be-
merkungen , zumal bei einem klatschsüchtigen Publikum, Anlaß
gaben, die wir jedoch sür jetzt zu verschieben für geeigneter
halten, bis die Gerichte auch in diese Mpsterie des Rathhauses,
wie in die des Leihhauses mehr Licht und Aufklärung gebracht
haben werden.
/X Bruchsal, 16. Dec. Letzten Freitag kam endlich m
Karlsruhe bei der Strafkammer des Kreis- und Hofgerichtes
die Verhandlung über die vielbesprochene Leihhausangelegenhcit
unserer Stadt vor. Dieselbe nahm dell ganzen Tag in An-
spruch und endete damit, daß der ehemalige Controleur E. Maisch
der Rechnersuntreue sür schuldig erklärt und zum Ersatz des