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Die Gartenkunst — 15.1913

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Nr. 22
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Staehle, Karl: Der grüne Kranz um die Stadt der tausendjährigen Rose
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https://doi.org/10.11588/diglit.28103#0337

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XV, 22

DIE GARTENKUNST.

329

Der grüne Kranz um die Stadt der tausendjährigen Rose.

Von Karl Staehle, Hildesheim.

Inmitten der altehrwürdigen Bischofsstadt Hildes-
heim liegt der Dom. Er birgt Hildesheims Kleinod,
die tausendjährige Rose. Die Sage berichtet: „Ludwig
der Fromme hat sich auf der Jagd im Sachsenwalde
verirrt. Als die Nacht hereinbricht, hängt er sein
Reliquengefäß an einen wilden Rosenstrauch und streckt
sich zum Schlummer nieder. Im Traum erscheint ihm
die Jungfrau Maria. Diese fordert von ihm, an der
Stätte, da die Engel Schnee streuen würden, eine
Kapelle zu bauen. Erwachend findet Ludwig den Grundriß
einer Kirche vor
sich auf den Erd-
bodengezeichnet.

Er läßt mit dem
Bäu des Domes
beginnen, um des-
sen Gemäuer der
Rosenstrauch
sich spinnen darf“.

Und heute noch
rankt an denWän-
den der Dom-
krypta die Wild-
rose empor, im-
mer wieder ent-
springen dem al-
ten Wurzelstock
-neue Sproße. und :
bringen Blumen
hervor. Botaniker
schätzen zwar das
Alter des Rosen-
stockes nicht viel
höher als 200
Jahre, indessen
spricht manches
für das sagenhafte Alter, namentlich ein zum Schutze
der Wurzeln angelegtes Kanalgewölbe, das nachweis-
lich in das 12. Jahrhundert hinaufreicht.

Die 1000jährige Rose ist Symbol für Hildesheim
geworden. Seine Berühmtheit verdankt es seiner in
die Jahrhunderte zurückgreifenden Geschichte, seinen
Baudenkmälern und Kunstschätzen, die von immer neuen
glänzenden Kunstperioden Zeugnis ablegen. Jedes neue
Geschlecht war sich seiner Verantwortung der Väter
Erbe zu wahren und zu mehren bewußt. Zum
guten Alten kam der nachfolgenden Zeit erhöhtes
Kunstverständnis. Ein großes Stück des Kunstlebens
im deutschen Lande entrollt sich, ein volles Jahr-
tausend beinahe lückenlos. Zeugen aus Holz, Stein
und Metall rufen auf Schritt und Tritt vergangene
glänzende Tage wieder wach.

Mit Aufnahmen vom Verfasser.

Die wunderbare Kraft des Rosenstockes zeitigt alle
Jahre neue Blüten. Sind’s auch kleine Blumen an wilden
Schößlingen, die kaum eine Ähnlichkeit mit den stolzen
gefüllten Rosen, wie sie heute unsere Gärten füllen,
haben, sie legen sich doch als zarter, duftiger Schleier
um die Krypta des Domes und geben dem im tiefen
Frieden ruhenden inneren Domhof in der Sommerzeit
eine köstliche Stimmung.

Wer nach Hildesheim kommt und etwa wie in
Nürnberg imposante Bauten sucht, Repräsentanten mittel-

alterlicherStädte-
pracht, deristjent-
täuscht. Der We-
senszug der Stadt
ist ein bürgerlich
einfacher. Mögen
es die Kirchen
sein, um die sich
viel hundertjäh-
rige Lindenkro-
nen schützend
stellen oder die
Bürgerhäuser, die
vor Alter krumm
und schief gewor-
den sind, sie alle
entbehren des
Prunkes, sie ha-
ben wie ihr Klei-
nod, die tausend-
jährige Rose, ein
schlichtes und
doch so reizvolles
Aussehen. Der
Gesamtaufbau
der Altstadt ist
durchdrungen von einer innigen, liebevollen Bear-
beitung, in dem es kein Winkelchen gibt, das sich
nicht lohnte mit Genuß betrachtet zu werden. Wie
das alles ineinandergreift, so selbstverständlich zu
malerischen Bildern geworden, ohne Bauregel und doch
so zusammenklingend! Aufs Anmutigste fügt sich in
das Städtebild das Grün der Pflanzen hinein, umkränzt
auf den ehemaligen Befestigungsanlagen Althildesheim
mit herrlichem grünen Schmuck. Beinahe hätte ich
gewohnheitsmäßig „Anlagen“ geschrieben und hätte
damit gerade das Gegenteil von dem getroffen, was
der grüne Schmuck Hildesheims sein will.

Nicht Anlagen — das klänge geradezu mit Hildes-
heim zusammen genannt banal — nein, wo die Wild-
rosen in stolzen Mengen ungezügelt wachsen, wo
„Unkräuter“ aller Art an den hohen Wällen Orgien

Abb. 1. Hildesheim: Brücke über den Muftengraben.
 
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