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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Floerke, Gustav: Meine lebendige Grammatik, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0105

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78

Meine lebendige Grammatik

„Bah, in ,Napuli' regnet's auch."

„Ja. Aber bei mir liegt Schnee, und manchmal
Monate lang . . ."

„Wieso Schnee?" fragte sie, „solcher Schnee, wie
man ihn zur Granita nimmt oder zum Limonatamachen?"

Dabei quetschte sie aus dem Blumentopf, der neben
ihr angefeuchtet im Zug stand und uns als Weinkühler
diente, eine Faust voll Schnee in ein Glas, daß es ihr
zweifelhaft weiß durch die olivenfarbenen Fingerchen quoll.

„Schnee, wie sie ihn drüben auf dem Sant' Angelo-
gebirge in Gruben sammeln?"

„Derselbe. Alles ist dann kalt und weiß und ohne
Blumen. Alles!"

Erst sah sie mich bestürzt an, dann zweifelnd, ob
ich wohl im Ernst rede, so von der Seite, ob ich sie
nicht auslache, wenn sie so etwas glaube. Aber ich ließ
ihr keinen Zweifel. Weniger, wie ich fürchte, meiner
unentwegbaren Ehrlichkeit zuliebe, als — ich will es
gestehen — in dem mehr egoistischen Gedanken, daß man
um so lieber und leichter die Gegenwart zu genießen sich ent-
schließt, je weniger man von der Zukunft hält und erwartet.

Indessen die Barbarella sah vor sich nieder. Dann
nahm sie einige Granatzweige vom Tisch, die sie sich,
vielleicht für ihr letztes Kupfer, zum Theater gekauft
hatte (in das sie nun heute doch nicht kommen sollte!).
Ich bildete mir ein, daß ihre Stimme zwar heiter klingen
wolle, doch aber etwas gedrückt, wie von Sehnsucht und
Resignation zugleich zitternd, herauskomme, als sie jetzt
die Augen aufschlng und mir die Blüten reichte.

„Tann gieb deiner Schwester diese Granaten, zum
Karneval etwa; denn wenn es so lange kalt bleibt bei
euch, werdet ihr euren Karneval wohl im Sommer haben
müssen. Ich schicke sie ihr, kannst du dazuschreiben, —
sie wird sich freuen . . . bitte, bitte! ... da, —
nimm doch!"

Ich nahm statt dessen ihre Hand.

„Tu bist ein gutes Mädchen, Barbarella, — aber
sie kommen verwelkt an. Auch stehen sie dir besser, denn
meine Schwester ist blond. Und dann haben wir gar
keinen Karneval."

Sie sprang erschrocken auf und es dauerte eine Zeit-
lang bis sie Worte fand.

„Uoverstti! Arme Teufel! Keinen Karneval! Was
giebt's denn, ehe die langweiligen Fasten anfangen?
Gar keine Kostüme, keine Masken, keinen Unsinn? Keine
Freiheit! . . . Und da wohnen auch Menschen! Aber
du, dann schick' ihr die Blumen erst recht, daß sie doch
etwas hat, woran sie sich freuen kann, die Ärmste. O, wie
sie mir leid thut! Schnell nimm sie" —- und die Bar-
barella strahlte plötzlich wieder, wie jemand, der sich von
einem Albdruck befreit fühlt, „nimm sie, ich will's, —
ich gebe dir auch einen Kuß. . ."

Sie fiel mir um den Hals, — nicht mir zum
erstenmal, aber sie küßte sich gleich satt, ausgelassen, wie
närrisch. Während ich mir aber aus ihrer übermütigen
Heftigkeit noch die verwegensten Hoffnungen zog und mich
als Sieger ans der ganzen Linie betrachtete, machte sie
sich los, hielt sich, wenn ich redete, die Ohren zu, und
ehe ich Unvorbereiteter es verhindern konnte, war sie
zur Tür hinaus und die Treppe hinunter. Auf dem
Tisch lagen die brennend roten Granatblüten.

„Sie flicht vor sich selber", dachte ich, „aber sie
kommt wieder."

