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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0497

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486

Becken und Hüfte.

klärt sich sofort auf, wenn wir daran denken, daß Muskeln nicht nur bewegen,

sondern auch versteifen und feststellen. Die betreffenden Muskeln spannen

mit großer Kraft die entgegenwirkende vordere Kapselwand der Hüftgelenke.

Passive und aktive Bewegungsapparate wirken hier wie Sperrad und Gewicht

gegeneinander (Abb. 263), wie später noch näher zu erläutern ist, und sichern

so dem Becken eine genügende Feststellung auf den Oberschenkeln und damit

auf den Beinen überhaupt. Wenn daher bei den einzelnen Muskeln von

Retroversion des Beckens oder des Beines die Rede ist, so ist immer nur

diese potentielle Fähigkeit gemeint.

Es ist selbstverständlich, daß das vorgeliobene Bein oder das vorgeneigte
Becken (Anteversio) durch Muskeln, welche potentia zu retrovertieren vermögen,
in die Normalstellung zurückgeführt werden (z. B. beim Senken des Oberschenkels
aus der Vorhebung gegen einen Widerstand, etwa beim Treppensteigen).

beinstächei Bewegungen im Hüftgelenk sind im Leben fast ausnahmslos mit

als Marke Bewegungen der Wirbelsäule oder der Beine und Füße kombiniert. Der Un-
Lebenderi geübte kann durchaus nicht immer leicht äußerlich am Lebenden erkennen,
ob eine Bewegung im Hüftgelenk oder an einer der anderen mitbeteiligten
Stellen, die vikariierend eintreten können, lokalisiert ist. Der Laie pflegt in
der Tat fest überzeugt zu sein, daß das Rückheben des Beines im Hüftgelenk
der betreffenden Körperseite vor sich gehe, während es in Wirklichkeit gerade
dort nicht stattfinden kann, sondern sich aus Kombinationen von Bewegungen
an ganz anderen Stellen, z. B. in der Lendenwirbelsäule, erklärt. Dies wird
später im Zusammenhang erläutert werden. Man wird sich immer auf das Ge-
naueste informieren müssen, wie Becken und Femur stehen. Dazu dient beim
Becken wesentlich der vordere obere Darmbeinstachel (Spina iL ant. sup.),
welcher im Leben jeder Zeit leicht zu bestimmen ist (Abb. 86). Je nachdem
dieser Stachel in der gleichen Horizontale wie derjenige der Gegenseite und
weiter vom oder weiter hinten als die Schoßfuge steht, ist über Lateroversion,
Ante- oder Retroversion des Beckens und über Ante- oder Retroposition einer
Hüfte leicht Aufschluß zu gewinnen. Hebt man beispielsweise das Bein nach
hinten, so senkt sich zwangsläufig auf der betreffenden Körperseite der vordere
Darmbeinstachel.

Daran kann man ohne weiteres an sich selbst feststellen, daß der Oberschenkel
im Hüftgelenk nicht retrovertiert werden kann; denn könnte er es, so würden beim
Bückheben des Beines das Becken und mit ihm der Darmbeinstachel ruhig stehen
bleiben können.

Bei Vor- und Zurücknehmen einer Hüfte (Ante- und Betropositio) kann ein
Hebelausschlag des gleichseitigen, im Knie gebeugten Unterschenkels eintreten.
Diese Bewegung wird im Hüftgelenk der anderen Körperseite ausgeführt; sie kann
für den flüchtigen Beobachter eine Rotation des Femur im Hüftgelenk der gleichen
Körperseite vortäuschen. Oibt man auf die Stellung der Darmbeinstacheln
acht, so ist ein solcher Irrtum ausgeschlossen. Immer ist es nötig, bei der Unter-
suchung der Hüftbewegungen den nackten Menschen zu untersuchen, da sonst
vikariierende Rumpf- und Beinbewegungen, die weit entfernt vom Hüftgelenk
auftreten können, leicht übersehen werden.
Giößei'Roii- ^m p>em orientiert man sich über die Lage des Femur an der Stellung

hu^el als

Marke beim des großen Rollhügels, Trochanter major (Abb. 268). Das Hüftgelenk
Lebenden ggj^g^ liegt zu versteckt; aber diesen Knochenvorsprung findet man unmittel-
bar unter der Haut in einer Delle, welche durch das Vorquellen der benachbarten
Muskelbäuche zustandekommt (Trochantergrube, Abb. 86, 60). Man kann ihn
hier immer leicht fühlen, bei mageren Menschen sogar durch die Haut unmittel-
bar sehen, und danach wie an einem Zeiger bestimmen, wie der Oberschenkel-
knochen steht.

Besonders deutlich zeigt bei gebeugtem Knie der Unterschenkel an, ob
das Femur im Hüftgelenk rotiert wird oder nicht; denn der Unterschenkel schlägt
bei der geringsten Rotation des Femur wie ein Schreibhebel seitlich aus, während
 
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