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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Glücksmann, Heinrich: Die ungarische Kunst der Gegenwart, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0170

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Die ungarische Aunst der Gegenwart.

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werten Aufschwung hat sie erst in neuerer Zeit genommen. Das erklärt sich durch die Geschichte des
Volkes, welche durch eine Reihe von Jahrhunderten den furchtbaren roten Faden des Krieges und der
inneren Unruhen zog und jegliche kulturelle Entwicklung verhinderte. Erst im fünfzehnten Jahrhundert
lächelte der holde Friede dem Lande, und Mathias Corvinus, der große Hunyade, rief eine
Künstlerschar ins Land, welche er bei seinen Bauten und denen seiner Edlen beschäftigte. Architekten,
Bildhauer, Maler, Goldschmiede, alle mit Aufträgen überhäuft, umgaben sich mit Schülern und Hilfs-
kräften; es schien sich bereits eine nationale Schule und Kunst anzusetzen, da kam wieder die schlimme
Zeit über das Ungarland und die Künstler — unter ihnen auch der Vater Albrecht Dürers, ein Goldschmied
Namens Albert Szüraz (zu deutsch: Dürre) — wunderten in friedlichere, ihrem Schaffen günstigere Zonen.
Vom Beginne des sechszehnten Jahrhunderts an bis gegen die Mitte des Säkulums, in welchem wir leben,
war die Nation stets im Kampfe mit offenen und geheimen, mit äußeren und inneren Feinden und fand keine
Muße, sich behaglich den schönen Künsten hinzugebeu. Brach wie die Pußta selbst lag das Feld der Kunst

im Pußtenlande, weil es an Saat und Säe-
mann fehlte. Als aber friedliche Tage diese
gebracht, da sprießte nicht erst langsam Halm
um Halm; der fruchtbare Boden bethätigte
sich auch hier, schon steht die Saat dicht und
hoch, umso höher freilich, als die meisten
Ähren noch nicht reif und schwer genug sind,
um sich minder hoch zu tragen. Eingepfercht
zwischen andere Rassen, isoliert in seiner
Sprache, durch Jahrhunderte von jedem Ver-
kehre mit seinen auf höheren Stufen der Kul-
tur stehenden Nachbarn abgeschlossen, hat sich
das magyarische Volk dennoch ein reiches
geistiges Nationalleben geschaffen, und seine
Denker, Dichter und Künstler, diese begnade-
ten Hohepriester, welcher einer Nation das
Existenzrecht unter den Kulturvölkern verleihen,
kennt und nennt schon mit Bewunderung die
Welt. In der jüngsten Zeit schien es nun,
als wäre das gesamte künstlerische Können
der reichbcgabten Rasse, das ein Jahrtausend
lang unbetätigt geblieben, mit einem Male
in Pinsel und Meißel gefahren; fast plötzlich
hatte Ungarn eine Kunst. An allen Ecken und
Enden des Landes tauchten Künstler und Kunst-
talente auf, freilich erst unfertiges, aber treff-
liches Rohmaterial, welches Blut, Kraft, Ge-
müt, Leidenschaft und Phantasie hatte, voll
Zuversicht und Schuldigkeit in die Welt hin-
aus sprang, energisch an sich raffte, was sich
ihm an Bildungskeimen und Anregungen bot,
Aus V. v. Luditz' Skizzeubilch mit diesen sein Können veredelte und — der

Schaffenslust die Zügel schießen ließ. Diese
Erscheinung ist umso bemerkenswerter, als sie nicht etwa durch ein kräftiges Mäcenatentum künstlich hervor-
gerufen wurde. Was Schiller von der deutschen Muse sang:

..Aein Augustisch Alter blühte,

Aeines tNedicäers Güte
Lächelte der deutschen Aunst;

5ie ward nicht gepflegt vom Ruhme,

5ie entfaltete die Blume

Nicht am Strahl der Fürstengunst",

das gilt auch und wohl mit größerem Rechte von der jungen Kunst der Magyaren, und das mochte jener
Schiller-Übersetzer auch gefühlt haben, welcher das Gedichtchen seinen Landsleuten vermittelte, es jedoch ohne
Rücksicht auf die Intentionen des Dichters den Verhältnissen seines eigenen Vaterlandes anpaßte und etwa
abschloß:
 
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