Ich war damals nicht weniger eitel, als andere
Leute in meinen Jahren.

-i-

Statt ihrer erschien am nächsten Abend ein gesetzter
Herr mit zierlicher roter Kravatte unter einem Gesicht
wie für eine Dienstmütze gemacht, ein Gesicht, wie man
es so oft und bei den gutmütigsten Menschen in Italien
findet. Dieser Herr stellte sich mir vor als Don Antonio
Fischetti von Castellamare, Barbarellas betrübten „Bräu-
tigam". Er betonte das Wort Bräutigam und sah da-
bei, einen Schritt zurücktretend, auf die Vorhänge meines
Himmelbetts, ob sich dort nichts bewege und nach der
offenen Tür des Nebenzimmers. — Er sei heute von
Castellamare herübergekommen, fuhr er noch lauter fort,
weil er es nicht mehr habe aushalten können. Zugleich
habe er „seiner Braut" (Don Antonio zitterte bei diesem
kühnen Ausdruck) ein Vergnügen machen und sie ins
Theater führen wollen . . . (Auch das wirkte nicht! Ton
Antonio wurde doch unsicher in seiner Schätzung.) —
Den ganzen Nachmittag habe er geduldig gewartet, da
er wohl wisse, daß sie um diese Zeit mit den Herren
Künstlern arbeite. Als es aber dunkel geworden, sei er
in ihre Wohnung gegangen, um zugleich ihre Mutter zu
begrüßen. Diese indessen habe auf seine Frage nach
der Barbariella die Achseln gezuckt, und ans seine Vor-
würfe, daß sie ihre Tochter nicht besser behüte, habe sie
ihn gefragt, ob er etwa Fastenprediger geworden sei,
mitten im Sommer? Indessen die Zimmervermieterin,
die er beschenkt habe, sei ihm mit meiner Adresse zu
Hülfe gekommen, zugleich allerdings auch mit der trau-
rigen Nachricht, daß seine „liebe Barbariella" seit
gestern Mittag nicht heimgekommen sei. Nun habe er
sich die Kühnheit genommen, mich zu belästigen . . .
Es sei so gar nicht ihre, seiner Barbariella, Art,
so lange auszubleiben. Er wisse zwar, daß sie sehr
böse werde, wenn er sich um sie kümmere, aber u. s. w.

Sobald der gute Mann mit dem Polizeigesicht, dem
trotz seiner höflich-unterthänigen Art in seiner Besorg-
nis nicht leicht beizukommen war, mich sprechen ließ,
sagte ich ihm, was ich von ihr wußte.

Don Antonio ging seufzend, aber inbezug auf mich
zweifellos beruhigt. Er kannte die Barbarella zu gut,
um nicht zu wissen, daß sie, —- im Nebenzimmer oder
wie sonst verborgen, — horchen, und ihm, dem absicht-
lich laut sprechenden, bei der Betonung ihres „Braut-
standes" aus jedem Versteck ins Gesicht gesprungen wäre.

Eine halbe Stunde später traf ich Domenico drunten
in der Stadt in der ^Oittü 6i Kavoia- beim Abend-
essen. Er war gestern der Barbarella im Omnibus be-
gegnet, als sie von mir kam. Bei seinem unvermuteten
Anblick habe sie die Lippen aufgeworfen und vor den
Leuten ihm gegenüber fremd gethan. Plötzlich aber habe
sie lachen müssen.

„Nicht wahr, Domenico", hatte sie im breitesten
Neapolitanisch gesagt, „heute fährt das Volk wieder im
Omnibus und gestern noch in der Kutsche: ,AH, Madame,
darf mau sich nach Ihrem Befinden erkundigen? Wohin
befehlen Madame zu fahren?' Jawohl, Dame von gestern!
Schellen-Dame!"

Dann hatte sie ihm die Hand kräftig gedrückt und
war abgesprungen, — in der Nähe des korto cki Nassa
war es gewesen.

Auch am andern Tage erwartete ich sie vergebens.
 
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