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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Brandes, Otto: Pariser Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0274

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pariser Brief

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22. März ihren 70. Geburtstag feiernden Rosa Bonheur.
Die, wenn auch minder als diese begabte, doch immer
noch hochtalentierte Künstlerin zeigt in ihren Werken eine
liebevolle Vertiefung in die Tierwelt. Die vielen Hand-
zeichnungen und Skizzen legen von einem rastlosen Fleiß,
von einer nie versiegenden Freude an der Beobachtung
Zeugnis ab. Dem eben dem Ei entschlüpfenden Küchen
in seiner dummen Unbehendigkeit, dem auf den unsicheren
Beinen herumbockenden Lamme, den ernst dreinschauenden
Rindern wird die den Bonheurschen Kindern vom Vater
anerzogene Gewissenhaftigkeit des Studiums eutgegen-
gebracht. Es ist ein eigentümlich Ding, wenn sich dem
interessevollen Beschauer die geistige Werkstatt eines für
seinen Beruf begeisterten Kunstjüngers aufthut, wenn sein
Schaffen und Ringen wie ein offenes Buch vor uns liegt.
Ehrliche und fügen wir hinzu fruchtbringende Arbeit ist
cs, die uns aus dieser Sammlung entgegenleuchtct, mehr
Arbeit und Fleiß als Genie. Vor allem aber enthält
diese Kollektivausstellung eine rückhaltslose Hingabe an die
Natur, wenn auch vielleicht nicht ein vollständiges Erfassen
der Poesie derselben. Die Werke der Madame Peyrol-
Bonheur sind trockener als die von einem feinen idea-
listischen Silberstreifen eingefaßten Arbeiten der genialen
Rosa Bonheur.

Bei dem Herannahen des 70jährigen Geburts-
tages der Meisterin ist es vielleicht angezeigt, einen kurzen
Rückblick auf diese glänzende Künstlcrlaufbahn zu werfen.

Von der zartesten Jugend an zeigte sich bei Rosa
Bonheur ein nicht zu bändigender Gestaltungstrieb. Uu-
geberdig gegen alles, was Schulzwang hieß, konnte sie
tagelang sich in Feld und Wald herumtreibcn, um daun
im Sande das Erschaute zur großen Verwunderung und
Bewunderung der zufälligen Zuschauer mittelst eines
Steckens in großer Korrektheit lebendig bewegt wieder-
zugeben. Als auch ein letzter Versuch fehlgeschlageu war,
dem jungen Mädchen eine abschließende Schulbildung zu
geben, nahm der Vater, dem die Frau früh gestorben
und der, obwohl selbst ein begabter Maler, bitter mit
der Not des Lebens bei zahlreicher Familie zu kämpfen
hatte, Rosa ins elterliche Haus zu strenger künstlerischer
Zucht zurück. Fünf Jahre vergingen in unermüdlicher
vorbereitender Arbeit dem jungen Mädchen. Die Familie
wohnte hoch oben in einer sechsten Etage der Rue Rum-
fort, das Dach darüber ward bald mit Topfblumen und
Schlingpflanzen zu einem Garten hergerichtet, der mit
einer Ziege und mehreren Kaninchen bevölkert wurde,
die Rosa als Modell dienten, wenn die Zeit sonst nicht
durch Kopieren im Louvre oder durch die dem Vater ge-
währte Hilfe im Illustrieren in Anspruch genommen war.
Mit dem siebenzehnten Jahre warf sie sich mit aller
Energie auf die Tiermalerei. Sie zog nun ohne Rück-
sicht auf Wind und Wetter, hierin von einer wunder-
vollen Gesundheit begünstigt, hinaus in die Pariser Cham-
pagne und schlug bald vor weidenden Schafherden, bald
vor pflügenden Ochsen und Pferden, bald in den Ställen
und Höfen der Bauern ihre Staffelei auf. Ja sie scheute
sich nicht den großen Pariser Schlachthof zu besuchen und
dort inmitten einer Umgebung zu arbeiten, die nicht ge-
rade die ÜN6 lleur der Pariser Gesellschaft ist. Bei dieser
Gelegenheit legte sie wohl zum erstenmale Männer-
kleiduug an, die ihr später bei ihren Studien auf den
Viehmärkten so zu statten kam und die sie auch heute
noch in ihrem Atelier trägt. Es lag keine ungesunde

Koketterie in der Annahme dieses Kostümes, im Gegen-
teil, sie verwies, als sie einst als Jnspektorin einer-
städtischen Zeichenschule die jungen Mädchen nach ihrem
Vorbilde mit kurzgeschnittenen Haaren fand, diesen die
unpassende Knabentracht. Es ist Rosa Bonheur kaum
ein unweiblicher Zug nachzusagen.

