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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0666

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Fuß und Zehen als Ganzes in der Bewegung (Spielbein).

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erlernt werden, und zwar oft unter Überwindung ziemlicher Schwierigkeiten.
Bewegungen im Hüftgelenk sind sofort daran zu erkennen, daß sich der äußer-
lich sieht- und fühlbare große Rollhügel mitbewegt. Durch Rotationen im Hüft-
gelenk können Ab- und Adduktionen der Fußspitze nur erzielt werden, wenn
das Bein gestreckt ist. Wird das Knie gebeugt, so macht der Unterschenkel
seitliche Ausschläge wie ein Zeighebel, statt rotiert zu werden. Ab- und Adduk-
tionen des Fußes können also bei gebeugtem Knie nie durch das Hüftgelenk
vorgetäuscht werden. Dagegen können Ab- und Adduktionen der Fußspitze
im Kniegelenk nur bei gebeugtem Knie ausgeführt werden, weil dabei das
Schienbein rotiert werden muß; Rotationen des Schienbeins sind aber bei
gestrecktem Knie ausgeschaltet. Man erkennt die Bewegung des Unterschenkels
leicht daran, daß die äußerlich sichtbaren Knöchel mitgehen. Bei reinen Be-
wegungen im Sprunggelenk bleiben die Knöchel dagegen stehen. Ein einfacher
Kunstgriff ist der, das im Knie gebeugte Bein an den Knöcheln festzuhalten:
was dann von Bewegungen des Fußes möglich ist, sind wirkliche Bewegungen
im Sprunggelenk! Läßt man dagegen den Mitbewegungen im Knie- und Hüft-
gelenk alle Freiheit, so wächst dadurch die Exkursion des Fußes nicht unbeträcht-
lich. Vor allem wird der Zwangslauf um die Achse des unteren Sprunggelenkes
(Maulschellenbewegung) veränderbar. Wir können in der Tat den Fuß rein
um seine Längsachse rotieren; dabei spielen ziemlich komplizierte Rotationen
des Unterschenkels im Knie- und Ab- und Adduktionen des Oberschenkels in
der Hüfte eine Rolle, die sehr verschieden sind, je nach der Neigung des Fußes
zum Unterschenkel. Bei Menschen, welche ihre Füße zu allen möglichen „Han-
tierungen" erzogen haben, ist dieses Getriebe hochentwickelt (armlose Künstler,
Handwerker; in Nordafrika z. B. arbeiten die Schmiede allgemein mit beiden
Füßen und Händen gleichzeitig, indem sie auf dem Boden bocken). Der Durch-
schnittseuropäer ist auf kompliziertem Terrain darin sehr verschieden behend.
Bei plumpen Menschen ist das verfügbare Register der Bewegungen sehr klein.

Die kurzen Fußmuskeln sind außer an den Bewegungen der Großzehe beim
Abwickeln des Fußes auch an den Gesamtbewegungen des Fußes beteiligt (siehe
Beschreibung der einzelnen Muskeln). Die Hacke macht durchaus nicht immer die
gleichen Bewegungen wie der Vorfuß, nur in entgegengesetztem Sinne, sondern sie
kann für sich bewegt werden. Das beruht ebenfalls auf der Tätigkeit der kurzen
Fußmuskeln (auch einzelner langer, z. B. des Peronaeus brevis) und ist lokalisiert
in anderen Fußgelenken als dem Sprunggelenk. Alle diese Fragen sind relativ un-
wichtig gegenüber der Tätigkeit des Vorfußes für das Spielbein.

Eine der merkwürdigsten Erscheinungen der menschlichen Mode der verschie- symmetri-
densten Epochen und Völker ist die Vorliebe für bilateralsymmetrische Fußbeklei- sche^
düngen, während der normale Fuß doch ganz asymmetrisch gebaut ist. Bekanntlich fo^11^
leidet die Großzehe, nicht weniger auch die Kleinzehe, durch symmetrisch konstruierte Fußes
spitze Stiefel, besonders auch durch die üblichen symmetrischen Strümpfe (um (Schuh-
so mehr, je elastischer sie sind). Anatomisch richtig geformtes Schuhwerk muß we1*)
der geraden Richtung des inneren Fußrandes beim unverbildeten Fuß (Abb. 306)
Rechnung tragen, damit die Großzehe in der Verlängerung des Metatarsale I. liegt
und als Abrollorgan volle Kraft aufwenden kann. Schuhreformer berücksichtigen
häufig nicht genügend die Kleinzehe. Für die Statik des Fußgewölbes kommt es
aber darauf an, daß alle Zehen ihre volle Widerstandskraft im Schuh behalten.
Die Elastizität der Sohlenspitze ersetzt zwar vielen Menschen, was die im Schuh
verkrümmten Zehen nicht mehr leisten können. Der nackte Fuß ist dann um so un-
beholfener. Hohe Absätze erhöhen den Horizontalschub für den Vorfuß beträchtlich
und fördern die unmittelbar umgestaltende Tätigkeit unzweckmäßigen Schuh-
werks auf die Zehen mittelbar ganz außerordentlich.

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