Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

DOI Artikel:
Adelung, Sophie von: Maria Stuart, [5]: eine Atelier-Studie
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0245

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Line Atelierstudie von S. v. Adelung

Wolkow war nicht fertig geworden.

„Leo/' sagte ich, obschon mir die Stimme vor
Zittern versagen wollte, und berührte ihn an der Schulter,

!"

Er fuhr empor. „Laß mich!" schrie er auf und ich
wich entsetzt vor seinem blassen, verstörten Gesicht.
Dann sank er in die frühere Stellung zurück.

„Leo, mein armer, armer Freund! Und ich Un-
glücklicher bin auch verantwortlich dafür. Ich habe dir
erlaubt, deine kostbare Zeit zuj verschwenden, du
hast mir stundenlang aus Freundschaft Modell ge-
sessen und ich bin schuld, daß nicht du die goldene..."

„So — glaubst du das?" Leo richtete sich
langsam auf. „Ja, ich war in der That ein uneigen-
nütziger, edler Freund!" Er lachte höhnisch. „Willst
du wissen, was ich gethan habe?" schrie er laut, „ver-
raten habe ich meine Freundschaft — willst du die ganze
Wahrheit hören? Hintergangen habe ich dich, dich/meinen
besten Freund, hintergangen, belogen und betrogen!"

Er stöhnte laut und schlug mit der geballten Faust
auf den Tisch.

„Was stehst du so stumm da, als verstündest du
immer noch nichts? Mein Gott ist es denn möglich?
So rede doch ein Wort, fluche, drohe mir — aber sprich!"

War Wolkow krank — verrückt geworden? Ich
starrte ihn noch immer sprachlos an.

„Willst du wissen, wie alles gekommen ist?" fuhr Leo
in fieberhafter Eile fort. „Es muß heraus, das Geständnis,
das mich wochenlang fast zu Tode gedrückt hat. Nachher
kannst du mit mir machen, was du willst — jetzt höre zu."

Begann sich in mir leise, leise eine Ahnung von
dem zu regen, was nun folgen würde?

„Mein Freund", sagte ich und erfaßte seine Hand,
„beruhige dich, um Gotteswillen! Sprich was du willst

— ich werde dir zuhören; aber rege dich nicht so un-
mäßig auf."

Er schöpfte tief Atem, wie einer in Todesangst, und
sprach dann zögernd und ohne mich anzusehen: „Zuerst
hatte ich keine Absicht dabei, Gott ist mein Zeuge,
Hans — ich schwöre es dir! Ich hatte sie auf
der Straße gesehen, mehrmals und — sie ist —
nun ja, sie gefiel mir. Dann kam mir der diabolische
Gedanke, sie dir zum Spaß ein wenig abspenstig zu machen

— du warst ja ein so zerstreuter und abwesender Bräuti-
gam — zum Scherz, nur zum Scherz."

Leo sandte mir einen unsicheren Blick über den Tisch
zu, aber ich sagte nur: „Weiter."

„Und dann —" fuhr Wolkow fort, „kam ein Tag,
an dem ich fühlte, daß ich Feuer gefangen hatte, namen-
los glühend liebte und — eifersüchtig auf dich war. Da
hätte ich wegbleiben sollen, nicht wahr, und der brave Junge
sein, der aus der Speisekammer fortgeht, um der Versuchung
auszuwcichen. Ich ging nicht — weil du mich batest zu
bleiben. Und ich beging die Schändlichkeit, die Verant-
wortung in meinem Herzen auf dich zu wälzen ... Deine
Blindheit, dein Vertrauen reizten mich ... Du warst ihr
gegenüber so gleichgiltig — und dann, und dann ..."

„Leo," rief ich und suchte in seine Augen zu blicken,
„sage mir alles, auch das noch: liebt sie dich wieder?"

Wolkow wurde aschfahl, dann dunkelrot.

