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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Wessely, J. C.: Die deutsche Radierung der Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0230

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Die deutsche Radierung der Neuzeit

Man darf nicht glauben, daß diese Kunstart dem Künstler enge Grenzen ziehe, daß ihm nur erlaubt
sei, in flüchtige Skizzen seine Gedanken zu kleiden. Claude Gelö-e und unzählige Holländer, namentlich in
erster Reihe Rembrandt, haben bewiesen, daß ein Genie mit der Radiernadel nahezu malen kann, daß er
neben dem hellsten Sonnenlicht auch über weiche Übergänge, über den tiefsten Schatten und das reizendste
Helldunkel verfüge.

Doch wir wollen heute nur von der deutschen Radierung der Neuzeit sprechen. Da aber jedes Jahr-
hundert mit seinen geistigen Errungenschaften auf den Schultern der vergangenen ruht, so müssen wir uns
schon eine Brücke zur Gegenwart schlagen. Im 16. Jahrhundert befaßten sich mehrere deutsche Künstler mit
der Radiernadel, unter denen wir außer den Genannten nur Virgil Solis, H. S. Lautensack, H- S.
Be Ham und Jost Ammann erwähnen wollen, die bereits einen großen Fortschritt in dieser Kunst markieren.
Was würde das folgende Jahrhundert nach solchen Vorläufern geleistet haben, wenn nicht der dreißigjährige
Krieg mit roher Gewalt alle Kunstthätigkeit lahmgelegt hätte. So ragt in dieser traurigen Zeit nur ein trefflicher

Radierer empor, in dieser Zeit, in der in Holland unsere
Kunst gerade die größten Triumphe feierte: es ist Wenzel
Hollar. Aber auch dieser wäre in Prag, seiner Vater-
stadt verkümmert, wenn er sich nicht ins Ausland, nach
England, begeben hätte. Es sind wohl in diesem Jahr-
hundert einzelne deutsche Künstler mit einzelnen guten
Radierungen aufgetreten, aber ihre Seltenheit und die
Armut ihrer Werke machen den allgemeinen trostlosen
Zustand nur noch bemerkbarer. War es ja mit der
Malerei, dem Kupferstich und der Bildhauerei auch nicht
besser bestellt. Andersen hat zwar in seinem deutschen
l'ciutroGraveur viele Künstler dieser Zeit beschrieben,
aber die meisten aus dem 17. Jahrhundert gehören mehr
dem Lexikon als der Geschichte hervorragender Künstler
an. Allenfalls wären Rügend as und der noch immer
von Freunden des edlen Weidwerks geschätzte Tiermaler
Ridinger zu nennen, sowie aus dem folgenden Jahr-
hundert Weirotter, Sal. Geßner, Ferd. Kobell
und Ang. Kauffmann zu erwähnen. Rode ist zwar
sehr produktiv aber auch manierirt und in der Ausfüh-
rung zu flüchtig.

Erst gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts gehen
zwei hellleuchtende Sterne auf, die den Anbruch eines
sonnigen Tages verkünden. Beide sind in demselben Jahre
(1712) geboren, später auch durch Freundschaft verbunden;
es ist C. W. E. Dietrich in Dresden und G. F. Schmidt
in Berlin. Letzterer ist, wie in der Radierung, auch in
der Führung des Grabstichels gleich Meister. Man kann
unbedenklich beide als die ersten Pioniere betrachten, die
den Weg anbahnten, auf dem die Radierkunst in der Neuzeit zu immer größerer Vollkommenheit gelangen
sollte. Dietrich, der als Maler wie ein Proteus die Gesichter wechseln konnte, d. h. die Kunstweisen ver-
schiedener älterer Meister treffend nachahmen konnte, hat auch als Radierer sich nicht an eine einzige Art der

Nadelführung gehalten, sondern nach Belieben dieselbe gewechselt.

Bei Schmidt liegt die Sache anders. Als Kupferstecher ist er an eine regelrechte strenge Zeichnung
gebunden und diese Korrektheit im Zeichnen und in der Linienführung ging auch in seine Radierungen über.
Diese stilgerechte Behandlung macht seine Werke keineswegs kalt und steif, denn es durchdringt sie ein Genie.
Zum Beweise des Gesagten bringen wir zwei Blätter von seiner Hand; in dem einen, dem Bildnis einer
strickenden Frau, ahmt er eine leichte flüchtige Zeichnung nach, während er im zweiten Blatte mit den beiden
Bauern nach A. v. Ostade (Seite 180) eine malerisch durchgeführte Komposition wiedergibt.

Als Dritter im Bunde muß hier auch der fruchtbare Miniaturist Dan. Chodowiecki eingeschaltet
werden, ein Miniaturist als Maler und als Radierer. In den kleinsten Raum wußte er eine figurenreiche

Komposition zu bannen und doch klar und durchsichtig in der Darstellung zu erscheinen. Wie kein anderer

hat er uns seine Zeit, ihre Sitten, Moden und psychologischen Eigentümlichkeiten mit geistreicher Radiernadel
beschrieben, daß man an der Hand seiner zweitausend Blätter sich die damalige Gesellschaft lebhaft vergegen-
wärtigen kann.
 
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