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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Heilbut, Emil: Etwas über die Neu-Idealisten, [1]
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Unsre Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0097

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72

Etwas über die Neu-Idealisten. von kerinan Helferich — Unsre Bilder, vom Herausgeber

einer Kindervorstellung; Puvis de Chavannes ist aber ein
Poet, so daß inan nicht an eine Kindervorstellung auf
dem Theater denkt, sondern an eine, wie sie sich in
unserm Hirn entwickelt und abspielt bei der Lektüre von
Legenden und Märchen.

Im Pantheon wird Genovefa kniend gesehen und
wie ihre Pflegeeltern sie wegen ihrer Frömmigkeit be-
wundern; dann, wie zwei heilige Männer, Bischöfe, auf
einem Kahn, gleichsam zu einer Inspektion, in das Land
gefahren kommen und alles Volk herbeiströmt, um die Herren
zu begrüßen; der Hirt verläßt seine Heerde, die Kühe
drehen sich langsam und betrachten die Ankommenden,
die kleine Genovefa ist im Gemenge der Dorfleute, die
voll Respekt vor den Bischöfen sich verneigen; und indem
er die hohen Schicksale, zu denen das Kind auserkoren
ist, aus ihrer weißen Stirne liest, legt ihr ein Bischof
die Hand auf die Stirn und segnet das Kind. Leichte
barbarische Bauernhütten stehen in der Ferne gegen den
Märchenhimmel. . .

Andre Gemälde von Puvis de Chavannes (der jetzt
siebenzig Jahre alt sein mag und von dem man sagt,
daß er gegenwärtig, zum erstenmal, zu heiraten denkt)
stellen die Künste und die Wissenschaften dar als Frauen,
die in lieblichen Parkanlagen in jenen Trachten, welche
man schon in Florenz den Künsten und Wissenschaften zu
der Zeit von Botticelli und Filippino Lippi gab, weißen
Gewandungen, im Grünen lagern oder an Marmorsäulen
sich lehnen oder im Gespräch auf Wegen schreiten. Wir
sehen, daß diese Frauen aber inzwischen von ihrer

Manieriertheit eiugebüßt haben und freier geworden sind.
Bei Botticelli hat der Renaissancesinn die Musen, eine
pretiöse Neigung ihnen die seltsamsten Kleider gefunden —
bei Puvis de Chavannes ist weniger Pretiöses. An die
Stelle der abstrakten Ideale sind bei ihm fast normale
und sehr einfache Erscheinungen getreten; nur in einem
doch sehr starken Betonen des rein Psychischen vor dem
rein Physischen erkennt man den modernen Menschen
und den Künstler einer Dekadencezeit.

Er hat auch Bilder gemalt, die in näheren Zusammen-
hang mit den modernen allgemeinen Gefühlen treten: auf
einen sehr schönen Carton, der auch deutsche Ausstellungen
zierte, hat er die „Spiele für das Vaterland" dargestellt,
Jünglinge und Männer, die sich im Lanzenwerfen üben,
an einem Strom zu Anfang des Mittelalters. Die Frauen
und die Kinder schauen zu; die Knaben in schönen
Stellungen wiegen die schlanken Körper und begleiten
mit regem Interesse das Geschossewerfen. Die Land-
schaft zu diesem Bilde ist besonders schön, arkadisch lieblich
und einfach; ein großer Stil scheint wieder erreicht; und
doch ein Stil, dem wir nicht frostig gegenüberstehen.

Haben wir nun schon hier, wenngleich wir von
religiösen Darstellungen ausgegangen waren, Themen
idealen Inhalts, die von Puvis de Chavannes gemalt sind,
dieser Betrachtung beigesügt, so möchten wir auch im
folgenden mit einiger Freiheit den eigentlich religiösen
Themen alles beiordnen, was nicht realistisch und
nicht historisch, viel mehr poetisch und allgemein
gedacht ist.

(Der Schluß im nächsten Hefte)

Unsre Bilder

vom Herausgeber

st es im Ganzen nicht zu leugnen, daß der Kunst
die Schilderung des Entstehens der Menschen ein
viel dankbareres Thema bietet als die ihres Mordens,
so hat dennoch die Darstellung des letzteren zu allen
Zeiten die Künstler fast noch mehr beschäftigt. Wohl
ob des damit verknüpften größeren Lärms, der wie zu
fürchten selbst durch das rauchlose Pulver nicht allzu
sehr vermindert werden dürfte. Jedenfalls wird das
Vergnügen, so ganz im Stillen totgeschossen zu werden,
kaum viel größer sein. Wenn uns nun trotzalledem
die Schlachtstücke selten einen recht überzeugenden Ein-
druck machen, ja uns oft gründlich langweilen — man
denke nur an die Panoramen, wo der Massenmord ge-
wissermaßen fabrikmäßig betrieben wird, jedenfalls vor-
läufig noch mit sehr viel Dampf — so machen davon
nur die Bilder eine Ausnahme, wo es dem Künstler
gelingt, uns nicht nur das Stechen und Hauen, sondern
vor allem die Charaktere derer zu zeigen, die sich so
angenehm unterhalten. Blau kann nun nicht sagen, daß
speziell die deutsche Kunst gerade nach dieser Seite hin
sehr viel geleistet habe, und nur in der Charakteristik
des deutschen oder besser preußischen Soldaten ist Menzel
bahnbrechend gewesen. Seinen Einstuß sieht man denn
auch sehr deutlich bei dem Bilde des Eindringens der
Preußen in die Schanzen von Turin unter der Führung
des Fürsten Leopold von Dessau, das uns Knackfuß
so lebendig auf unserm Bilde vorführt und dabei ein

nicht geringes malerisches Talent entwickelt, dem man
nur leider auf unfern Ausstellungen kaum je begegnet,
da er fast immer monumentale Aufträge hatte. —

Von allen heutigen italienischen Volksschilderern ist
der Römer Joris derjenige, welcher nicht nur den besten
Humor hat, sondern auch die unteren Klassen seiner
Landsleute am besten kennt, besonders die weibliche
Hälfte derselben. Mit welch' unübertrefflicher Wahrheit
gibt er z. B. das leichte Nasenrümpfen wieder, mit dem
auf unfern Bildern gleichgültig an die Wand gelehnte
junge Frau die moralische Vorlesung ihres Gatten oder
Onkels anhört, der sich doch mit so viel Würde in die
Brust wirft. Und wie köstlich neugierig oder spöttisch
hören die Genossinnen zu, mit welch' unnachahmlich
vornehmem Anstande gehen die Promenierenden rechts an
der um den runden Kaffetisch versammelten Gruppe vorbei!
Diese Römerinnen gleichen am Sonntag alle Fürstinnen,
selbst wenn sie unter der Woche barfuß gingen! Die
Unsrigen aber beweisen samt und sonders durch ihre
Haltung auch uoch klärlich, daß bei ihnen Gründe so
wenig oder ja noch viel weniger verfangen als bei ihren
deutschen Schwestern. Das kleine Lustspiel geht aber
zum Überfluß auch noch in einer jener köstlichen Villen
von Frascati oder Albano vor sich, wie sie in gleich
berauschender Pracht auf der Welt nicht zum zweitenmal
existieren und von den heutigen Quirlten so unbefangen
benützt werden, als 'wären sie die wahren Eigentümer.
 
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