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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0140

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Die Wirbelsäule als Ganzes in der Ruhe.

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Menschen charakteristische Promontorium. Durch die Kombination von
teilweiser Aufrichtung und Abknickung der Wirbelsaule wird erreicht, daß
das Gewicht der Körperlast von den Gelenken und Bändern zwischen Kreuz -
und Hüftbein und von den Hüftgelenken leichter getragen wird als bei völlig
aufgerichtetem Becken, wie der Vergleich der beiden Abbildungen lehrt.

Die Lendenbiegung mit der Konkavität nach hinten, welche bis in den
untersten Teil der Brustregion hineinreicht (Abb. 81a, schraffiert), hat noch ihren
besonderen Vorteil, der sich von selbst ergab, als die Abknickung erfolgte, aber
bei ganz nach hinten gekipptem Becken und gerader Lendenwirbelsäule verloren
gehen würde. Der Brustkorb ruht auf der Lendenwirbelsäule wie eine Last, welche
durch den Widerstand einer gebogenen Feder
getragen wird (Abb. 81b, ausgezogene Linie).
Dadurch wird das labile Gleichgewicht für die
aufrechte Körperstellung auf die einfachste Weise
hergestellt. Die Lendenwirbelsäule ist der
federnde Stiel für den kompakten Brust-
korb und dessen Inhalt. Elastizität des Ganges
— ähnlich wie dies die Federn des Wagengestells
für den Kutschkasten bewirken — und große
Beweglichkeit in der Lendengegend sind die Folge.
Der Brustkorb selbst wird so geräumig wie mög-
lich, indem die Wirbelsäule vom 10.—9. Brust-
wirbel ab umorientiert und nun umgekehrt mit
ihrer Konvexität nach hinten gerichtet ist, so-
weit der Brustkorb reicht. Beim Hals wieder-
holt sich das gleiche Spiel wie bei der Lende.
Er ist der federnde Stiel für den Kopf;
deshalb schaut die Halswirbelsäule wie die Lenden-
partie mit der Konkavität nach hinten (Abb. 81a,
schraffiert). Die Halsfeder ist dünner als die
Lendenfeder, weil sie nur einen Teil dessen zu
tragen hat, was auf der anderen lastet. Die
freie Wirbelsäule wird in einer bestimmten Hal-
tung von der Senkrechten zweimal geschnitten,
am oberen Rand des 9. Brustwirbels und am
unteren Rand des 6. Halswirbels. Ein Stab,
welcher wie die Wirbelsäule mehrfach aus dem
Lot gebogen ist, ergibt für die Gewichte, die er
zu tragen hat, eine Massenverteilung, die leicht
im Gleichgewicht bleibt. Wenn die untere ein-
fach gebogene Feder, statt auf die Lendenregion im wesentlichen beschränkt
zu sein, vom Promontorium bis zum Schädel reichte (Abb. 81b, punktiert), so
buchtete sie sich in den Brustkorb hinein, anstatt wie jetzt diesen nach hinten
auszuweiten, und wäre viel stärker in den Bauchraum hineingebogen; dadurch
wäre auch die Bauchhöhle erheblich mehr eingeengt als jetzt. Mit der Stärke
der Ausbiegung würde sich der Scheitelpunkt der Krümmung immer mehr
vom Lot entfernen und die Lastenverteilung wäre sehr ungünstig. Geräumig-
keit der Brust- und Bauchhöhle sowie Festigkeit der Gesamtkonstruktion sind
zwei große Vorteile, welche bedingt haben, daß die Krümmung der Brust-
Wirbelsäule mit der Konvexität nach hinten beibehalten, ja verstärkt ist
gegenüber dem Vierfüßler (Abb. 80).

Bei den Vögeln, den einzigen Lebewesen, die außer dem Menschen dauernd
auf zwei Beinen gehen können (auch die Menschenaffen haben nur vorübergehend

Braus, Lehrbuch der Anatomie. I. 9

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a b

Abb.81. Die Wirbelsäule alsFeder.

a) Vereinfachte Kopie von Abb. 90;

b) Schema des Beckens und einer durch
Gegengewicht ausbalancierten frei
schwebenden Feder (die große punk-
tierte Feder ist eine Vergrößerung der

kleinen ausgezogenen Feder).
 
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