Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

DOI Artikel:
Margitay, Desider: Die Auferstehung des Lazarus, [2]: Erzählung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0403

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Auferstehung des Lazarir

Von diesem Tage an las sie fleißig in den „Poeten".
Natürlich nur jene, welche ihrer Ansicht nach zu den
hervorragenden gehörten und Realisten waren, wie Balzac,
Zola, Turgenjew und Dostojewszky. Die übrigen nicht,
denn das sind ja nur Märchenerzähler!

Wie wahr, daher auch wie schön ist jedes Wort,
was die Genannten schrieben! Wie wenig sind sie be-
müht, den Leser in trügerische Träume zu wiegen! Sie
zeigen ihm die nackte Wahrheit, weisen auf die unheil-
baren Wunden hin, und legen klar, daß all das, womit
uns die . . . die . . . nennen wir es „Vorsehung" bedacht
hat, wie Leben, Liebe, Wohlstand und Freude nichts ist
als eine elende Lüge, um uns selbst und andere Menschen
zu betrügen.

Aladär hatte natürlich keine Ahnung von all diesen
Qualitäten Madelaines und ging mit müdem Lebens-
überdruß und verbundenen Augen der schrecklichsten Ge-
fahr entgegen. Gleich nach dem Frühstück begann die
erste „Sitzung" für das Porträt. In kaltem, ruhigem
Tone erteilte Aladär die nötigen Instruktionen.

— Bitte etwas weiter Hinsehen . . . den Kopf mehr
in die Höhe.. . Blicken Sie auf mich .. . Lächeln Sie,
wenn es Ihnen möglich ist.

Geduldig und ohne ein Wort zu verlieren, kam das
junge Mädchen diesen Anweisungen nach. Sie setzte sich
in größerer Entfernung von der Staffele!, erhob das
Köpfchen, blickte ihn mit ihren glänzenden Augen an und
fing an zu lächeln. Aladär zwinkerte mit den Augen,
blickte sie scharf an, wie um sich das Bild einzuprägen,
und fing dann an, die Umrisse ihres hübschen Köpfchens
zu zeichnen.

Plötzlich jedoch hielt er ein und blickte erstaunt,
jedoch ohne alles Augenzwinkern auf Madelaine, deren
Angesicht in diesem Augenblick eine wunderbar warme
Röte übergoß. Ihre Augen glänzten wie zwei lachende
Sonnen und sie preßte eine der kleinen Hände gegen den
Busen.

— Was machen Sie? — frug Zelizy, indem er
ans das junge Mädchen einen Blick warf, aus welchem
jede Spur des bisherigen Lebensüberdrusses verschwunden
war.

— Ich lache, jedoch nur für mich und im stillen,
damit ich Sie nicht störe. Ich kann nichts dafür, daß
ich lachen muß, allein ich habe noch nie Komischeres ge-
sehen, als Sie sind, wenn Sie so mit den Augen zwinkern.

— Wirklich? ... Hm! . . . Dann bitte, schauen
Sie nicht auf mich, sondern. . .

Er hielt ein und blickte abermals wie selbstvergessen
und mit den Augen zwinkernd auf das junge Mädchen.

Einen Moment schien es, als ob Madelainens Lippen
ein feines, kaum sichtbares Lächeln umspiele.

— Magdalene! — sagte Aladär mit sich selbst
sprechend, — Maria Magdalene.

Das junge Mädchen runzelte ein wenig die Augen-
brauen, ihr Angesicht verriet Enttäuschung und sie warf
das Köpfchen trotzig nach rückwärts.

— Nein! Ich will nur „Ich" bleiben! . . . Niemals
werde ich die Augen nach aufwärts verdrehen, gleich
Maria Magdalene! Ich hasse die falsche Röte . . .

(Der Schluß i

!. von Desider Margitay

'— Sieh doch! — Aladär zuckte, wie in Gering-
schätzung seiner selbst, mit den Achseln. — Besten Dank
für den Fingerzeig. Jetzt sehe ich bereits ein, daß Ihr
Kopf in der That nicht als Modell für einen Magdalenen-
kopf Paßte.

Er schwieg still. Madelaine wartete vergeblich auf
die Fortsetzung des Gespräches, denn Aladär fing an,
mit gewohnter nachlässiger Gleichgültigkeit die Farben zu
mischen. Als Madelaine einsah, daß keine Fortsetzung
zu erhoffen sei, warf sie mit schlecht markierter Gleich-
gültigkeit die Frage hin:

— Mein Kopf nicht geeignet für ein Magdalenen-
Modell? Und weshalb nicht?

— Weil wir gewohnt sind in dieser biblischen Gestalt
das echt Frauenhafte verkörpert zu sehen.

— So? Und mein Kopf entbehrt des echt Frauen-
haften? lachte Madelaine, wobei ihre Stirne von einem
zarten rosenfarbigen Glanz umschimmert wurde.

— Das habe ich nicht gesagt.

— Was dann?

— Ihr Kopf ist derjenige einer geistreichen, modernen
Dame; Magdalene hingegen zeichnete sich nach dem Zeugnisse
der Bibel nicht durch ihren Geist, sondern dadurch aus,
daß sie schwärmerisch zu lieben vermochte.

— Schwärmerische Liebe? — lachte Madelaine und
diesmal verbreitete sich der rosige Schimmer über ihr
ganzes Angesicht. — Sie glauben also an schwärmerische
Liebe?

— Ich? Nein!

— Ich weiß aber, daß Sie an dieselbe glauben.
Alle Männer glauben an die Existenz einer sogenannten
schwärmerischen Liebe und bei Ihnen muß es ganz be-
sonders der Fall sein.

— Weshalb denn gerade bei mir?

— Weil! . . . Unlängst las ich in den Blättern,
daß Sie ein Bild von größerer Konzeption begonnen
hätten, dessen Sujet „die Auferstehung Lazarus" ist. Ich
erinnere mich noch, daß in der betreffenden Notiz die
Gestalt des Lazarus, die erhabene Erscheinung Christi
und die von Liebe durch und durch durchdrungene
Magdalene hervorgehoben wurden . . . Nun denn, Sie
werden mich doch nicht glauben machen, daß Sie etwas
malen, woran Sie selbst nicht glauben? Das pflegen
nur die Dutzendmaler zu thun! Ein echter Künstler
vermag nur dann zu schaffen, wenn ihn die weihevolle
Stimmung überkommt, und er malt nur das, woran er
glaubt.

— Sie haben Recht, und weil dies der Fall ist,
wird eben Lazarus niemals auferstehen.

— Wirklich?

— So ist es! Ich glaube nicht an Auferstehung,
ich glaube nicht an jenen Christus, welcher seinen Nächsten
mehr liebt, als sich selbst, und glaube auch nicht an die
von Liebe durchdrungene Magdalene. Das Leben, welches
ich kennen lernte, hat mir den kindischen Glauben an
solche Begriffe gänzlich benommen.

Erstaunt und beinahe mitleidsvoll blickte Madelaine
auf den jungen Maler,
n nächsten Hefte)
 
Annotationen