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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0023

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Allgemeine Gestalt des Menschen.

Köi perlänge das 8 fache der Kopf höhe, Vitruvius). Die Natur belehrt uns
aber bald, daß mit einem Grundschema, Kanon, nicht auszukommen sei. Die
individuellen Variationen, Rassen-, Alters- und Geschlechtsverschiedenheiten
sind derartig, daß eine meßbare einheitliche Grundform wie etwa bei einem
Kristall nicht gefunden werden kann.

Es ist hier zu unterscheiden zwischen der naturwissenschaftlichen Problem-
stellung, ob eine Grundform nachzuweisen ist, und wie alle übrigen davon ableitbar
sind, und zwischen <l< r Wertfrage, ob eine bestimmte Form und welche als ,,Schön"
anzuerkennen sei (Schönheitsideal). Sehr lehrreich ist für beides unsere deutsche
Kunst, besonders Albrecht Düker ; dieser war ursprünglich in der dem Vitruv
entlehnten platonisierenden Idee befangen, daß ein bestimmter Kanon das Gesetz
des Schönen enthalte. Diese Idealform hielt aber trotz aller Versuche, sie nach eigenen
Beobachtungen zu verbessern und richtig zu stellen, der Wirklichkeit gegenüber
nicht stand: einmal'erkannte Dürer, daß die natürliche Mannigfaltigkeit mit irgend
einem Kanon nicht zu vereinigen ist, und dann war er als Künstler zu ehrlich, um
«lern einen Typus sein ästhetisches Recht zugunsten des anderen abzusprechen. Er
hätte sich selbst verneinen müssen; denn die Idealform seiner tastenden Versuche
wechselte von Periode zu Periode seines künstlerischen Schaffens. So stellte sich
schließlich die Resignation ein, daß das Gesetz nicht in dem einen Kanon liege,
sondern in der harmonischen Zusammenfügung verschiedener Formen in der Einzei-
ge st alt (Individuum).

Alle früheren Maß vergleichungen sind dadurch beeinträchtigt, daß die Ge-
samtlänge (Hauptachse) des Körpers besonders herangezogen wurde. Vergleicht
man etwa die untere Extremität mit der Gesamtlänge, so steckt in letzterer dasselbe
Maß wie in ersterer; die Resultate sind deshalb nur Scheinvergleiche. Die Kopf-
länge als Kanon ist ebenfalls wenig brauchbar, weil sie unabhängig vom übrigen
Körper besonders schwanken kann.

Richtig ist an den Bemühungen um einen Kanon und wesentlich für die
biologische Betrachtungsweise ist, die Gestalt nicht durch absolute Maße oder
Gewichte beschreiben zu wollen - - diese können immer nur unterstützenden
Wert haben — sondern Verhältnisse zwischen den Größen einer individuellen
Gestalt aufzuzeigen. Dies tut die Proportionslehre. Sie legt einen bestimmten
Teil des Körpers zugrunde, Modul, und drückt die Größen anderer Teile in
Prozenten des Moduls aus. Nur so ist die Eigenartigkeit der Form in Zahlen
oder Diagrammen (Abb. 2) zu erfassen. Es hat sich herausgestellt, daß die
Proportionen der Halbaffen, Affen und Menschenrassen ziemliche Konstanz
bewahren. Ein kletternder oder springender Halbaffe ist zwar dieser seiner
Lebensweise entsprechend sehr verschieden proportioniert; beide haben aber
immer Adel Gemeinsames gegenüber den Proportionen eines kletternden oder
springenden Affen. Ebenso scheinen die Unterschiede zwischen den Individuen
einer Menschenrasse, welche verschiedenen Berufsklassen angehören, geringer
zu sein als die Proportionsverschiedenheiten der Rassen selbst.

Als zweckmäßigster Modul wird die vordere Rumpf länge gewählt, d. h.
der Abstand des oberen Brustbeinrandes (Jugulum) vom oberen Rand des
Beckens in der Schamgcgend (Symphyse des Beckens). Beide Punkte sind
beim Lebenden leicht genau festzustellen (Abb. 1). Man will in diesem Maß die
Länge der Wirbelsäule indirekt erfassen; diese wäre beim Menschen selbst Avohl
am Lebenden zu messen, bei Tieren, die man zum Vergleich gebraucht,. am
unversehrten Körper aber nicht mit Sicherheit zu ermitteln, deshalb Avird die
A'ordere Rumpf länge als zweckmäßiger Ersatz gewählt. Sie ist ein relativ kon-
stant bleibendes Maß in den durch äußere EinAvirkungen bedingten Fluktuationen
in den übrigen Maßen des Rumpfes und der Rumpfanhänge. Diese werden
auf jenes konstante Maß bezogen. In Abb. 1 b sind die Meßpunkte und Meß-
linien angegeben, Avelche geAvöhnlich benutzt Averden, sie richten sich möglichst
nach festen Skelettpunkten. Trägt man die Meßpunkte und -linien in ein Schema
ein, Diagra m m , so ist die Proportion am anschaulichsten ausgedrückt (Abb. 2).
 
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