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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Unsre Bilder
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Weihnachtsbücherschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0117

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88

Unsre Bilder, vom Herausgeber, lveihnachtsbücherschau.

wenigsten aus einer durchaus skeptischen bewußten, in
eine naiv gläubige Zeit versetzen kann. Er gab also
resolut in seiner Himmelskönigin wie der heiligen Katarina
sehr gebildete, ja hoffähige Damen von heute und verlieh
auch seinem kleinen Christus gleich von vornherein eine
überlegene Intelligenz. Diese ist es, welche sein späteres
Unglück wohl erklärt, da es immer mißlich ist, so viel
besser und gescheiter zu sein, als seine Zeitgenossen und
einem notwendig deren Haß zuzieht. Glücklicherweise
kommt dieser Fehler äußerst selten vor und auch Anthony
hat ihn nicht begangen. Dagegen ist sein malerisches
Talent ganz unzweifelhaft und mau befreundet sich darum
immer noch weit eher mit dieser hochgeborenen Madonna,
als mit den sehr schmierigen Proletarierweibern, welche
uns die heutigen Naturalisten als solche aufdrängen
wollen. Die Alten, welche sie zur Königin machten,
empfanden eben sehr richtig, daß die Mutter Gottes
hoch erhaben über allen Sterblichen dastehen oder sitzen
muß und suchten dies in ihrer naiven Art durch die
Erhebung in den Herrscherstand auszudrücken. Notwendig
war das gerade nicht; die Madonna di San Sisto ist
sogar eine echte Proletarierin ihrem Kostüm nach, aber
mit Schmutz und Lumpen hat sie Rafael doch nicht
ausgestattet, sondern mit angeborner königlicher Hoheit
und Reinheit, was freilich schwerer ist.

Wie man sich Damen-Naivität und Unschuld in
einem Pariser Atelier vorstellt, wo sie doch nicht auf
einige Meilen in der Runde zu Hause sind, daß zeigt
uns sehr drollig Rafael Collin— in seinem „Daphnis",
der an einem schönen Morgen eben die Chloe bittet,
sein Butterbrot» mit ihm zu theilen; ein Anerbieten, das
sie nur mit vieler Reserve annimmt. Diese liebens-
würdige Ziegenhirtin hat sich aber soeben ausgezogen,
als sie der Maler im Naturzustände darstellen wollte
und ist Tank ihren energischen Anstrengungen bereits
sehr verständig, ja sogar ein wenig altklug geworden,
trotz ihres jetzigen leichten Kostüms. Welcher Unterschied
zwischen der etwas gemachten Unschuld dieses Paares
und der echten eines Audifax sammt seiner Hadumoth
in Scheffel's Eckehard. Wenn ich nun eine deutsche
Dichtung als Gegensatz zu dieser französischen Malerei
zitire, so soll damit nicht etwa gesagt sein, daß unsere
heutigen Maler vor purem Naturalismus bereits die
Empfindung für lautere Natur verloren hätten. Im
Gegentheil. In diesem Stück bleibt man an der Isar
leichter gesund als an der Seine, ja gerade unsere
jüngsten, man denke hier nur an Csok oder Th. Schmidt,
pflegen darin sogar die älteren, deren Naivität bereits
mehrere Auflagen erlebt hat, gewöhnlich zu übertreffen,
da man auch in der Kunst sehr selten über die Dreißig

