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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Floerke, Gustav: Meine lebendige Grammatik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0046

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Meine lebendige Grammatik

von Gustav Merke


^as toskanische „Freut euch des Lebens" ging mir
behaglich im Kopfe herum. Meine kleine Wohnung
oben am Korso Vittorio Emanuele war ein Paradies;
nur aus dem Garten hatte der Engel mit dem feurigen
Schwert uns längst vertrieben. Aber, wie ich so im
dunkelgemachten Vorzimmer auf dem Mosaikbodcn lag,
bedauerte ich kaum, daß nicht ein Sündenfall dazu Ver-
anlassung gegeben hatte. Denn es war heiß, sehr heiß,
und ich, — im Vollgenusse meines steinbelegten Garten-
häuschens, einer großen Balkonthür im Nebenzimmer
(vermöge deren ich Zug Herstellen konnte) und eines
annähernd adamitischen Kostüms aus dünnstem weißeni
Flanell, — war mit der Thürspalte vollauf zufrieden,
durch welche ich zusehen durfte, wie die armen Zedern
in der Sonne stehen mußten, mit glühenden Zapfen
überschüttet, an Stelle der Nadeln tropfte es wie
Schmelzperlen von ihnen herab, oder sie schienen langes
blaues Glashaar zu tragen, — ganz wie die Bäume
in einem Feuermärchen.

Im offenen Nebenzimmer sah man durch die Gittcr-
läden auf einen andern, noch bewohnten Paradiesgarten
hinab: zunächst kamen unter mir eine Menge Orangen,
so brennend rot und an so festen, runden Bäumen, wie
sie der schönste Dekorationsmaler für „Belmonte und
Konstanze" nicht lustiger Herstellen kann. Tann, über
eine tiefliegende Straße hinweg, sah man die Stadt
Neapel, das Meer und den Vesuv, der harmlos schmälte,
als habe er noch nie einem Kinde etwas zu Leide gc-
than. Ter Golf regte sich kaum, schon seit Wochen
nicht mehr, unter dem flimmernden Dunstschleier, der
ihn vor dem großen Mittagslicht schützte.

Während ich auf dem kühlen Mofaikboden so dalag,
stand an genannter Fenstcrthür die Eva dieser Hinter-
stube des Paradieses — Barbarella. Ihr krauses
Näschen hob und senkte die Flügel wie ein Schmetter-
ling über den bis zu mir herübcrduftcnden Nelkcnstöckcn.
Sie sah nach den blauen Inseln hinüber und sang:

„IVnnim, o li miss PS8SÜII0
III )ooriis s tutto l'ors . .

Der heilige Joseph mit dem Jesusknaben
von Äarl'Müller

Mit Genebmiyung der j?dotc»grapdischcn Gesellschaft in Berlin

„Wenn die Mädchen singen, wollen sie heiraten,"
sagt man in Toskana und dachte ich pfeifend. Und
während ich ihre schlank hingelehnte Gestalt mit den
Blicken liebkoste, klang mir im Kopfe nach, was wir
eben miteinander gesprochen hatten, die Barbarella und
ich. Es war so gewesen:

Vor einer halben Stunde klopfte sie, wie fast alle
Tage. Als ich ihr öffnen ging, hörte ich sie draußen
reden. Sie war ungeduldig, wie immer, und unterhielt
 
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