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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0594

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Allgemeines über Unterschenke] und Fuß.

583

Rotationen des Fußes um die eigene Längsachse (Pro- und Supination) sind
nur im Fußgelenk, nie im Kniegelenk oder sonst im Unterschenkel möglich, außer
wenn die Fußspitze so weit abwärts gedrückt werden kann, daß die Fußachse in
die Richtung des Unterschenkels zu liegen kommt. Man kann sich nicht eindring-
lich genug klar machen, daß Pro- und Stipulationen der Hand gerade nicht im
Handgelenk, sondern nur im Unterarm ausgeführt werden, daß die äußerlich ent-
sprechenden Bewegungen des Fußes aber gerade im Fußgelenk zustande kommen
(siehe dieses).

Die Beugemuskeln greifen mit ihren Insertionen am Unterschenkel so sehr
über die Gelenkspalte hinab, daß sich bei Beugung und Rotation im Knie auch
der Querschnitt des Oberschenkels verändert (Abb. 277). Denn sie hebeln sich von
ihrer Unterlage ab, je mehr das Knie gebeugt wird.

5. Allgemeines über den Unterschenkel und Fuß.

Hand und Fuß sind von sehr ähnlichen historischen Anlagen abzuleiten; Derre^gSals
aber die Stützfimktion des Fußes hat beim Menschen, welcher allein (außer stützorgau
den hier nicht in Betracht kommenden Vögeln) dauernd aufrecht zu gehen ver-
mag, solche Besonderheiten gegenüber der Hand gezeitigt, daß der menschliche
Fuß nächst dem Gehirn das hervorstechendste Merkmal unserer spezifischen
Organisation geworden ist. Greifen und Stützen sind bei keinem Säugetier
außer beim Menschen so spezialistisch auf Hand und Fuß verteilt; der anthropo-
morphe Affe mit zeitweilig aufrechtem Gang hat immer noch einen ,,Greiffuß';
und eine Stützhand", d. h. jede Extremität hat beide Funktionen, wenn
auch in verschiedenem Grade. Der aufrechte Gang hat die Förderung der einen
mit Unterdrückung der anderen bezahlt: so ist der Fuß zum reinen Stützorgan,
die Hand zum reinen Greiforgan im Stehen und Gehen geworden. Es ist nötig,
die Mittel, durch welche das geschah, scharf ins Auge zu fassen, weil in ihnen
die Anatomie des menschlichen Fußes als gegenwärtiges Schlußresultat dieser
ungeheuren Umwälzung verankert ist und weil alle essentiellen Einzelheiten
dieses Teiles des Bewegungsapparates danach orientiert sind. Das System:
Unterschenkel + Fuß ist biologisch so scharf abgegrenzt, daß wir es hier im
Zusammenhang behandeln.

Wir betonen dadurch, wie sehr es von den betreffenden Abschnitten der
oberen Extremität verschieden ist; bei jener wurde eine andere Anordnung des Stoffes
gewählt (Ellenbogen- und Handgelenk nicht getrennt, sondern gerade zusammen-
gestellt. S. 377).

Hand und Fuß stimmen darin überein, daß relativ wenig Muskelfleisch in
ihnen selbst liegt (kurze Hand- und Fußmuskeln), daß dafür Sehnen von außerhalb
liegenden gewaltigen Muskelmassen die Hand- und Fußwurzel in einer Fülle wie
nirgends sonst am Körper überbrücken und wie Transmissionsriemen von weit
her die Endabschnitte der Glieder in Bewegung setzen (lange Muskeln am Unterarm
und am Unterschenkel). Darin sind beide den gleichen Weg gegangen. Solange
der Fuß Greiffuß war, Avar die Befreiung von schweren Muskelmassen besonders
wichtig wie jetzt noch bei der Hand. Sie ist mit in die menschliche Organisation
herübergenommen. Dagegen hat die proximale Ausdehnung dieser Muskelmaschinen
beim Bein eine wesentlich andere Grenze als am Arm. Die langen Hand- und Finger-
muskeln sind, wie wir gesehen haben, größtenteils am Humerus befestigt; sie über-
springen also außer dem Handgelenk (und den weiter distal gelegenen Fingergelenken)
auch das Ellenbogengelenk. Die langen Fuß- und Zehenmuskeln bleiben aber größten-
teils auf den Unterschenkel beschränkt; nur zwei Muskeln, der Gastroknemius und
der Plantaris (Tabelle S. 592), greifen auf den Oberschenkel über, ohne aber mit
den Oberschenkelmuskeln. welche das Kniegelenk überspringen, an Bedeutung
für dieses Gelenk konkurrieren zu können. Das Ellenbogen- und Handgelenk stehen
deshalb in einer viel engeren Abhängigkeit voneinander als das Knie- und Fuß-
gelenk. Was schon in der Gemeinsamkeit von zahlreichen Muskeln für Ellenbogen
und Hand zutage liegt, das tritt bei den Gelenken selbst in organischer Wechsel-
wirkung besonders deutlich hervor. Der passive Apparat ist durch die eigenartige
Überkreuzung von Radius und Ulna bei der ursprünglichen Pronationsstellung
der Hand das Instrument gewesen, mit welchem jene Muskulatur bald die Beweg-
lichkeit des Ellenbogens, bald diejenige der Hand zu vermehren lernte.
 
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