VII. Jahrgang. tzeft 17
i. Juni ,892
Deraufgegeben von Friedrich Vecht -4—
„Tie Kunst sür Alle" erscheint in halbmonatlichen Heften von 2 Bogen reich illustrierten Textes und 4 Bilderbeilagen in Umschlag gehestet. Bezugspreis im
Buchhandel oder durch die Post (Reichspostverzeichnis Nr. SS17, bauer. Verzeichnis Nr. 406. k. u. k. östcrr. Zeitungsliste Nr. 1SS3) 3 M. 60 Pf. sür das Vierteljahr
(6 Hefte); das einzelne Heft 7S Pf.
Die Münchener Internationale Aufstellung
Vom Herausgeber
Zur Einleitung
die heutige Kunst von der des
vorigen Jahrhunderts wie der ersten
Hälfte des unsrigen am meisten unterscheidet,
ist das säst gänzliche Schwinden des Ein-
flusses der Antike. Wenigstens in der
Malerei, also der heute unbedingt alle
anderen beherrschenden Kunst. Während
die Periode des Zopfes, wie die eklektische
und dann die bis gegen 1848 herrschende
romantische Kunst noch ganz von der An-
tike abhängig sind, ihr Einfluß wenigstens
überall sichtbar bleibt, hat sich der jetzt
mehr oder weniger allgemein maßgebende
Naturalismus jener durch ihre Kälte alles
Leben ertötenden Tyrannin ganz entzogen.
Die notwendig nächste Folge dieser Be-
freiung war einerseits das Überwiegen des
malerischen Momentes über das zeichnerische
in der Malerei selber, andrerseits die schär-
fere Ausprägung der nationalen Unter-
schiede in der Kunst der verschiedenen
Völker. Während der Gipskopf noch aus
jeder der süßlächelnden Göttinnen des
Zopfes oder den grimmigen Römern der
Davidschen Schule von Madrid bis Peters-
burg herausschaut, wie aus den rosigen
Damen des Stieler oder Gerard; während
selbst noch Delaroche, Gallait oder Winter-
halter bei ihren Frauen wenigstens sehr
deutlich die Schulung der Venus von Melos
oder die der medizäischen Göttin— der beiden
Haupttypen antiker Frauenschönheit — verraten, verschwindet sie von da an unter dem Einflüsse der Menzel, Courbet
und Fortuny fast gänzlich und taucht höchstens noch bei den Akademikern wie Bouguereau, Leighton, Siemiradsky
und Alma Tadema auf, obwohl auch da der kalte Gips immerhin dem blühenden Fleisch hat weichen müssen.
Der leere Platz aber wird längere Zeit ganz allein von spezifisch nationalen Künstlern eingenommen, wie es die
Menzel, Knaus, Defregger, Leibl, Diez bei uns, die Meissonier, Fortuny, Neid, Joris, Conti, Nono, Munkacsy,
In der Bibliothek, von I. Munsch
VI. Münchener Internationale Kunstausstellung I892
Aunst für Alle VII.
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i. Juni ,892
Deraufgegeben von Friedrich Vecht -4—
„Tie Kunst sür Alle" erscheint in halbmonatlichen Heften von 2 Bogen reich illustrierten Textes und 4 Bilderbeilagen in Umschlag gehestet. Bezugspreis im
Buchhandel oder durch die Post (Reichspostverzeichnis Nr. SS17, bauer. Verzeichnis Nr. 406. k. u. k. östcrr. Zeitungsliste Nr. 1SS3) 3 M. 60 Pf. sür das Vierteljahr
(6 Hefte); das einzelne Heft 7S Pf.
Die Münchener Internationale Aufstellung
Vom Herausgeber
Zur Einleitung
die heutige Kunst von der des
vorigen Jahrhunderts wie der ersten
Hälfte des unsrigen am meisten unterscheidet,
ist das säst gänzliche Schwinden des Ein-
flusses der Antike. Wenigstens in der
Malerei, also der heute unbedingt alle
anderen beherrschenden Kunst. Während
die Periode des Zopfes, wie die eklektische
und dann die bis gegen 1848 herrschende
romantische Kunst noch ganz von der An-
tike abhängig sind, ihr Einfluß wenigstens
überall sichtbar bleibt, hat sich der jetzt
mehr oder weniger allgemein maßgebende
Naturalismus jener durch ihre Kälte alles
Leben ertötenden Tyrannin ganz entzogen.
Die notwendig nächste Folge dieser Be-
freiung war einerseits das Überwiegen des
malerischen Momentes über das zeichnerische
in der Malerei selber, andrerseits die schär-
fere Ausprägung der nationalen Unter-
schiede in der Kunst der verschiedenen
Völker. Während der Gipskopf noch aus
jeder der süßlächelnden Göttinnen des
Zopfes oder den grimmigen Römern der
Davidschen Schule von Madrid bis Peters-
burg herausschaut, wie aus den rosigen
Damen des Stieler oder Gerard; während
selbst noch Delaroche, Gallait oder Winter-
halter bei ihren Frauen wenigstens sehr
deutlich die Schulung der Venus von Melos
oder die der medizäischen Göttin— der beiden
Haupttypen antiker Frauenschönheit — verraten, verschwindet sie von da an unter dem Einflüsse der Menzel, Courbet
und Fortuny fast gänzlich und taucht höchstens noch bei den Akademikern wie Bouguereau, Leighton, Siemiradsky
und Alma Tadema auf, obwohl auch da der kalte Gips immerhin dem blühenden Fleisch hat weichen müssen.
Der leere Platz aber wird längere Zeit ganz allein von spezifisch nationalen Künstlern eingenommen, wie es die
Menzel, Knaus, Defregger, Leibl, Diez bei uns, die Meissonier, Fortuny, Neid, Joris, Conti, Nono, Munkacsy,
In der Bibliothek, von I. Munsch
VI. Münchener Internationale Kunstausstellung I892
Aunst für Alle VII.
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