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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Pecht, Friedrich: Die Münchener internationale Ausstellung von 1892, [6]
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Kunstgeschichte an unsren Hochschulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0431

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vom Herausgeber — Annstgeschichte an unsren Hochschulen

S4l

es nur zu oft sind, ist uns aber besonders das Theoretisieren schädlich, denn es führt uns in der Kunst oft
zu Narrheiten, die diesmal nur darum nicht so auffallen, weil die Hängekommission den gesunden Verstand
hatte, sie meistens so zu plazieren, daß sie einem nicht mehr die ganze Wand verleiden können, wie voriges
Jahr so oft der Fall war. Nicht immer leider ist das geglückt, aber dennoch ist die jetzige Ausstellung ein
glänzendes Beispiel, wie viel besser die deutsche Schule aussieht, wenn man sie fest zusammenhält und nicht
mit andern Kunstwerken vermischt, so die Haltungs- und Charakterlosigkeit, den Mangel an nationaler Selbst-
achtung, die uns so oft im Leben verunzieren, auch noch in die Kunst übertragend. Dafür sind die Deutschen
fast die einzigen, die noch naive Künstler besitzen, und das wiegt viel auf. —

(Die Fortsetzung im nächsten Hefte)

Kunstgeschichte an unsren Hochschulen

-Deutscher Kunstsinn und deutsche Bilderfreude sind von altersher mit Nachdenklichkeit und Wissensdurst, mit
Gemütsinnigkeit und Gefühlswärme fast unlöslich verbunden. Die Frage nach dem Gegenstand der Dar-
stellung eilt der sinnlichen Auffassung des sichtbaren Gebildes voraus, die Beschäftigung mit dem geistigen In-
halt umrankt die künstlerische Form mit dem schnell wuchernden Schlinggewächs der eigenen Phantasie des
Beschauers, und über dem Hirngespinst poetischer Beziehungen, das sie selbst aus sich entwickelt, wird die augen-
fällige Erscheinung, die sich darbot, gar bald vergessen. Deshalb kühlt sich die Teilnahme in unfern Aus-
stellungen sofort fühlbar ab, wo statt der Bilder eintönige weiße Skulpturen aufgereiht sind, deren jede still
auf sich selber beruht, und für Bauwerke vollends versagt das Verständnis der Mehrzahl durchaus, zumal wo
weder Bewohnbarkeit noch öffentliche Bestimmung, weder historische Erinnerungen noch nationale oder kirchliche
Bedeutung dem Genuß der Raumschöpfung ein andersartiges Interesse unterschieben. Die theoretischen Neigungen
und gelehrten Anwandlungen unsrer erklärten Kunstfreunde sind denn auch oft genug bespöttelt worden und
als Feinde alles gesunden Gedeihens der bildnerischen Schöpferkraft verschrieen.

Sollte es da nicht ratsam sein, mit dieser Naturanlage zu rechnen und gerade sie zunächst zur Bundes-
geuossin zu machen, wo wir dem Sinn für künstlerische Dinge mehr und mehr Boden gewinnen möchten?
Sollten wir nicht gerade an den Hochschulen, wo die Mehrzahl unsrer Gebildeten ihren abschließenden Unter-
richt und ihre entscheidenden Anregungen fürs Leben empfangen, den Kunststudien eine ausgedehntere Stätte
bereiten? — Das sind die Erwägungen, von denen ein Vertreter der neueren Kunstgeschichte an unsren Uni-
versitäten ausgeht, indem er den Betrieb dieses Faches als Lehrgegenstand einer eindringlichen Betrachtung
unterzieht.*) Schon dieser Standpunkt des Gelehrten ist bezeichnend, auch wenn seine Erörterungen absichtlich
sich auf den engern Kreis der wissenschaftlichen Behandlung beschränken; es ist wohl der Standpunkt der „Kunst
für Alle", und wir mögen getrost einige Gedanken daraus mitteilen.

Als im Laufe der letzten Jahrzehnte auch der mittelalterlichen und neuern Kunstgeschichte auf unsren
deutschen Hochschulen ein Lehrstuhl nach dem anderneingeräumt ward, —und noch heute ist es nur eine kleine
erlesene Zahl, — da waren es eben noch vielfach litterarische oder philosophische, mehr kulturgeschichtliche
Interessen im allgemeinen Sinne, welche die Hereinziehung auch der Werke bildnerischen Schaffens in die wissen-
schaftliche Bettachtung jener Zeitläufte veranlaßten. Seitdem ist durch das Aufblühen unsrer Museen eine tief-
gehende Wandlung eingetreten. Die Verwaltung und Bearbeitung der mannigfaltigen Sammlungen haben
zahlreiche Kräfte erfordert, die sich oft erst durch die Erfahrung im Sinne des wachsenden Betriebes ausbilden
konnten, und diese Gemäldegalerien, diese Säle mit Originalwerken der Plastik oder Gipsabgüssen, diese Kupfer-
stichkabinette und Musterstälten des Kunstgewerbes haben sich zu eigenen Unterrichtsanstalten und Quellen der
Geschmacksbildung entwickelt, deren Anziehungskraft die der Schulstuben leicht überbietet. Die glanzvollen
Museen mit ihrem vielgestaltigen Inhalt locken die akademische Jugend mehr, als Vorträge über Kunst vom
Katheder des grauen Hörsaals, und wer mit den Kunstwerken selber tagaus tagein verkehrt, scheint größere
Berechtigung zu gewinnen, uns in das Verständnis ihres Wertes einzuführen und ihre Entstehung zu erklären,
als der gelehrte Professor, der hinter seinen Büchern sitzt.

Dieser Zwiespalt erweckt Bedenken genug, wenn Universität und Museen weit voneinander liegen, in
zwei Städten getrennt, wie Dresden und Leipzig, Kassel und Göttingen, Karlsruhe und Heidelberg. Nur in
großen Hauptstädten, wo Hochschulen und Kunstschätze vereinigt sind, wie in Wien, Berlin, München, scheint
ein gesunder Ausgleich und fruchtbare Wechselwirkung möglich. Gerade an solchem Ort jedoch, in Berlin, ist
eine prinzipielle Teilung versucht worden, die zu verhängnisvollen Mißständen führen muß, besonders wenn
die Käiserstadt einen vorbildlichen Einfluß auch auf den Betrieb des Unterrichts an andern Hochschulen aus-
üben sollte. Die außerordentliche Thätigkeit, die sich an den Berliner Museen seit einigen Jahrzehnten entfaltet,

*) August Schmarsow, Die Kunstgeschichte an unsren Hochschulen. Berlin, G. Reimer, 189l. 8". (Preis 2 M. 40 Pf.)
 
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