Ihr erstes Salonbild waren zwei Kaninchen, die sie
im Jahre 1840 ausstellte. Langsam begann sich ihr
Ruhm in den folgenden Jahren auszubreiten. Rouen
erkannte zuerst ihr Talent durch Verleihung bronzener
und silberner Medaillen an; ein durchschlagender Erfolg
wurde mit den Stieren aus dem Cantal errungen. Sie
erhielt im Salon eine erste Medaille, Horace Vcrnet
feierte die Künstlerin bei der Preisverteilung in be-
geisterter Rede und überreichte ihr im Namen der Re-
gierung eine kostbare Sevresvase. Im Jahre 1847
schickte die Künstlerin ihre »Uadourage nivernais« (Pflügen
in Nivernais) in den Salon, welches einen enthusiastischen
Erfolg hatte. Das Bild, welches heute im Luxemburg
hängt, machte Rosa Bonheur mit einem Schlage zu einer
internationalen Berühmtheit. Ehrlichkeit, Naivetät, pein-
liche Gewissenhaftigkeit in der Ausführung, Einfachheit
und ein liebevolles inniges Aufgehen in der Natur bei
einer aus ihrem Innern fließenden poetischen Pinsel-
führung, sind das Geheimnis ihres großen Erfolges. Sie
weiß nichts von den Mitteln und Mittelchcn der modernen
Malerei, sie zeigt bezüglich der Komposition sogar eine
köstliche Unerfahrenheit, die den Reiz ihrer Bilder nur
noch erhöht. Jeder einzelne thut auf ihren Arbeiten
wunderbar das, was er soll, aber das Ensemble des
Bildes ist selten mit jener Geschicklichkeit bewirkt, über
die weniger begabte Künstler zu verfügen pflegen. Dieses
Fehlen der Logik, das Kennzeichen der Frau, ersetzt sie
durch die Tiefe der Empfindung und durch eine seltene
ästhetische Feinfühligkeit.

Triumph auf Triumph folgte. Sie ward in Eng-
land, das von ihrem „Pferdemarkt" entzückt war, von
Amerika, welches ihre großen weißen und roten Stiere
mit dem durchsichtigen Auge, der feuchten Nase, dem
schäumenden Maule bewunderten, fast noch mehr ge-
schätzt als in ihrer eigenen Heimat. Durch Reisen im
Süden von Frankreich, in den Pyrenäen, Spanien,
nach England, erweiterte Rosa Bonheur ihren Künstler-
blick. Sie verließ sich wie Claude Lorrain auf ihr
Gedächtnis.

Bei der ersten großen Pariser Weltausstellung erhielt
Rosa Bonheur abermals eine erste Medaille und der
Bericht bedauerte, daß man die Künstlerin als Frau nicht
dekorieren könne. Dieser Einwand erregte den Zorn der
Kaiserin Eugenie, die zu den eifrigsten Bewunderern der
Meisterin gehörte. Sie sprach damals das berühmte
Wort: „Das Genie hat kein Geschlecht" und verlieh der
Künstlerin, als sie in der Abwesenheit des Kaisers die
Regentschaft führte, die Ehrenlegion.

Seit Jahren hat Rosa Bonheur ihr einst durch die
Freitagsempfänge berühmtes Atelier in Paris zwar nicht
aufgegeben, aber zu einem künstlerischen Absteigequartier
herabsinken lassen. Sie selbst lebt inmitten ihrer ge-
liebten Tiere in dem am Saume des Waldes von Fon-
taiubleau gelegenen By, nach wie vor rüstig schaffend,
von des Morgens früh um 6 Uhr an der Staffelei
stehend oder in ihrem Park Studien obliegend. In den
Salons der letzten zwanzig Jahre hat sie nicht ausgestellt,
 
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