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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0016

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Praktisches Studium der Anatomie.

Die experimentelle Methode ist besonders bei Embryonen anwendbar, ex-
perimentelle Embryologie. Sie kann sowohl dazu dienen speziell morpho-
logische wie entwicklungsmeehanische Probleme zu lösen.

Die Morphologie, die auf Goethe zurückgeht und unter C. Gegenbaur zu
hoher Blüte gelangte, wird von vielen neueren anders definiert, so daß sie die Ge-
staltungsfunktionen mit umfaßt (auch ..kausale" Morphologie genannt). Andrerseits
hat W. Roux, welcher die Entwicklungsmechanik begründete, darunter mit die
phylogenetische Entwicklung verstanden (..kausale Lmbildungslehre der Or-
ganismen").

Der Mensch, als der bestbekannte Organismus, spiegelt in Bau und Stellung des

°. ■*- " ° Menschen m

Struktur die Fülle der Natur und gibt uns wie kein anderer Einblick in die Oer Xatur
Mannigfaltigkeit des Lebendigen. Schiller schrieb darüber an Goethe (Brief-
wechsel 23. August 1794): ,,Von der einfachen Organisation steigen Sie. Schritt
vor Schritt, zu den mehr verwickelten hinauf, um endlich die verwinkeltste von
allen, den Menschen, genetisch aus den Materialien des ganzen Naturgebäudes
zu erbauen. Dadurch, daß Sie ihn der Natur gleichsam nacherschaffen, suchen
Sie in seine verborgene Technik einzudringen."" Auch wir betrachten es als
unsere Aufgabe, eine klare Anschaulichkeit der natürlichen Form und Struktur
des lebendigen Menschen zu vermitteln und die in seinem Bau waltenden Regeln
und Gesetze nach den im vorhergehenden aufgezeigten Prinzipien klarzulegen,
soweit dies der Stand der Wissenschaft in dem gegebenen Rahmen erlaubt.

Es ist keineswegs so, daß die Anatomie des Menschen eine fertige abge-
schlossene Wissenschaft ist; in vielem sind wir immer noch in den Anfängen.
Gerade durch die biologische Betrachtung behalte n wir engste Fühlung mit der
fortschreitenden Wissenschaft und schützen uns davor, toten Ballast zu
schleppen.

Die Lehrbücher der vergleichenden Anatomie und Embryologie (siehe
oben) und der Anthropologie (= Anatomie der menschlichen Rassen und des
vorgeschichtlichen Menschen) stellen den fertigen Menschen an das Ende von Stufen-
leitern, die im ganzen betrachtet werden. Wir beschränken uns auf die eine Sprosse,
die in ihrer Art die höchste und uns die nächste ist, verlieren aber nie aus dem Auge,
daß sie ohne Leiter ein Stück Holz ist, das nichts trägt.

Die Art des Aufstieges der Organismen ist nur analog dem Psychischen im
Menschen zu begreifen. Man hat lange verkannt, daß Bakterien in ihrer Unkompli-
ziertheit viel mehr Aussicht haben am Leben zu bleiben und nicht auszusterben als
kompliziert gebaute Organismen. Wenn die organischen Lebewesen, anstatt im
bisherigen Zustand nach Xützlichkeitszwecken konservativ zu beharren, nach
Variation und Vervollkommnung drängen, so wird jeder Schritt trotz der darin
steckenden Gefahren gewagt. Wie das Geistige plötzliche Evolutionen macht —
man denke an die Entstehung der Philosophie im Altertum und an die damalige
explosive Anwendung aller geistigen Möglichkeiten, von der wir heute noch zehren —
so auch das organisch Körperliche. Unter größten Opfern und Gefahren für die
Art werden einige vorgetrieben und wird der Wurf nach höherer Organisation
und Leistungsfähigkeit gewagt. Das Erfassen der günstigen Gelegenheit unter den
gegebenen Bedingungen ist wie bei Erfindungen das Geheimnis, welches die Neu-
schöpfung im Organischen umgibt. Der Newton des Grashalmes wird nicht kommen
(Kant, Kritik der Urteilskraft § 75).

B. Wegleitung* für das praktisehe Studium der Anatomie.

Wort und Schrift werden allein nie imstande sein, ein anschauliches Bild Mittel des

des menschlichen Körpers zu vermitteln. Es ist dazu die praktische Erfahrung, Studiums

die genaue Kenntnis der Details unseres Körpers durch eigenen Augenschein

unentbehrlich. Die anatomischen Praktika sind ein Glied des Unterrichtes,

welches wir in Rechnung stellen und voraussetzen zum Verständnis dieses

Buches. Sie sind die Fibel; wir schreiben dazu die Grammatik.

Es hat sich in Heidelberg die Einrichtung bewährt, mit dem Praktikum
seminarartige Kolloquia zu verbinden. Bevor der Studierende ein Präparat zur
 
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