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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0824

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Der Kopf als Ganzes, Mimik und Physiognomik.

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Indem der Schädel gegen die inneren, durch den Kauakt frei werdenden
Kräfte gesichert wurde, erhielt er gleichzeitig Festigkeit gegen äußere Einwirkungen.
Denn Stöße oder Schläge auf das Schädeldach werden durch die geschilderten
Streben und Pfeiler in ähnlicher Weise wie die von den Kiefern nach aufwärts wirken-
den Kräfte aufgefangen und verteilt. Trifft z. B. ein Stoß den Scheitel, so wird er
durch die Scheitelbeine auf die Schläfenschuppen und die Gesichtsknochen weiter-
geleitet. Schmerzen im Gesicht, die nach einem Schlag auf den Kopf auftreten,
sind ein Beweis dafür. Das Hinterhaupt ist durch die innere Struktur des Schädels
gegen Trauma viel weniger geschützt als Scheitel und Stirn; ein ungeschickter
Fall führt in der Tat hier viel eher zu einer Fraktur des Knochens. Doch hilft die
Nähe der elastischen Wirbelsäule uns einigermaßen einen direkten Stoß zu vermeiden;
auch ist die Gefahr des Stürzens nach hinten durch viele Einrichtungen des Gesamt-
körpers geringer als die Gefahr, auf Stirn oder Scheitel zu fallen.

Frakturen der Schädelbasis entstehen am häufigsten als direkte Fortsetzungen
von Brüchen des Schädeldaches. Brüche der Stirnbeingegend können sich auf
die vordere Schädelgrube fortsetzen, ebenso Brüche der Scheitelbeingegend in die
mittlere und solche der Hinterhauptgegend in die hintere Schädelgrube. Wesentlich
diese dünnen Stellen werden betroffen. Besonders das Siebbein und die Gegend
des Foramen opticum sind bevorzugt. Geht der Bruch durch die vordere Schläfen-
grube, so findet oft die Gehirnflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) oder Blut nach
außen einen Weg durch die Xase. oder es entstehen Ergüsse auf dem Weg durch
die Augenhöhle unter die Bindehaut des Auges. Bei Brüchen in der mittleren Schädel -
grube können Blutungen aus dem Ohr die Folge sein, falls Felsenbein und Trommel-
fell einreißen, oder aus Mund und Xase, falls der Riß längs der Tuba Eustachii läuft.
Ist die hintere Schädelgrube geborsten, so kann Blut am Warzenfortsatz oder am
Nacken unter der Haut erscheinen und bis zum Hals vordringen.

5. Mimik und Physiognomik.

Die mimischen Muskeln, welche in den vorhergehenden Kapiteln in ihren Ge^^ei
Einzelheiten analysiert sind, bewirken, je nachdem sie einen kürzeren oder Sprache
längeren Weg zwischen ihrem UrsjDrung am Skelett und ihrer Insertion an
der Haut durchlaufen, bestimmte Vorwölbungen der zwischen Ursprung und
Insertion liegenden Haut, bald in Form eines Wulstes, bald in Form zahlreicher
Falten, oder sie erzeugen, falls sie senkrecht auf die Haut auftreffen, spezifische
grübchenförmige Vertiefungen. Die Öffnungen für die Sinnesorgane des Sehens,
Riechens und Schmeckens können durch ringförmige Muskelzüge verengert,
durch radiär ausstrahlende Züge erweitert oder durch Teilbewegungen, oft
entgegengesetzter Richtungen, in mannigfachster Weise umgeformt werden.
Jeder Muskel, oft nur bestimmte Teile von Muskeln, haben in diesem Getriebe
ihre individuelle Aufgabe. Je elastischer die Haut ist, um so besser paßt sie
sich der veränderten Form an; je derber sie ist. um so tiefere Falten entstehen.
Die alternde Haut läßt sich schließlich nicht mehr glätten, sondern liegt wie
ein vielfach zerknittertes Papier auf der Unterlage, die selbst oft im Alter an
Bewegungsfähigkeit erheblich verloren hat. Ehe wir uns mit der Beteiligung
der Muskeln an den einzelnen Ausdrucksformen der Gemütsbewegung be-
schäftigen, ist die generelle Frage nach den Ursachen der Tätigkeit gerade
dieser Muskeln für die Ausdrucktätigkeit ins Auge zu fassen. Von den Be-
wegungen, der Mimik, ist die Dauerform eines Gesichtes, die Physiognomie,
und die erklärende Beschreibung dieses Status, die Physiognomik, abzu-
leiten. Die Züge des Antlitzes in der Ruhe sind eine erstarrte, gleichsam ver-
steinerte Mimik.

Unser ganzer Körper verfügt über bestimmte, oft sehr ausdrucksvolle
Mittel, an welchen die innere Stimmung des Individuums äußerlich erkennbar
ist. Wir nennen sie insgesamt: pantomimische Bewegungen. Sie führen
zu spezifischen Dauerhaltungen des Körpers im Stehen, Gehen und Sitzen,
welche für eine Persönlichkeit ganz charakteristisch sind. Wir können einen
Menschen oft aus der Ferne oder vom Rücken ganz genau erkennen, ohne von
 
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