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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Löher, Franz von: Deutsche Grundformen der bildenden Künste zur Karolingerzeit, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0110

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Die Grundformen der bildenden Künste zur Karoliugerzeil.

mit Wänden und Säulen und durch mächtiges Gewölbe weiten Raum zu umspannen, der eine große Menschen-
menge in sich fassen konnte. Das deutsche Bauwerk strebte dagegen in die Höhe und bevorzugte deshalb statt
der Säule den Pfeiler. Die Säule trägt Balken, Gesims oder Gewölbe, ist aber etwas für sich selbst, das
sein eigenes Leben hat und mehrfache Verwendung finden kann. Der Pfeiler trägt auch seine Last, ist und
bleibt aber ein Teil von Mauer und Gewölbe, gleich als wäre der ganze Raum anfangs von der Erde aus
aufgeführt und habe erst später Durchbrüche in der Wand erfahren.

Mit seinem Unterbau aber suchte das kirchliche Gebäude bei den Deutschen tief in die Erde hinein
Raäm zu fassen. In den italienischen Kirchen sieht man zum Märtyrergrab, in die offene Confessio vor dem
Altar hinein: in den deutschen KirchZn wölbt man unter dem Thor eine dunkle Gruft, die Krypta. Erinnert
dieses und der aufsteigende Bau nicht deutlich an den Grabhügel der Germanen, der aus dem Boden nach oben
sich verjüngend emporstieg? Wurde doch selbst der große Christenkaiser Karl nicht, wie es bei den Christen Brauch,
in liegender Stellung begraben, sondern beigesetzt im Grabgewölbe wie ein germanischer König! Schon zum
Jahre 752 liest man in der Geschichte von Tegernsee: „in der Kirche der h. Peter und Paul war eine unter-
irdische Kirche mit Gewölben hergestebt und in ihrer Mitte ein ausgehanener Stein! Auf diesen ward der
Streiter Christi (der hl. Quirinus) erhoben und dann in den Sarkophag gelegt. Es wurden auch vier Schreine
gefüllt niit Reliquien von Heiligen verschiedener Rangstufen, von Aposteln, Märtyrern, Bekennern und Jung-
frauen, an den einzelnen Seiten des Steinsarkophag ringsum angebracht." Also ganz wie die Germanen,
rings um den Haupthelden und zu seinen Füßen seine Angehörigen und Diener bestatteten.

War nun die Gruft oder Krypta einmal da, so erschien es notwendig, die Altarstätte darüber zu er-
höhen, so daß man auf Stufen zu ihr Hinaufstieg- Hier nahmen die bei dem Meßopfer beteiligten und alle
andern geweihten Priester ihren Platz. In nicht wenigen Kirchen hielt man es aber, nach dem Vorgang von
Fulda und St. Gallen, im nennten Jahrhundert für angemessen, am andern Ende einen zweiten erhöhten Chor-
platz herzustellen. Das geschah wohl nicht um des Ebenmaßes willen, dazu war der Bau doch zu kostspielig,
— auch nicht um einen zweiten Heiligen eine Ehrenstätte zu bereiten, es gab ja nicht überall noch einen
zweiten Kirchenpatron: der Grund scheint vielmehr in Standesrüchsichten zu liegen, deren sich die Germanen
nicht entledigen konnten. Auf dem zweiten Chor erhielten nämsich ihren Platz die Geistlechen zweiten Ranges,
die gemeinen Mönche, welche nicht zu Priestern geweiht waren, Hängen und Küster, Schüler und andre Kloster-
und Kirchenverwandte, die für den Platz um den Altar zn niedrig und für die Stätte des gemeinen Volkes
zu ausgezeichnet erschienen.

Die Emporkirchen mit isren Stufen davor, die Altäre mitten und an den Seiten, die Tanfkapelle, die
Betplätze für besondere Klassen, die Abwechselung zwischen Säulen und Pfeilern, Bdgen und Gewölben und
den verschiedenen Durch- und Einblicken, dazwischen gaben dem Innern der deutschen Kirchen ein Ansehen des
Wohnlichen, Häuslichen, Vielkämmerigen, im Gegensatz zu den antiken Tempeln und Hallen, deren erhabene
Räume Germanen, die an freundlich familienhaftes Beisammenleben gewöhnt waren, wohl etwas nackt und leer
Vorkommen mochten. Wer aus der römischen Peterskirche im geraden Strich an den Rhein zum Kölner Dom
kommt, wird sich noch heute dieses Gegensatzes bewußt werden.

Das auffälligste Kennzeichen einer Kirche in germanischen Ländern ist der Turm. Seine Entstehung
wird durch den Wunsch einen hohen Zufluchtsort zu besitzen oder die Glocken so aufzuhängen, daß sie weit
in die Umgebung schallten, nicht genügend erklärt; denn dafür hätten auch niedere Bauwerke genügt. Am Dom
zu Köln waten zwei runde Holztürmchen; ebenso setzte Karl der Große seinem Aachener Donnzwei runde Trppen-
türmchen vor: bloß um dem Gebäude ein burgähnliches Ansehenzu geben, hätte man wohl solche Spielerei nicht
angebracht oder bald wieder fahren lassen. Ersichtlich wollte man auf der gottgeweihten Stätte etwas stehen
haben, das in die Wolken ragte. Je größer aber die Kirchen wurden, je mehr Anbau sie erforderten, um
Raum zu gewinnen, um so höher und mächtiger stiegen die Türme empor. Zuletzt fühlte man, daß der eine
Turm neben der Gebäudemasse sich abfällig darstellte, und setzte im Ebenmaß noch einen Turm daneben, wie
denn zwei Türme bereits in der ersten Hälfte des nennten Jahrhunderts stattlich vor der Klosterkirche zu St.
Gallen standen. Es wäre dieses so kostspielige und mühevolle Trachten, die Kirchen mit so hohen Türmen zu
schmücken, wunderlich zn nennen, wenn nicht ans der Germanenzeit die Erinnerung, ja ein inneres Bedürfnis
fortgelebt hätte, daß auf religiöser Stätte etwas Hochragendes, das ringsum in der Landschaft schon von Ferne
wahrzunehmen, stehen müßte.

4. Großbauten.

Den Kirchlichen Gebäuden in Deutschland ist ist es ergangen, wie beliebten Büchern, die mehrere ver-
besserte nnd vermehrte Auslagen erlebten. Die ersten Kirchlein waren kleine dürftige Holzhütten. Nach ein paar
Menschenaltern wurden sie durch hochräumige ersetzt, die aber noch lediglich aus Holz bestanden. Im achten Jahr-
hundert fing man an, Kirchen und Steine zu bauen: sie waren aber noch selten und werden, wie in St. Gallen,
Fulda, Lorsch, besonders hervorgehoben. Im neunten und zehnten Jahrhundert folgten alle größere Abtei-
kirchen in Franken, Schwaben und Bayern nach, im elften Jahrhundert auch in Sachsen und Österreich.
 
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