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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Lutsch, Hans: Das Kämmereigebäude in Neisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0298

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vom Herausgeber — Das Aämmereigebäude in Neiffe. von Hans Lutsch

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besonders aus dem Leben der Kinder, das die Alten nur
selten in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit und so
gründlich verschiedenen Anmut wiederzugeben verstehen.
Da bringt uns diesmal z. B. Fräulein Walther, eine
sehr hoffnungsvolle Münchener Künstlerin, in ihrem
allerliebsten „Kleeblatt" eine so fein beobachtete Szene
aus dem Leben der Kinder einer vornehmen Familie,
wie man sie sich nicht anmutiger denken kann. Wie das
kleine Baby links gleich auch zu kritzeln versucht, weil es
den Bruder zeichnen sieht, während die elegante ältere
Schwester sich damit begnügt, sein überlegenes Talent zu
bewundern; das ist so fein der Natur abgelauscht, daß
man nur seine Freude an solch gesundem, keinen krank-
haften Modetheorien entsprungenem Kunstwerk haben kann.
Auch alle Nebendinge sind mit Verstand in Bezug zum
Ganzen gebracht; so zeigen uns die Palmkätzchen am
Fenster, daß der Frühling ins Land gezogen und der
Eisbär an der Wand, daß der Winter im Abzug be-
griffen, wie der Vogel rechts, daß jetzt die Zeit des
Singens gekommen, was alles den Eindruck dieser hoff-
nungsvoll aufblühenden Jugend verstärkt, die da so
allerliebst emsig am Tische arbeitet. In den noch
weiter aus Frl. Clara Walthers Skizzenbuch mitgeteilten
Zeichnungen sehen wir dann nicht nur, wie genau sie es
mit dem Figurenzeichnen nimmt, sondern auch, welch

auffallend schöne Begabung sie für die Landschaft hat,
auch da jenes Talent scharfer Charakteristik bewährt,
welches eben doch die Seele aller Kunst bleibt.

Wer hätte vom Giardino publico oder von
St. Elena bei Venedig aus über die spiegelglatte Lagune
hinweg nach der Königin der Adria hingeblickt und wäre
nicht entzückt gewesen von der märchenhaften Pracht, die
da aus der sonndurchglühten Flut vor ihm auitauchte?
Der vollkommen einzigen Art dieses Schauspiels entspricht
denn auch die Häufigkeit, mit der es dargestellt wurde,
da es eigens zur Bezauberung der Maler erfunden scheint
und sie immer wieder anlockt, dessen Wiedergabe zu ver-
suchen. Auch der leider vor einem Jahre viel zu früh
verstorbene Malchus hat dies in unserem heutigen Bilde
nach dem Vorgänge von Ziem und dem noch besseren
Ciardi versucht und es ist ihm vortrefflich gelungen,
das Weite, Große, den unermeßlichen Horizont dieser
einzigen Szene zu geben, die niemand im Leben je wieder
vergißt, wenn er sie einmal gesehen. — Auch die eigen-
tümlich malerischen Boote der dortigen Fischer tragen
neben den verschwiegenen Gondeln nicht wenig zur Be-
lebung derselben bei, wie denn das Phantastische, Ge-
heimnisvolle recht eigentlich der Grundzug dieser wun-
derbar fesselnden Szene ist, der sie von allen ähnlichen
so durchaus unterscheidet.

DaF Lämmereigeüäude in Meiste

von Dans Lutsch ch, ck b

(gegenüber der großen Zahl baulicher Leistungen, welche die
Renaissance dank des im 16. Jahrhundert mächtig gestei-
gerten Wohlstandes wie in Deutschland überhaupt, so insbesondere
auch in Böhmen und seinen Nebenlanden hervorgebracht hat, ist
die Monumentalität ihrer Schöpfungen immerhin recht gering.
Harmlos verwertete der meist noch in die Zunft der Steinmetzen
und Maurer eingepferchte und erst gegen Ende des Jahrhunderts
in lebhafterem Freiheitsdrang und in stolzem Bewußtsein des
Wertes seiner Persönlichkeit ebenso wie Maler und Bildschnitzer
sich mehr und mehr dem Kleintreiben des Bürgertums entschlagende
Baumeister, was er in den gelegentlich seiner Wanderschaft ge-
führten Skizzenbüchern und in den schon bald nach ihrem Er-
scheinen auch in Deutschland bekannten Architekturwerken eines
Serlio, Vignola und Pallad io und in den zeitgenössischen
ornamentalen Vorbildersammlungen niedergelegt findet. Dazu
kommt, daß, nachdem die erste Hälfte des Jahrhunderts eine
Reihe politisch und kulturgeschichtlich bedeutender Männer her-
vorgebracht hatte, jene zweite Hälfte auffallend arm ist an geistigen
Größen; insbesondere auf künstlerischem Gebiete geht das Streben
mehr in die Breite als in die Tiefe; es ist mehr Luxus, der in weite
Kreise des Volkes eindringt und der sich namentlich in der Kleidung
und für die Feste, aber auch für die Geräte des Haushalts und
für das Haus selbst Geltung verschafft, als die Ausgestaltung
neuer Ideen mit dem Stempel von Jugendfrische auf der Stirn,
welcher sich in den Schöpfungen der Bau- und Kleinkunst um
die Wende des 16. Jahrhunders offenbart.

