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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Löher, Franz von: Deutsche Grundformen der bildenden Künste zur Karolingerzeit, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0090

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Deutsche Grundformen der bildenden Mnste zur Aarolingerzeit

im Kleinen beisammen halten und sich bestreben konnte, mit wenigen Zügen viel Sinn zu geben. Wenn bei den
Malereien in Büchern der Griffel den Verschlingungen von allerlei Getier und Geranke nachging, so lief
gar leicht etwas unter, was auf den Inhalt des Buches selbst Bezug hatte. Anfangs geschah dies nur in An-
deutungen und Allegorien: die echte Kunst ist ja in ihren Anfängen etwas schüchtern und verschämt, erst später
wagt sie das volle schöne Antlitz zu zeigen. Also wurde ein Lebensbronnen zusammengesetzt, zu welchem
dürstend die Tiere des Waldes und Vögel des Himmels kommen, oder ein Tempel mit Dach und Säulen, auf
deren Vorsprüngen Tauben und Pfauen sitzen, oder das Kreuz mit Fahnen und Symbolen, dem auch wohl
das Lamm als Träger zugesellt wurde. Nun war man nicht mehr so weit davon, ganze Bilder zu Schmuck
und Andacht in die Bücher zu setzen, einen Evangelisten, oder einen Kirchenvater mit Tintenhorn und Feder,
oder Christus den Herrn selbst.

So wurde schon im Jahre 781 in Karl des Großen und seiner Gemahlin Auftrag ein Evangelienbuch
hergestellt, das in Gold- und Silberschrift auf dunkel purpurnem Pergament und in schönen Initialen und Rand-
verzierungen, sowie mit sechs Bildern prangte, welche die vier Evangelisten, den lehrenden Christus und den
Brunnen des Lebens darstellten. Die Zeichnung darin ist weit entfernt von dem Fratzenhaften der Irländer, zwar
vielfach noch roh und unrichtig, jedoch voll des entschiedenen Willens, Leben und Natur selbst zu geben: die
Gewandstndien aber verraten antikes Vorbild. Der Meister des Bildes nennt sich Godescalk, und es ist die Ver-
mutung ausgesprochen, es sei der Diakon dieses Namens in Lüttich gewesen; jedenfalls deutet Form und Aus-
druck des Gesichts des jugendlichen Christus sowie seine Haartracht auf Deutschland hin.

Diesem trefflichen Anfang folgt nun eine Reihe von Bildern, in denen immer deutlicher das Streben
gelingt, natürlich und anschaulich zu sein. Auch die Farben werden glänzender und harmonischer, und man
suchte durch Goldschein das Lichtspiel in den Gewändern anzudeuten. In den hundert Jahren nach Karl dem
Großen waren die deutschen Mönche offenbar belebt, wie von wissenschaftlichem Streben, so auch von Knnsteifer.
Die Namen von Liuthard, Lithward, Folchard und andern Meistern sind uns mit deren Werken erhalten
worden. Aus dem Hang zum Beziehungsvollen in Linien und Farben aber konnte man sich lange noch nicht
loswickeln. Schrieb doch erklärend der ebengenannte Godescalk (Gottschalk): „Die Farbe der Rose (Blutfarbe)
ist dort angewendet, wo es sich darum handelt, einem Märtyrer nachzufolgen; der Goldglanz deutet aus Jung-
fräulichkeit; die (mattere) Farbe des schimmernden Silbers dient zur Bezeichnung des ehelichen Lebens."

Man wagte sich bereits an Porträts; denn die von Königen bestellten oder ihnen gewidmeten Bücher
sollten vorn das Bild des Herrschers auf dem Throne zeigen. Allein die Andeutung des Alters und der
Würde, sowie die Umrisse des Gesichts mußten noch genügen, die Ähnlichkeit der Gesichtszüge wollte auch auf
Pergament noch wenig geraten.

Besser schon gelangen die Zeichnungen, mit denen Szenen aus der Schöpfungsgeschichte oder aus dem
Erdenwallen Christi vor Augen gestellt wurden, und als ein frischer Griff ins Leben selbst sind namentlich die
achtzehn Bildchen zu verzeichnen, welche die in demselben Codex, in welchem das Wessobrnnner Gebet einge-
schrieben wurde, enthaltene Legende von der Auffindung des Kreuzes Christi erläuterten. Nur die Vornehmen
erscheinen darin in römischer, das Volk in der deutschen damals gewöhnlichen Tracht.

Von der Pracht in Karl des Großen neuer Pfalz zu Ingelheim sang Ermoldus Nigellus: „Dort ist
ein Tempel des höchsten Gottes, geziert mit Metall. Die Pfosten sind aus Erz, golden die Thüren. An ihnen
kann man in ausgezeichnetem Bilde erschauen Gottes erhabene Thaten und die ruhmvolle Reihe der Männer."
Im Palast selbst aber sah man an den Wänden dargestellt die ganze Bibel von Adam und Eva bis zu Christi
Himmelfahrt, und Hauptgestalten der weltlichen Geschichte von Ninns und Cyrus an bis auf Karl den Großen
selbst. „Ihm gegenüber steht die Sachsenschar und versucht sich in Streit, er aber schlägt und bändigt sie und
unterwirft sie seinen Gesetzen." Zu solchen Wandgemälden, von denen schon Gregor von Tours als gewöhn-
lichem Kirchenschmuck berichtete, wurden wohl die Künstler aus Frankreich und Italien berufen, sie mußten erst
die Technik zeigen. Diese fremden Meister und Arbeiter kamen und gingen, man lernte von ihnen, imd bald
gab es in Deutschland selbst berühmte Malschulen. Als die neue Kirche in St. Gallen gebaut war, erschienen
Mönche von Reichenau, sie auszumalen. Abt Ansegis in St. Wandrille „ließ von Madalulf, einem hervor-
ragenden Maler der Kirche von Kameryk, die Wände und das Deckengetäfel des neuen Refektoriums mit unter-
schiedlichen Bildwerken schmücken." Ein Maler Methodius aus Bayern malte für den Bulgarenfürsten das
jüngste Gericht.

Von diesen gepriesenen Wandgemälden ist uns nichts überliefert. Wir wissen nicht, wieviel Kraft
und Natürlichkeit in Zeichnung und Farbe den Meistern gelang, müssen aber nach allen sonstigen Anzeichen,
auch aus der nächstfolgenden Epoche, schließen, daß es keineswegs glänzend damit bestellt war, daß vielmehr der
deutschen Malerei noch lange Zeit etwas von dem anhing, wovon sie ausgegangen, nämlich von der Art und
Weise des Buchmalens, das sich gern im Kleinen und Kleinlichen hielt, von jenem Handwerksmäßigen, das keinen
freien Geistesflug wagte.
 
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