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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Brandes, Otto: Pariser Brief
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Unsre Bilder
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Pariser Brief, von Vtto Brandes — Unsre Bilder, vom Herausgeber

den geflügelten weiblichen Gestalten, Blumenduft ge-
nannt, sind ein Stück poesievoller Malerei im Stile des
Signorelli, andere knüpfen an die trockene Strenge des
Mittelalters an, eine Naivität heuchelnd, die sie nicht
besitzen und eine Einfachheit der Technik erstrebend, die
ein Anachronismus ist. Andere wieder wie Martin
Egusquiza malen Bilder, die in jeder anderen Aus-
stellung auch Aufnahme finden könnten. Was ich am
meisten aber vermisse, das ist eine wirklich originelle
nicht kindische persönliche Note. Man wird dessen gar
bald inne, daß alles affektiert ist und der Wahrheit der
Empfindung ermangelt. Schon aus diesem Grunde allein
wird die Richtung der Roscnkreuzer keinerlei Einfluß
auf die Kunst gewinnen, wenn der Sar Peladan auch
noch so große Worte macht und mittels seines Kunst-

idcals die bevorstehende mongolische Invasion zu zivilisieren
hofft. — Es wäre ungerecht, hier nicht noch der trefflichen
Skulpturen zu gedenken, welche die Firma Wallgren
hierhergesandt und die jeder anderen Ausstellung zur
Zierde gereichen würden. Eine kleine Aschenurne, die
beiden engvergeschlungenen Figuren: „Trost" genannt
und vor allem sein „Christus" gehen weit über das
sonstige Niveau dieser Ausstellung hinaus. Auch eine
flott aufgebaute Gruppe sich küssender Engel von Dampt
soll wegen ihrer glücklichen Stimmung und süßen Naivität
nicht unerwähnt bleiben.

In dem Augenblick, wo ich diese Zeilen schreibe,
öffnet sich der Teinpel der „Jndependants" mit seinen
unkontrollierten Einsendungen, eine köstliche Quelle des
Humors. Doch davon ein anderes Mal.

Unsre wilder

Vom Herausgeber

aß unsre Malerei in der feinen Charakteristik
bestimmter, der Gegenwart oder Vergangenheit
ungehöriger, immer aber der eigenen Volksgeschichte ent-
nommener Epochen bisweilen einen Grad von packender
Wahrheit erreicht habe, wie es keiner früheren Zeit auch
nur entfernt so gelungen, das haben wir erst neulich bei
W. Diez' Episode aus dem dreißigjährigen Krieg be-
haupten und auch beweisen können. Brauchte man da
doch blos auf Menzels derartige Werke oder auf an-
deres hinzuweisen, was Alf. Rethel, Janssen, Bleibtreu,
A. v. Werner, Scholtz, Marr, Hugo Vogel, Fritz Räuber
u. A. gemacht! An sie, die unzweifelhaft unserer
Historienmalerei eine neue und viel verheißende Wendung
gegeben, schließt sich nun als jüngster der Düsseldorfer
Arthur Kampf an, dessen Kaiser Wilhelm auf der Toten-
bahre wir früher gebracht, der aber mit unserer heutigen
„Einsegnung der Freiwilligen im Jahre 1813" jenes
Bild unstreitig an Tiefe der Empfindung noch übertroffen
hat. Offenbar ließ er sich bei seiner Komposition von
der meisterhaften Darstellung leiten, die Gustav Freitag
im letzten Bande seiner „Ahnen" von solcher Ein-
segnung in einer einsamen Dorfkirche gibt. Manche
Gruppen, wie den Mann mit der Frau und dem Knaben
und den Doktor ganz vorne oder den Pfarrer selber hat
er wohl der Schilderung des Dichters entlehnt, im
Ganzen aber mit vollem Recht doch hauptsächlich die
gebildeten Klassen in ihrem Verhalten geschildert. Das
ist ihm aber denn auch meisterhaft gelungen; diese
Männer sind nicht nur alle echte Norddeutsche, ja Schlesier
aus jener nach dem Rausch des Zopfes so gründlich
ernüchterten Zeit, sie sind aber auch alle von jener todes-
mutigen Entschlossenheit beseelt, wie sie dem damaligen
Preußen zu ewiger Ehre gereicht. Auch die Frauen sind
trefflich gelungen in ihrer zwischen Angst und Opfer-
freudigkeit schwankenden Stimmung. Das Ganze aber
spiegelt, wie gesagt, jene Zeit, die den Grund zu Deutsch-
lands heutiger Größe gelegt, unübertrefflich wieder,
obwohl sie selber noch so wenig Vorteil davon ernten
sollte. Daß hier aber in der Darstellung einer bestimmten
Geschichtsperiode und der sie beherrschenden Empfindungen
die Malerei etwas leistete, wobei ihr selbst die Dichtkunst

nicht Nachkommen kann, soweit es das ganz Individuelle
der Erscheinung und des Volkes betrifft, das zeigt uns
auch, wo sie ihre schönsten Lorbeeren zu suchen hat und
man muß nur hoffen, daß unser Künstler dem mit so
großem Erfolge eingeschlagenen Weg auch treu bleiben
möge, der ihn bereits zu zwei Schöpfungen von unver-
gänglichem Wert geführt.

Von allen Werken der englischen Kunst, die wir
auf der letzten Münchener Ausstellung in so großer Zahl
zu genießen bekamen, hatten die Bildnisse doch den un-
zweifelhaftesten Wert, während bei den meisten andern
die den Engländern anhaftende Neigung zur Manier doch
oft den Genuß beeinträchtigte. Im Porträt hat sich
freilich die englische Kunst auch von jeher am meisten
ausgezeichnet, und die West, Reynolds und Lawrence
dürfen sich ihrer heutigen Nachfolger wahrlich nicht schämen.
Zu den besten derselben zählt unstreitig Ouleß, von dem
wir hier einen alten Herrn bringen, der in der unge-
zwungenen Haltung wie in seiner freien, flotten Behandlung
direkt an das Vorbild des Van Dyk erinnert. Der
Mann hat übrigens einen so durchdringenden, forschenden
Blick, daß man wohl einen Künstler, Litteraten oder
zum mindesten einen Kunstliebhaber und Sammler in
ihm vermuten möchte, ganz gewiß aber keinen Kaufmann
oder Fabrikanten. —

Zu den interessantesten Wirkungen, welche die
Entstehung Italiens als einheitlicher Staat gehabt, gehört
das rasche Aufblühen einer ganz selbständigen Malerschule.
Die früher neben der Skulptur kaum beachtete italienische
Malerei warf sich mit der wiedcrgekehrten Freude am
eigenen nationalen Leben alsbald auf die Volksschilderung
und hat hier bald einen Schatz von anmutigen und
rührenden Bildern voll packender Wahrheit hervorgebracht,
wie wir heute eines von dem Florentiner Ricci bringen.
Dasselbe zeigt uns ein altes Bauernpaar, welches der bei
einer vornehmen Herrschaft in der Stadt als Stuben-
mädchen dienenden Tochter seinen Besuch macht. Wie
es die anständigen Bauern auch bei uns Pflegen, haben
sie gleich die Bezahlung für ihre Bewirtung in Gestalt
von einem Truthahn und einer Ente sammt ein paar
Flaschen Wein zum Hinunterschwemmen mitgebracht. Es
 
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