Ganz dieses Gepräge zeigt auch der um 1604 aufgeführte
Neubau des Rathauses in der Hauptstadt des Neisfer Bischofs-
landes, das jetzt der städtischen Geldverwaltung dient. Der all-
gemeine Aufbau war durch die Abbildungen Lübkes, Ortwein-
Bischofs und insbesondere den trefflichen Lichtdruck der von K.
E. O. Fritsch herausgegebenen Sammlung deutscher Renaissance-
Architekturen zur Genüge bekannt, und vollauf war der kräftige
Ernst gewürdigt, der sich in den straffen Triglyphengesimfen und
in dem durch die vornehme Schlichtheit der Konsolen besonders
energischen Hauchtgesims offenbart, das hier wider die Gewohnheit
deutscher Meiner sich auch um die Giebelseite heruryzieht. Ge-
würdigt war auch*) die dekorative Pracht in der Ausgestaltung des

*) Am vollständigsten im Centralblatt der preußischen Bauverwaltung,
1891. S 328 und im beschreibenden Verzeichnis der Ktinndenkmäler Schlesiens
— Band IV, S. 109. — Vgl. Lübecke, Geschichte der Renaissance in Deutsch-
land II. S. 195.

zielbewußt gegliederten Giebels mit dem reichen, wenn auch im
einzelnen unbedeutenden plastischen Figurenschmuck, in der keck
aufgelösten Umrißlinie, die in den die kahlen Dachflächen belebenden,
ähnlich gegliederten Dachgaupen wiederklingt; gewürdigt war auch
die festliche Wirkung der Wagehalle, die jetzt als einziger Rest
der langen, den Marktplatz und die angrenzenden Hauptstraßen
umkränzenden Laubenreihen dasteht, wie sie in Nachahmung
orientalischer Vorbilder auf deutschem Boden namentlich im Gebiet
des ehemaligen Königreichs Böhmen vorhanden sind.

Nicht so verbreitet war die Kenntnis von der reichen Be-
malung und Sgrafsitierung, wie sie sich noch ziemlich deutlich auf
dem Lichtdruck der Fritsch'schen Sammlung erkennen läßt. —
Die Abbildung, welche wir unfern Lesern Seite 267 vorführen, gibt
den Eindruck der Neubemalung, welche die Stadtgemeinde in den
Jahren 1890—1891 von Prof. Jrmann, Vorsteher der Klaffe
für Dekorationsmalerei an der Kunstschule in Breslau, anknüpfend
an die alten Übertieferungen vornehmen ließ. Sie ist sowohl in
der Einzelausbildung als auch teilweise in der Gesammtcompo-
sition und in der leuchtenden Farbenstimmung neu und indivi-
duellen Gepräges. Die Ausführung erfolgte in Keim'schen
Mineralfarben, die hier hoffentlich der Witterung und dem Fa-
brikruß länger Widerstand leisten als an dem vor einigen Jahren
teilweise bemalten Ostgiebel des Breslauer Rathauses, wo ins-
besondere die blauen Gründe stark verblaßt sind.

Die Darlegung der Einzelmotive, für weitere Kreise kaum
von Interesse, scheint an dieser Stelle entbehrlich, zumal sie dem
Jdeenkreis einer Zeit angehören, die mit der unsrigen wenig Be-
rührungspunkte bietet, die somit als Vorbild für vollständige
Neuschöpfungen nicht recht geeignet sind. Nicht unerwähnt aber
bleibe ein Mangel des Programms, den zu verbessern Prof.
Jrmann nur halb gelungen ist. Sind schon die plastischen Einzel-
heiten der Giebelkante unvollendet geblieben, fehlt z. B. die Lanze
der ihn krönenden Schildhalterin, obwohl die Spitze in Gestalt
der heraldischen Lilie aus dem Stadtwappen vorhanden ist, sind
die Fähnlein und Flamnienkugeln auf den Spitzsäulchen nicht
ergänzt worden, obschon sie noch in der Erinnerung älterer Zeit-
genossen fortleben, haben die nur rein dekorativ wirkenden Figuren
trotz deutlicher Farbspuren sich mit einem grauen Anstrich begnügen
müssen, so sind vollends unter Mißachtung der perspektivischen
Wirkung die Längswände samt dem ununterbrochen durchlaufenden
Traufgesims und samt den sich darüber erhebenden Dachgaupen
gerade nur soweit bemalt, wie sie über die Flucht des Häuser-

in- A-nst für All- VII

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