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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Glücksmann, Heinrich: Die ungarische Kunst der Gegenwart, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0190

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Die ungarische Au,ist der Gegenwart

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noch nicht, hoffentlich findet er sich selbst bald wieder in der Heimatluft zurecht. — Doch ist die national-
ungarische Kunst durch den Abfall Munkäcsys nicht in ihrer Existenz bedroht; sie findet die eifer- und liebevollste
Pflege im Lande selbst, wie auch noch immer in den Kolonien der magyarischen Künstler, welche in besonderer
Stärke München und Paris aufweisen, deren Schulen auch der größte Teil des nun zu Hause thätigen künst-
lerischen Materials entstammt. Eine starke Kolonie bilden
die ungarischen Künstler an der Seine, wohl alle Nieder-
lassungen auswärtiger Kunstmächte schon durch den einzigen
Munkäcsy überragend, für welchen jene kein Gegen-
gewicht haben. Und Sedelmeyers Kunstsalon in der
Rue La Rochefoucauld ist dort gleichsam das große
Faktoreigebäude, in welchem diese künstlerischen Werte zu-
sammenfließen. Ludwig Bruck, seit vielen Jahren ein
Liebling des Pariser Publikums und der Kunsthändler,
malt mit Geschick Pariser Sujets, allein seine Bedeutung
liegt in seinen Szenen aus dem heimatlichen Volksleben,
in welchen er auch sein Können zum vollen Ausdruck
bringt. Er sucht das Volk auf in seinem Alltagsleben
und versteht es, dem Unbedeutenden oder eigentlich dem
scheinbar Unbedeutenden einen eigenartigen Reiz abzuge-
winnen und so das geringfügigste Ereignis in seiner künst-
lerischen Verwertung zu machtvoller, bewegender Wirkung
gelangen zu lassen. Die bedeutendsten von Brucks letzteren
Schöpfungen scheinen mir „Der Abschied auf dem Bahn-
hofe" und „Der Budapester Donau-Quai". Ein junger
Bauer, eine wetterharte, sturmgefestete Gestalt, zu welcher
schon das milde, fast weinende Antlitz einen rührenden
Gegensatz bildet, verabschiedet sich von seiner Familie, der
greisen Mutter, dem jungen Weibe und dem kleinen, auch
die Trauer des Augenblicks schon ahnenden Kind, um dem
Rufe des Königs zu folgen. Durch eine Thür siebt man
den Eisenbahnzug, von dem reisenden Publikum, Schaff-
nern, gepäckschleppenden Dienstleuten umschwärmt. Diese
Regsamkeit läßt die jede Figur der stummen Gruppe be-
herrschende düstere Stimmung noch schärfer hervortreten
und man empfindet die Sorge und das Bangen einer
armen, ihres Ernährers beraubten Familie, man begreift
den Fluch einer stolzen Errungenschaft des Jahrhunderts:
der allgemeinen Wehrpflicht. So ist das kleine Ereignis
künstlerisch dem Bereich der Alltäglichkeit enthoben und
wirksam ohne theatralischen Zug. In der Darstellung des
Pester Donau-Quais hat Bruck ein figurenreiches Bild
geschaffen, welches wie unmittelbares Leben auf den Be-
schauer wirkt; die Masse ist so gewandt, so ungezwungen
und doch mit dem Zwecke der künstlerischen Gesamthaltung
im Auge gruppiert, die einzelnen Gestalten treten so
charakteristisch hervor und die herrliche Landschaft ist ohne
Aufdringlichkeit so treu gegeben, daß man die Begeisterung,
welche das Gemälde in der ungarischen Hauptstadt erweckte,
auch als Nicht-Ungar billigt. In der Kunsthalle der
Pester Landesausstellung war Bruck mit einer effektvollen
Rus V. v. Vaditz' Zkffzrnbuch Gruppe „Die Eisengießer" vertreten, lebensgroß und in

jener gegenwärtig stark gepflegten eisengrauen, feuerdurch-
glühten Werkstätten-Atmosphäre, welche die Schule Zolas kunstfähig gemacht hat.

In meist fröhlich bewegten Bildern stellt Ludwig Ebner das ungarische Volksleben dar; er malt
seine Landsleute bei Spiel und Tanz, im lustigen Gewühle der Jahrmärkte und im fröhlichen Heimzuge von
Ernte und Weinlese; zu dieser Neigung stimmt denn auch seine Helle, lebensvolle und solide Malweise. Gelegent-
lich der Wiener Weltausstellung, welche er mit einem Bilde spielender nackter Buben beschickt hatte, gab ihm
 
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