Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0812

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Kopf als Ganzes, Gesichtsformen.

801

Die Kopfform läßt sich auch durch die Kapazität des Schädels charakte- Kapazität
risieren. Das ist nur eine andere Art, dieselbe Sache zu bezeichnen. Die Schädels
Kapazität, d. h. das Volumen des Hohlraumes, welcher vom Gehirn und von
den Gehirnhäuten erfüllt ist, steht in so enger Korrelation zu den Außenmaßen
des Schädeldaches, daß man sie beim Lebenden aus letzteren annähernd genau
berechnen kann. Sicherer ist natürlich die unmittelbare Peststellung an der
Leiche. Das Mittel für Europäer beträgt rund 1450 ccm beim Mann und 1300 ccm
bei der Frau. Der Unterschied beruht auf der durchschnittlich geringeren
Körpergröße und dem grazileren Bau des Weibes überhaupt. Man kann wohl
aus der Kapazität auf die Größe des Gehirns schließen, aber nicht auf die Menge
seiner grauen Substanz (Hirnrinde), welche allgemein als das maßgebende
Substrat für geistige Veranlagungen angesehen wird. Ein kleines Gehirn kann
durch starke Furchung und durch große Tiefe der Furchen relativ viel graue
Rinde haben. Unter den Schädeln berühmter Männer hat beispielsweise der echte
Schädel Schillers eine auffallend niedrige Kapazität (Prortep). Werte gegen
1000 ccm nach unten und gegen 2000 ccm nach oben sind nicht mehr normal.
Die geringsten abnormen Werte findet man bei Mikrozephalen (bis 400 ccm)
und die höchsten bei Wasserköpfen (Kephalonen, Hydrozephalie). Kurzschädel
haben unter sonst gleichen Bedingungen mehr Raum für das Gehirn als Lang-
schädel. Vielleicht hängt damit zusammen, daß die Entwicklungsrichtimg der
höheren Rassen des Menschengeschlechts auf Kurzköpfigkeit gestellt zu sein
scheint. Wenigstens ist in vielen Gegenden, in welchen nach den Gräberfunden
früher Langköpfe saßen, die Brachyzephalie im Vordringen oder im Übergewicht.

2. Form des Gesichtes und seiner Teile.

Die Form und die Proportionen des Gesichts sind wie die ganze Kopfform Gesichts-

ionu im

im wesentlichen durch das Knochengerüst bestimmt. Man kann, da die durch- ganzen
schnittliche Dicke der Weichteile für die einzelnen Stellen des Gesichtes an der
Leiche festgestellt worden ist, durch einen entsprechend dicken künstlichen
Auftrag auf einen Schädel ungefähr die Totenmaske rekonstruieren. Auf diese
ist der vermutliche Schädel von Kant mit der notorischen Totenmaske identi-
fiziert und umgekehrt nachgewiesen worden, daß der vermeintliche Schädel
Schillers der Totenmaske nicht entspricht (Welker), endlich der echte Schädel
gefunden worden (Proriep). Für das lebende Gesicht kommen allerdings eine
Menge von Spannungszuständen der Gewebe, besonders der Glanz und Turgor
des Augapfels, die individuelle Länge, Farbe und Tracht der Haare hinzu,
welche es außerordentlich verschieden von der Leiche erscheinen lassen, so daß
manchmal nahe Angehörige eine Leiche kurze Zeit nach dem Tode nicht mehr
zu identifizieren vermögen, am wenigsten, wenn alle Haare rasiert sind.

Besseres als die Totenmaske kann aber die Rekonstruktion der Weichteile
über einem beliebigen Schädel selbst im günstigsten Fall nicht leisten, es sei denn,
daß wir lernen würden, nach Röntgenbildern am Lebenden wenigstens die Dicke
der Weichteile lebenswahr zu rekonstruieren. Die bisher nach den Maßen an der
Leiche hergestellten Portraits von Urmenschen, Pfahldorfbauern, exotischen
Völkern oder berühmten Männern sind Phantasieprodukte ohne tieferen wissen-
schaftlichen Wert.

Der Kanon von Schadow (Abb. 390) zeichnet das Gesicht des Lebenden
in ein großes Quadrat, dessen senkrechte Umrahmung den Ansatz der Ohr-
läppchen schneidet und dessen horizontale Umrahmung oben durch den Supra-
orbitalrand, unten durch den untersten Kinnpunkt geht. Die Höhe der Stirn
bleibt unbestimmt, weil die Haargrenze zu sehr nach Individuum, Geschlecht
und Alter schwankt. Teilt man das große Quadrat in 4 gleiche kleinere Quadrate,
so fällt der untere Rand der Nase in die horizontale Mittellinie. Der untere

Braus, Lehrbuch der Anatomie. i.

51
 
Annotationen