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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Floerke, Gustav: Meine lebendige Grammatik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0047

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Meine lebendige Grammatik, von Gustav Floerke

sich selbst, wie in jeder langweiligen Lage. Sie war
redselig wie eine Neapolitanerin. Ihre Landsmänninen
drüben — sie stammte von Capri — können ein Dutzend
Fragen beantworten, ohne ein Wort daran zu wenden.
Auch bei ihr sprachen ja die hübschen Finger unaufhörlich
mit; aber auch der Mund stand nie still, alles an ihr
war beweglicher. Ich glaube, daß sie reichlich neapoli-
tanisches Blut in den Adern hatte.

Also.

„Jetzt legt er den Pinsel weg," hörte ich sie sagen
(und wahrscheinlich schnitt sie zu ihrer Erheiterung Ge-
sichter dazu) — „jetzt zieht er den Rock an, — man
kann ja nie wissen, wer kommt, — geht vor den Spiegel,
— macht sich die Stirnlocke zurecht, — setzt sich in
Bewegung, —: jetzt kommt er — eeoolexgnü!"

Lachend ließ ich den Wildfang ein.

„Guten Tag, Katzenauge" (^ooeliio cli Antt^ ge-
ruhte sie mich zu nennen), „führt Ihr mich heute ins
Theater?"

„Was wird gegeben? Nichts besonders Lustiges,
soviel ich weiß."

„Schöneres als an allen andern Tagen."

„Was zum Beispiel?"

„Hm. Ich erinnere mich nicht mehr."

Ich hatte sofort gesehen, daß sie sich ans dem
Kriegspfade befand und daß ich meine Ruhe zu ver-
teidigen haben würde.

Sie trug nämlich im Taschentuch etwas auf dem
Arm, was ich bereits als ihren Hut kannte. Jetzt trat
sie damit vor den Spiegel, nahm ihn hervor und setzte
ihn ans.

„O wie hübsch," sagte sie in die Hände klatschend,
„so seht doch her! führt Ihr mich jetzt ins Theater?
Doch nicht, sagt Ihr? Ich will mir auch die Haare
ganz verrückt ins Gesicht kämmen, — Häßlicher! —
ich kann garnicht denken, daß ich nicht ins Theater soll.
Ich will auch alles thun, was Ihr mögt: ich pudre mich
wie einen Bratfisch und sage, ich sei Duchessa ... Ich
habe mir's nun mal in den Kopf gesetzt! Heute, nicht
morgen! Ich zeige Euch auch etwas hübsches, Langer,
Langweiliger, — hört Ihr nicht! — das Bild meines
führt Ihr mich nun nicht hin? Montag?
Montag will ich nicht; heute! Verstanden? Ja, wenn
ich noch alle Tage ins Theater wollte! Aber, daß ich
nun diesmal nicht soll, kann ich mir garnicht denken.
O velflukte!" (Man sieht, sie fing an Deutsch zu lernen)
„Was? Schweigt still! Sagt lieber nicht nein. So-
lange ich bitten kann, hoffe ich noch. Antwortet lieber
garnicht; sonst fällt mir das Herz zur Erde ... Was?
Ihr müßt zu diesem langweiligen Menschen, dem
Domenico? Domenicaccio! Wann fängt denn Euer Essen
an? Um sechse schon! Wie die Stallknechte!"

Tann ergab sie sich in ihr Schicksal und spielte
mit den Blumen am Fenster.

* *

*

Also das war vor einer halben Stunde gewesen.
In der Zwischenzeit hielten wir Siesta, — ich ans dem

Zl

Fußboden, sie im „Atelicrfenster" hinter den hellblauen
Läden.

In der kühlen Bildhauerwerkstatt jenes Tomenico,
auf den sie jetzt so böse war, hatte ich sie im letzten
Karneval kennen gelernt. Als ich ihn eines Morgens
besuchen kam, saß sie da, ohne indessen zu „arbeiten",
und während sie mich neugierig musterte, sagte mir der
Bildhauer französisch: das sei ein Modell für mich, das
heißt, meinte er, mehr eine lebendige Grammatik, um
neapolitanisch zu lernen; für ihn sitze sie nicht ruhig
genug. Sie mache freilich auch nur Modell, um lachen
und schwatzen zu können, in Summa, um lustig zu sein
und dazu das Geld zu erwerben. Sie ziehe dies Leben
bereits seit einigen Jahren der Chance vor, ihren
d. h. ihren offiziellen Liebhaber heiraten zu
müssen, einen ganz wohlhabenden Hausbesitzer von
Castellamare, der freilich bedeutend älter sei als sie.
Einstweilen behandle sie den Herrn recht schlecht und
riskiere die sichere Zukunft an seiner Seite sogar stünd-
lich und mit vollem Bewußtsein. Sie habe ihre lustige
Unabhängigkeit in dem Maße lieb, wie sie sich vor
jener Heirat fürchte; und aus beiden Gründen sei mit
ihr nicht vorwärts zu kommen. Ihn, den Tomenico,
zum Beispiel, habe sie früher wohl ausgezeichnet, sich
aber zurückgezogen, als sie gesehen, daß ein für allemal
nichts andres als „Liebe" von ihm zu erreichen sei.
Ohne daß er doch reich genug sei, ihr eine etwaige
falsche Legierung dauernd zu vergolden. Indessen habe
sie durchaus nicht etwa lange gemault und komme nun,
nachdem dies klar gestellt sei, wieder, — von Zeit zu
Zeit, unbefangen, wie man einen alten Freund besucht,
wenn man seinen Rat braucht oder ihm im Vorüber-
gehen eine Aufmerksamkeit erweisen will, um über Kollegen
zu klatschen, sich Geld aufheben zu lassen, sich etwas zu
borgen rc. „Sie kommt nur so zu mir, sagen wir mal
als Geschäftsfreund. Kürzlich freilich muß es ihr schlecht
gegangen sein, denn sie kam zwei Tage hintereinander,
um sich „einen Kaffee" schenken zu lassen. Und gestern
noch bat sie mich ganz hungrig um einen „San Luigi"
— ein Butterbrod, weißt du. Ich gab ihr die 28 Cen-
tesimi, — draußen sah sie Blumen und kaufte sich natür-
lich für 15 Cts. Rosen, an denen sie sich satt roch."

Während dieser Mitteilungen Domenicos sah sich
die Barbarella, die selbstverständlich merkte, daß von ihr
die Rede war, im Studio um. Nachdem sie dann auch
mich genug betrachtet hatte, erwiderte ich ihr diese Auf-
merksamkeit. Dabei gewahrte ich, daß ihre stets heiteren,
strahlenden Augen einen verwunderten und dann un-
ruhigen Ausdruck annahmen, als ob sie etwas vermißten
oder suchten. Endlich blieben sie an einer Büste hängen,
die umgedreht, mit dem Gesicht gegen die Mauer, auf
dem Brett stand. Ich war hell genug, um zu merken,
daß es die ihrige war.

„Warum thust du das. Häßlicher?" unterbrach sie
uns heftig, — „bin ich nicht ebenso schön wie die
andern?"

„O ja", sagte Tomenico, „aber alle wollen deine
Adresse, wenn sie die Büste sehen, und sind wie närrisch,
jeder möchte dich im Atelier haben ..."

(Die Fortsetzung im nächsten Hefte)
 
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