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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Floerke, Gustav: Meine lebendige Grammatik, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0084

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61

Meine lebendige Grammatik

von Gustav Llverke

(Fortsetzung aus

^he ich in die,Tasche greifen konnte, zog der fremde

Herr, als ob die Barbarella nur mit ihm ge-
sprochen haben könne, die Hand mit einer Börse hervor
und drehte sich lächelnd ganz zu ihr um.

„Wieviel brauchst du, mein schönes Kind?"

Die Barbarella lehnte sich nachlässig an einen Atelier-
bock, sah uns an und den Fremden und fragte dann,
mit dem Kopf nach .ihm deutend, in gutem Italienisch:

„Mit wem spricht dieser schöne Herr? Sagt er
was? Zu mir? Nette Erziehung das, was? Sagt
ihm, er soll sich für das Geld eine bessere beibringen
lassen!"

Der fremde Herr hatte inzwischen ruhig lächelnd
ein Zwanzigfrancs - Stück hervorgesucht und unternahm
es nun, die Barbarella in die Backen zu kneifen. Da-
bei sah er unsäglich sicher und überlegen aus; offenbar
kannte er solche Scherze und war eben im Begriff der
„hübschen Kleinen" (wie er zu Domenico sagte) sein
Universalmittel gegen Prüderie in die Hand zu drücken.

Aber er faßte mit beiden Händen Luft.

Die Barbarella war einen Schritt zurückgetreten
und sah ihn von unten bis oben an — ich danke für
den Blick! Aber natürlich fühlte und schätzte ich die
Entrüstung des Mädchens . . .

„Unverschämter!" sagte sie verächtlich, und als ob
dies Wort den Überflüssigen hätte in den Erdboden ver-
schwinden lassen, begann sie, ruhig an ihm hinwegsehend,
mit mir zu plaudern.

Der weltmännische Herr deckte den unerwartet nötig
gewordenen Rückzug mit einem Achselzucken und verab-
schiedete sich gleich darauf verbindlichst von Domenico.

„Barbara", sagte dieser, der schon lange ungeduldig
an seiner Zigarre modelliert hatte, als jetzt der Mann
hinaus war, „Barbara, ein andermal jag' mir nicht meine
Käufer weg. Diesmal lag zufällig nichts daran. Alles
war ihm zu groß oder zu klein. Ob ich keine Nummer
dazwischen hätte? Kämeel! Ich soll ihm was machen
nach seinen Angaben, und dann will er auch noch han-
deln. Für die Sorte arbeite ich nicht, ist mir zu dumm.
— Aber wie das Mädel ihn anschmetterte, was? Das
Hemd sollst du haben ... so hör' doch . .., Barbarella!
Barbara! . . . Du, mit dem Toben und Tanzen ist's
nichts; der Boden bricht ein, oder meine sämtlichen Werke
fallen vom Gerüst . . . ruhig, du Teufel! . . . oder"
(das Mädchen ergriff den Kleinen an den Schultern und
sprang mit ihm, wie mit einer großen Puppe, herum).
„. . . So, wenn du das Hemd haben willst", sagte Do-
menico atemlos, „setzt du dich zur Strafe und sitzt still,
einen Augenblick wenigstens, und machst das Gesicht von

dem vorigen Hefte)


vorhin noch einmal — das werd' ich dem Edlen an-
bieten, wenn er wiederkommt — so, vorzüglich! Aber
stillgehalten!"

Domenico nahm das nasse Tuch von einer Figur,
stieg auf den Tritt und begann in dem weichen Ton
des Gesichts herumzugraben. Aber nach wenigen Minuten
hörte er lachend wieder auf.

„Wenn du nicht willst, bist du dumm", sagte er,
„aber man muß wenigstens lachen. Wenn du willst,
hast du den Teufet im Leibe."

Die Barbarella saß nämlich wohl ruhig, aber ihre
Haltung ward ganz allmählich und vorsichtig zu der ge-
schraubten hölzernen Pose anderer Modelle. Bei dem
letzten Kompliment Tomenicos ward sie plötzlich wieder
von innen aus hell und lebendig. Sie hatte noch immer
den Kopf stolz im Nacken, wie es die Stellung vorschrieb,
aber sie lachte dazu glücklich in sich hinein. Und jetzt
schlug sie plötzlich die Hände klatschend zusammen und
trommelte mit den Füßen.

Domenico bedrohte sie mit der Bildhauerspritze,
lachte aber kopfschüttelnd mit.

„Barbaro — du! — so hör' doch! Kannst du
nicht wenigstens fünf Minuten still halten? Nur fünf
ganz kleine, kleine Minuten."

„Nein", sagte das Mädchen, den Kopf und alle
Glieder ausgelassen schüttelnd.

„Ich gebe dir fünf Soldi."

„Dann ja."

Und nun saß sie baumstill. Aber wie lange? Erst
fing es in ihren Augen an zu flimmern, zugleich ver-
suchte es der Kobold innerlich mit einer lustigen Me-
lodie und schlug mit dem Absatz leicht den Takt dazu.
Dann schnitt sie Gesichter, sobald der Bildhauer auf seine
Arbeit sah. Endlich lachte sie laut, trampelte und
sprang auf.

„Lanka, xarsisn^a! Es geht nicht. Mir thun die
fünf Soldi leid, aber —- es geht nicht. ,^on xossn-
ninsfi wie der Römer sagt."

Sie war im Begriff, zur Entschädigung für das
„lange Stillsitzen" das ganze Atelier auf den Kopf zu
stellen. Aber Domenico kaufte sich los. Er gab das
Arbeiten für heute auf, stellte die Spritze in die Ecke
und wir tranken einen Liter Wein zusammen, den die
Barbarella holen ging.

Dann kamen noch einmal Karnevalssorgen über die
krause lockenverhängte Stirn.

„Weiße Handschuhe muß ich haben, — hm" —
(mir schien, als ob ihr Blick unsre Hände streifte) „wer
gibt mir die?" Dabei sah sie Domenico fragend an.
 
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