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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Wessely, J. C.: Die deutsche Radierung der Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0240

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;S6

Die deutsche Radierung der Neuzeit. Don I. L. Messe ly

Zwar nicht in Deutschland, sondern in Cincinati in Amerika, aber von deutschen Eltern (1848) geboren,
ist S. L- Wenban, der zuerst Bildnisse malte, aber seit 1874 nach München übersiedelte, wo er sich der
' Landschaft widmete, die er mit feiner Nadel auf die Platte wiederzugeben versteht (s. S. 189).

Unter die noch lebenden Radierer gehört schließlich Max Klinger in Leipzig, der auch als Maler
sich einen Namen gemacht hat. Zwar findet seine Kunst manche Opposition, das beweist aber nur, daß sie
großer Aufmerksamkeit gewürdigt wird. Klinger liebt es, seine Blätter zu Folgen zu vereinen, die er, wie
die Komponisten, mit Opus 1, 2 u. s. f. bezeichnet. Er radierte bis jetzt neun solche Folgen, alle nach
eigener Erfindung. Als Zeichner ist er Naturalist, aber eine poetische Ader ist ihm doch eigen; eine lebhafte
Phantasie regiert seinen Zeichenstift, kein Wunder, daß ein Laienange seinen Kompositionen oft ganz verblüfft

gegenübersteht und sie nicht zu deuten
weiß. Eine kurze Andeutung im Inhalts-
verzeichnisse wäre bei manchen dieser Blätter
ganz am Platze, so namentlich bei Opus 3 -.
Eva und die Zukunft, bei einzelnen
Blättern (des Opus 1: Radierte Skizzen.
Beim Traum, der dem Funde eines
Damenhandschuhs folgt, dürste eine Traum-
deuterei weniger nötig sein. Wer wird
das Kaleidoskop des Traumlebens deuten
wollen? Aber nicht die Komposition als
solche, sondern ihre Ausführung mittelst
der Radiernadel interessiert uns hier in
erster Reihe. Klinger beherrscht sein
Instrument mit höchster Virtuosität. Wenn
er seine Gestalten nur im leichten Umriß
hinwirft ((wie das mit dem Adler balan-
cierende Mädchen oder das im Grase
liegende Mädchen in den „Skizzen") oder
im breiten Stil heroische Landschaften
bringt (wie die Mondnacht und den Berg-
sturz in den „Intermezzi", so leistet er in
diesen Kunstblättern ebenso Vollendetes,
als wenn er Licht und Schatten in allen
Teilen mit aller Finesse seiner Kunst emsig
durchführt. In letzterer Gattung seiner
Radierungen wendet er auch die Aqua-
tinta-Manier an, weiß diese genial der
Radierung anzupassen und erzielt die
großartigsten Effekte. Zu dieser Art ge-
hört das neunte Opus „Dramen", dessen
zehn Blätter zugleich durchweg die ver-
ständlichsten sind. Es sind düstere Töne,
die hier die Nachtseiten des menschlichen
Lebens berühren; die Nadel hat vollendete
Gemälde geschaffen. Dieser traurige Grund-
ton der Erfindung bildet das einigende
Band der „Dramen". Ein Mann erschießt
den Liebhaber seiner Frau an deren Seite, der erste Schritt des Mädchens, das unfreiwillig sich der Sünde
hingibt, ein Mord auf belebter Straße, ein Selbstmord im Walde, ein düsteres Familiendrama in drei Blättern,
Revolution in ihrem Anfang, auf der Höhe und am Schluffe, das ist der Inhalt derselben. In allen zehn
Blättern zeigt sich eine Kühnheit der Behandlung, die ihren Urheber zu den besten der lebenden Radierer
stempelt.

Bei der Schaffensfreudigkeit der deutschen Künstler ist zu hoffen, daß die Radierung noch glückliche
Fortschritte machen wird, um so mehr als durch Gründung oben erwähnter Vereine ein edler Wetteifer geweckt
wird und als beim Publikum ein freundliches Entgegenkommen gegenüber dieser Kunstart wahrzunehmen ist.

Die TraubrneWr. Gemälde von B. L. Murillo
Radiert von I. L. Raab
 
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