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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Hirth, Georg: Die Vererbung des Talentes und Genies, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0216

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von Or. Georg kjirtk

,S7

Markttag bei Karrzag. von Julius Bergmann

nicht vorliegt, können wir ja nicht wissen, ob die Kraft,
die wir voraussetzen, hinreichend ist, um das Ziel zu
erreichen. Die Kraft darf nicht geringer sein, als die
Aufgabe.

Von den Entdeckungen sagt Laplace, daß „sie in
der Verknüpfung derjenigen Ideen bestehen, welche zu ein-
ander passen und bis dahin allein standen". Angenommen,
in der Entdeckung liege der Begriff des Genialen, so hätten
wir als genialen Maler denjenigen zu betrachten, der ein-
zelne bekannte (oder auch noch nicht bekannte) Auffassungen
der Natur zu nochnicht dagewesenen Darstellungs-
arten zu vereinigen im stände war. Die nach der
Seite der Metaphysik neigenden Ästhetiker freilich werden
damit nicht einverstanden sein; sie suchen das Geniale
lediglich in der Idee, in der geistreichen Konzeption, im
„idealen Kontur". Die Kennerschaft unserer Tage und
auch guter älterer Perioden legt aber das Hauptgewicht
auf die Interpretation der Natur: ein Tizian, ein
Dürer, ein Rembrandt erscheinen ihr genial nicht
bloß wegen der dichterischen Einfälle, welche sie bild-
lich dargestellt haben, sondern vor allem wegen des eigen-
artigen Vortrages, wegen ihrer Technik. Manche Künstler,
wie der große Vel azquez, verdanken ihren Ruhm über-
haupt nur der originellen, geistvollen Wiedergabe der
Natur, — der genialen Lichtgleichung! Dagegen
zählen Schöpfungen, welche nur dichterische Absichten, nicht
aber ein der Größe der Aufgabe vollkommen entsprechen-
des Können verraten, überhaupt als „geniale" Leistungen
auf diesem Gebiete nicht mit. Wir können dann höchstens
von einem „genial angelegten Menschen" sprechen, der
es aber nicht zum „malerischen Genie" gebracht hat.

Künstlerisches Genie kann daher zunächst ohne
höhere Potenz desjenigen Talentes, welches in der „spezifi-

schen Kunst" zu Tage tritt, nicht anerkannt werden. Und
jene höhere Potenz muß bewiesen sein. Dazu gehört
aber nicht nur glückliche Gelegenheit und Veranlassung,
sondern auch vorgängige entsprechende Erwerbung. Übung
und Erziehung. Talent und Genie sind also Resultate
sehr verschiedener Faktoren, welche zum großen Teile in
solchen Lebensereiguissen bestehen, auf welche das In-
dividuum keinen oder nur geringen Einfluß hat.
Diese Ereignisse müssen wir uns immer hinwegdenken,
wenn wir die rein psychophysischen Bedingungen des Talents
und Genies betrachten wollen — eine sehr schwierige
Sonderung, da ja jene Ereignisse, namentlich die Er-
werbung von Vorstellungen und Geschicklichkeiten, die
ganze psychophysische Organisation selbst stark beeinflussen,
alterieren.

Was nun die Frage der Vererbung von geistigen
Begabungen anbelangt, so hat dieselbe bisher unter einer
falschen Voraussetzung gelitten, welche sozusagen in der
Flourensschen Lehre begründet war. Da man die geistige
Thätigkeit an das Gehirn in seiner Komplexität ge-
bunden glaubte, so faßte man auch jede besondere Be-
gabung ebenso wie den besonderen Charakter eines Menschen
als einheitliches Regime, als geschlossenes „Seelenver-
mögen" auf. Im Lichte Vermehr und mehr zur Geltung
kommenden Lokalisationsthcorie dagegen können wir, wie
ich ausführlich dargelegt habe, die angeborene Disposition
zu dem, was wir Talent und Genie nennen, nur als
ein Zusammenwirken verschieden temperierter Grund-
gedächtnisse auffassen. Sind diese in der. neuen Gene-
ration genau so wie in der früheren gegeben, so kann
sich das spezifische Talent des Vorfahren wiederholt ent-
falten; jede veränderte Anerbung in einem der beteiligten
Grundgedächtnisse dagegen wird auch die Wiederholung
 
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