hinaus naiv bleibt! Dagegen zeigt Collin's Bild eine
Solidität des Studiums und der Modellirung der beiden
netten Körper, die bei uns noch immer zu den seltensten
Erscheinungen gehört. Weit häufiger, als in den so oft
von den Modellen unserer Ziererei beeinflußten Figuren-
bildern, findet man die lautere Naturempfindung in den
Landschaften, da weder die Tannenbäume, noch die Eichen
zu kokettiren Pflegen, wenn man sie abmalt. — Hat dann
der Künstler einen so glücklichen Instinkt für das
Malerische in der Natur wie Meister Bai sch für alle
kleinen und feinen Reize des Zufälligen, so können in
der tief gemütvollen Art unserer Dörfer, die ja durch
ihren anspruchlosen Reichtum die schönsten der Welt sind,
solche liebenswürdige Frühlings-Idyllen entstehen wie die,
welche uns in dem Bilde eines badischen Dorfes „In
der Knospenzeit" durch ihre harmlos stillen Reize entzückt.
— Hier wird schon nicht mehr die leiseste Spur von
gesuchter Anordnung wahrgenommen; selbst das Gänse-
mädchen mit seinen großen und kleinen Pflegebefohlenen
ist offenbar hier sogar an seinem Platze, daß uns darob
ein ganz seliges Gefühl der nahenden Blütezeit über-
kömmt — jene Frühlingsahnungen, die uns so süß und
bange zugleich anmuten, wenn wir das allgemeine, aber
noch geheime Leben um uns herum zugleich mit den
ersten weichen und warmen Lüften fühlen. — Hier in
der Darstellung solcher ganz besonderer Naturerscheinungen
hat unsere Malerei unläugbare Fortschritte gegen die alte
Kunst aufzuweisen, obwohl sie gerade hier doch eigentlich
auch erzählt, was sie sonst theoretisch bei den Menschen
so sehr verpönt. Aus der unsäglich süßen und wohl-
tuenden Frühlingsluft eines deutschen Dorfes führt uns
Peter Paul Müller mitten in die grenzenlose Öde und
sengende Glut der algerischen Wüste am Rande des Atlas
und unter die wilden arabischen Gurgelabschneider, welche
die Karavanen zu geleiten pflegen. Düstere, aber groß-
artige Natur wetteifert hier mit der Wildheit der
Menschen und alles Erbarmen würde, da, wo selbst die
Lüfte nur von Geiern durchkreuzt werden und der nackte
Fels keine Spur von freundlichem Pflanzenwuchs zeigt,
verbannt scheinen, wenn dem nicht die Cisterne wider-
spräche, welche hier die Söhne der Wüste und ihre
durstigen Tiere gleichmäßig erquickt. Diese „Oase von
El Kantarah" ist in der Sandwüste am Rande des
Gebirges ein lange ersehnter Ruhepunkt und man muß
unserem Maler das Zeugnis geben, daß er die Wildheit
ihrer Umgebung, wie die der hausenden Menschen mit
großem Talent und nicht ohne jenes Stylgefühl wieder-
gegeben hat, wie es für die Darstellung des Südens
fast unerläßlich erscheint, dessen Formen hier seit Jahr-
tausenden starr und ungeändert geblieben scheinen.

WeihnuchtDücherschau

vom Herausgeber

Indem wir nun von dem schweren Geschütz der
kunstgeschichtlichen und sonstigen historischen Produktionen zu
denen übergehen, die uns blos mehr oder weniger geschmackvoll
und künstlerisch unterhalten wollen, so gilt das wohl auch von
den „Meisterwerken der Holzschneidekunst", die alljährlich die
besten Holzschnitte der Leipziger Illustrierten Zeitung in einem
eleganten Bande sammeln. (Leipzig, I. I. Weber, gebunden
18 M.) Hat unsres Erachtens der deutsche Holzschnitt sich auf

*) II iin vorigen Hefte.

III.*)

einen falschen Weg begeben, indem er es unternahm, mit dein
Kupferstich und der Radierung zu rivalisieren und sich überdies
zu sehr an die technische Behandlung der Amerikaner und Engländer
anschloß, die alles womöglich mit einer Strichlage auszudrücken,
so hat er dafür als gerechte Strafe den Reiz des Individuellen
verloren und eine oft unerträgliche Einförmigkeit dafür eingetauscht.
Indes findet man immerhin in unserm Lande auch eine gute
Reihe besserer Blätter, aber das beste vor allem ist doch der
 
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