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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Brandes, Otto: Pariser Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0275

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von Dtto Brandes

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Karawansrrai vor den Thoren von Kairo, von Adolf v. Meckel

man erzählt, sie habe sich durch irgend welche Unzart-
hciten der Republik verletzt gefühlt.

Die Künstlerin, die der Musiker Schauu, der Typus
des Schaunard, in der Vie Lolieine „Eine Ascetiu
der Arbeit und der Tugend" nennt, hat ein offenes Herz
und eine offene Hand für die Leiden der Kunstgenossen,
die nicht genug die Zartheit rühmen können, mit der sie
gibt. Rosa Bonheur hat in ihrem Leben nur zwei Ge-
fühle gekannt, die grenzenlose Liebe zu dem Vater und
den Ihrigen und die grenzenlose Liebe zur Kunst; hierzu
soll sich nach einigen ein kindischer Chauvinismus gesellt
haben. Wir wollen hierüber hinwegsehen und darum
nicht weniger der großen Künstlerin und der braven Frau
zu ihrem 70. Geburtstage ein frisches fröhliches Weiter-
schaffen im Zeichen der Wahrheit und der Natur wünschen.
Wie auch mit fortgeschrittenem Alter der Blick sich trüben,
wie auch der Pinsel in der Hand, die ihn so ruhmvoll
geführt, schließlich erzittern mag, sie werden immer noch
Gesünderes zu Tage fördern als in der gesammten, das
große Ereignis der letzten Tage bildenden Ausstellung
der Rosenkreuzer zu finden ist.

Die Gründung des Rosenkreuzer-Ordens durch den
Sar Peladan gehört nicht in das Bereich der Besprechung
in diesen Blättern. Hier möge nur erwähnt sein, daß
der Orden auch seine eigene Ästhetik hat, die in dem Grund-
satz gipfelt, Zeichnung, Technik sind nicht unerläßliche Er-
fordernisse der Kunst, die Hauptsache ist der Gedanke,
am besten der symbolische Gedanke. Es ist diese Richtung
vielmehr ein läppischer Protest, als eine Reaktion auf
den sich allzubreit machenden Materialismus und Na-
turalismus. Es ist nicht abzuleugnen, daß sich in der

letzten Zeit ein Bedürfnis nach sittlicher Einkehr auch
in der Kunst bemerkbar macht; der Materialismus be-
friedigt die Künstlerphautasie nicht, und ich habe schon
mehr als einen Maler sagen hören: „Ich möchte wohl
einmal wieder ein mein Herz befreiendes und befriedigen-
des inniges religiöses Bild, anstatt der der trübseligen
Wirklichkeit entnommenen Szenen malen." Ein solches
Empfinden ist begreiflich, aber nicht begreiflich ist mir
der Meschuggismus, wie ihn uns ein Teil der Rosen-
kreuzer verzapft. Da haben wir allerhand Visionen und
Verkündigungen, allerhand unverständliche und geheimnis-
volle Dinge anzuschauen, über eine mit unverkennbarem
Geschick gezeichnete Tryptyk, „Aurore" genannt, uns nicht
bloß den Kopf zu zerbrechen, sondern auch vor dem
indezenten Weiberleibersalat zu erröten, wenn wir nicht
vor dem absoluten Blödsinn, wie ihn uns ein Schweizer
Namens Trechsel auftischt, starr sein müssen. —
Da begegnen wir allerhand dunsthaften Darstellungen
von Allegro und Andante, von Mensch gewordenen
Wogen und aufsteigeuden Nebeln, von Parfüms und
Geisterküssen. Im Äther schwimmen die starrdreinblickenden
Köpfe leidenschaftsloser Androgynen, vor Sphynxen
stehen und lagern allerhand unheimliche Gestalten. Die
„Trostlosigkeit" starrt uns aus einem violetten Kopfe
entgegen. Natürlich bleibt uns eine Szene der Apo-
kalypse nicht erspart und überall spuckt der wagnersche,
irrig verstandene, sinnliche Mystizismus. Wie alle
Extreme sich berühren, so auch hier wieder der Mystizis-
mus und der Naturalismus in der Negierung des Schönen.

Einzelne Arbeiten von Alexander Se'on machen
hiervon eine Ausnahme. Seine über der Erde schweben-
 
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