„Gefragt habe ich sie nie — soweit trieb ich die
Schurkerei nicht. Aber."

„Aber — du glaubst es?"

Gl

„Hans!" schrie er auf. Nie habe ich einen solchen
Schmerz gesehen, wie er sich damals in einer jeden Be-
wegung meines Freundes ansprägte. „Ich bin ein Dieb,
schlimmer als ein Straßenräuber, denn ich habe dir nicht
Geld und Gut — sondern — ich weiß es, ich habe dir
deine Liebe gestohlen!"

Es trat eine minutenlange Pause ein, eine lange,
bange Stille.

Ich unterbrach sie zuerst: „Laß mich nach Hause,
Leo, ich muß mich sammeln, in mir ist alles ein wildes
Chaos, ein graues Durcheinander — morgen besprechen
wir die Sache ruhiger."

„Ich bin bereit — bereit zu allem; mir liegt so wie
so nichts mehr an meinein Leben."

„Mein armer Freund, du redest im Fieber! Beruhige
dich, schlafe dich aus und laß uns morgen als besonnene
Männer die Sache betrachten, nicht als heißsporuige
Knaben."

Ich reichte ihm die Hand — Leo zögerte die seine
hineinzulegen. Plötzlich fiel er mir um den Hals. „Hans,
alter Bruder!"

Mehr konnte er nicht sagen — ich glaube vor Weinen
nicht. Ich wankte hinaus wie trunken. Aber als ich am
alten Stadtpark vorbeikam, wo Kinder die buntgcscheckten
Kastanien auflasen, da konnte ich mich nicht halten, ich
ergriff einen der verblüfften Kleinen und hob ihn plötz-
lich hoch in die klare Herbstluft empor; und die alte
Hökerin am Thore erschreckte ich fast zu Tode, indem ich
ihr ein Goldstück in ihre geleerte Kaffeetasse warf. „Ta,
Alte, macht euch einen vergnügten Tag damit!"

Ich war frei, frei — das wiederholte ich mir
tausend und abertausend Male und dann fiel es mir
wieder ein, daß die goldene Medaille mein war,
an der mir einst so wenig gelegen hatte und ein Jubel
erfüllte meine Brust, der sie zu sprengen drohte.

Zu Hause fand ich die schöne funkelnde Medaille in
ihrem Lederetui vor und am nächsten Morgen kam ein Brief
von Stephanie.

Sie schrieb offen und ehrlich, daß sie mich in-
ständig bitte, sie freizugeben. Zum erstenmal in ihrem
Leben wisse sie, was es sei, sein Herz voll und ganz ver-
schenkt zu haben. Mich habe sie stets nur geachtet, aber
nun liebe sie. Mich würde ihr Bekenntnis nicht allzu
schwer treffen, denn ich liebte meine Kunst über alles.
Stellung und Rang hätten sie geblendet — jetzt sei sie
entschlossen, wenn ich sie frei geben würde, einem armen
Künstler ihre Hand zu reichen, der nichts habe als seine
Zukunft und — seine Liebe.

Noch nie, seit ich sie kannte, hatte mir Stephanie so
gut gefallen. Ich las den Brief wieder und wieder und
freute mich, daß meinen Freund ein besseres Glück er-
warte, als es mir selbst an Stephanies Seite zu teil
geworden wäre.

Erst als ich die Ausstellungsräume betrat, wich die
Aufregung in meinem Innern einer feierlichen, weihe-
vollen Stimmung. Es war gegen Mittag und die Säle
bereits ziemlich leer, nur einzelne Gruppen standen noch
plaudernd herum.

Im großen Saale der Gemäldeabtcilung, dem Ein-
gang gegenüber hing mein Bild und unter demselben der
Zettel! „I. Medaille".

Die Gruppen schritten langsam dem Ausgang zu,
es Wurde so still wie in einer Kirche. Ich blieb allein
 
Annotationen