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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Floerke, Gustav: Meine lebendige Grammatik, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0104

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77

Meine lebendige Vrammntik

von Gustav Llverke

(Schluß.) Nachdruck oe,boten

Als ich mich dann nach ihr umsah, hockte sie in
einer Ecke und hielt sich, mit geschlossenen Augen, die
Ohren zu.

Ich rüttelte sie. „Barbariö! Was ist dir?"

„Hört ihr ihn nicht? Das ist der Franzischiell,
der Mann der Cannettella, die ihr beim Menico in Gips
gesehen habt."

Ich legte meinen Arm um sie, und zu meiner Ver-
wunderung litt sie das nicht nur, sondern folgte mir
mit Plötzlich umschlagender Laune aus Fenster. Sie
selbst hielt mich dort in jener, einige Zusammengehörig-
keit andeutenden Stellung, als wolle sie ihr noch gegen-
wärtiges Glück konstatieren, zeigen und genießen; viel-
leicht auch sich am Gegensatz erlaben.

^OlraÄe, rief der Sänger mit

elegantem Hutschwenken, als sie ihm die dünne Korallen-
schnur, die sie um den Hals trug, hinabwarf.

„Das Schloß daran ist wenigstens von Gold",
sagte sie mir erklärend.

^6rk»2is, uiadainipxckla!-

„Jawohl!" lachte die Barbarella und sah mich
merkwürdig an, „warum nicht gleich ,p>riueip688L<?
?rinoixe58u cii carte!" Dann erweiterten sich ihre
Pupillen, ihre Augen waren noch immer auf mich ge-
richtet, aber ich spürte ihren Blick nicht mehr.

Plötzlich zog sich das Leben ihrer Augen wieder
zusammen, wie Licht in einem Brennspiegel: sie schien
ihren Entschluß gefaßt zu haben. Ich war eines An-
griffs gewärtig.

Indessen stutzte sie zunächst noch einmal, — oder
war das bereits die Einleitung zum Sturm?

Ich bemerkte, daß sie mit großen Augen bald meine
offene Brust, bald mich betrachtete. Sie sah ein Me-
daillon bei mir, wie es schien und auch wohl möglich
war, zum erstenmal, denn sie zeigte darauf:

„Ihr habt einen Schatz zu Hause?"

„Nein, meine Schwester."

„Hm!" Sie betrachtete das Bild; dann lachte sie.
„Wo trägt man so hübsche Schwestern im Medaillon
mit sich herum wie Heiligenbilder! Ist sie tot?"

„Nein, Gott sei Dank nicht!"

„Ah! Liebevolle Brüder, die ihr Forestieri seid!"

Sie warf den Kopf in den Nacken und machte ihr
altes sorglos übermütiges Gesicht. Natürlich glaubte sie
mir nicht und hatte recht; aber ebenso gewiß dachte sie,
daß sie es noch lange mit jeder, besonders mit einer
abwesenden Nebenbuhlerin aufnehmen könne. Sie lachte
glücklich in sich hinein, als ob sie sich an die gelegent-
lichen Beweise dafür erinnere, daß sie noch schön sei,
und überlegte offenbar, daß sie, auch als Frau, an-
spruchsloser und lustiger, also bequemer sein werde, als

so eine Signora, wie die da im Medaillon. Nach solchen
Gedanken wenigstens sah sie aus.

Richtig! Ich zog sie kaum merklich enger an mich.
Sofort wehrte sie mich ab, aber triumphierte:

„Ich bin noch hübsch, was?"

„Wenn ich mich sofort in dich verliebt habe. . ."

„Gut. Wollt Ihr mir versprechen, hier in Napoli
zu bleiben?" -

Das konnte ich nicht, obgleich es mich einigermaßen
heiß übcrlief. Ich setzte ihr auseinander, daß ich mein
Geld in Deutschland verdienen müsse.

Die Barbarella wurde sehr still. Hm! verdienen,
dachte sie offenbar, also hatte Domcnico recht, also reich
war ich nicht und ebenso wie Domenico auf's Verkaufen
angewiesen.

„Hm", seufzte sie nach einer Pause, — „wohin geht
das große Schiff dort draußen? Nach deinem Deutschland?"

Das Meer lag breit und einsam vor uns, kaum
atmend in der nachmittägigen Sonne. Einige weiße,
bewegungslose Segel. Nur ein Dampfer zog am hohen
Horizont seine wagrechten grauen Streifen langsam lang
und länger. Ich legte meinen Arm wieder um sie und
fand keinen Widerstand.

„Nach Germania, Gustaviello? Sehnst du dich nach
deinem ,?S686^?"

„Nehmen wir an", sagte ich, „ich ginge mit jenem
Schiff dorthin, — gefiele es dir, mich zu begleiten?"

Ihr Auge schweifte am Horizont, — oder lieb-
koste es die blauen Inseln draußen?

„Das ist es eben, woran ich denke", sagte sie ein-
fach . . . „Aber was thun wir da?"

„Du wirst eine Dame. . ."

Barbarella reckte sich in ihrem ungeschnürten Zeug
behaglich, als ob sie sich freue, die engen, steifen Kleider
einstweilen noch nicht anzuhaben. Aber doch nahm sie
einen gelbseidenen tunesischen Shawl und probierte da-
mit vor dem Spiegel.

„Wir lernen und lesen miteinander."

„Brrr", machte sie und warf den Shawl weg.

„Was wollen wir sonst den ganzen Tag machen,
Barbaruccia?"

„Eh!" sagte sie, „was Mann und Frau machen.
Einmal spielen wir mit unfern Kindern, einandermal
fahren wir im Wagen oder auf dem Meer, einmal gehen
wir in die Kirche, einandermal ins Theater, oder wir
gehen in die Vignen oder auf den Berg — und so
alle Tage."

Ich lachte.

„Barbarella", sagte ich, „das liegt in meinem Lande
nicht alles so beieinander; auch ist das Wetter nicht das
ganze Jahr so weich und sonnig wie hier."
 
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