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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Pecht, Friedrich: Die Münchener internationale Ausstellung von 1892, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0407

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Die Münchener internationale Ausstellung von ;8y2

weit besseren Eindruck, sowohl wegen der größeren Strenge der Jury, als besonders darum, weil unsre Säle nicht
mehr so widerwärtig mit fremden Bildern untermischt und gewisse haarsträubende naturalistische Meisterwerke einem
nicht mehr so beleidigend aufgedrängt werden, d. h. vornehin an die besten Plätze gehängt wurden. Noch eines zeichnet
dann die deutsche Abteilung neben ihrer im allgemeinen unverhältnismäßig besseren Haltung ganz besonders vor
allen andern aus: die ungleich größere Rolle, welche die Phantasie und Erfindungskraft bei ihr noch spielen und
ihr eine Abwechslung und Mannigfaltigkeit der Stoffe, wie ihrer künstlerischen Verarbeitung leihen, die von
der bei den meisten anderen Nationen herrschenden Nüchternheit merkwürdig absticht. Mit einziger Ausnahme
der Polen und Ungarn, deren Perlen aber zu gutem Teil auch aus der Isar gefischt worden sind. Ja, es ist
ganz unstreitbar, daß sowohl die religiöse Malerei als die der Mythe und freien Dichtung überhaupt gerade
von den deutschen Naturalisten wie Piglhein, Stuck, Uhde, Exter rc. mit Vorliebe gepflegt worden sind.
Ebenso zeigt das Sittenbild bei uns einen Reichtum, von dem bei den andern wenig Spuren zu entdecken sind;
nicht nur das eigentliche Volksleben der Bauern und Bürger, sondern diesmal ganz besonders auch das der
gebildeten Klassen haben vortreffliche, meist humoristische Schilderer gefunden, von denen man bei den anderen
Nationen nicht viel trifft. Arm erscheint nur die eigentliche Geschichtsmalerei — offenbar mehr aus Mangel
an Bestellungen als aus Unlust, und die Schlachtenmalerei, in der uns die großen Talente fehlen. Immerhin
kann man das Urteil dahin zusammenfassen, daß die deutsche Abteilung unsrer Ausstellung entschieden charakter-
voller, die der fremden Nationen ziemlich geringer ausgefallen sei, als die letzten Jahre her. Am meisten zeigt
sich das in der religiösen Malerei, die bei uns reicher und bedeutender auftritt als seit lange, während sie
bei den Fremden, wenn überhaupt, nur ganz ärmlich vertreten erscheint, so daß man meinen könnte, die nordischen
Nationen behülfen sich ganz ohne, die romanischen mit möglichst wenig Christentum, höchstens die Franzosen
ausgenommen. Dagegen findet man bei uns eine ganze Reihe zum Teil sehr bedeutender religiöser und zwar
spezifisch christlicher Bilder. So viel beweisen sie jedenfalls, daß bei uns das Glaubensbedürfnis noch sehr
stark und so allgemein verbreitet ist, daß es jedermann versteht, auch die Persönlich meist religiös sehr gleich-
gültigen Maler. Ja, nimmt man die Bilder alle zusammen, die mit dem Glauben in irgend einem Bezug
stehen, so sind sie vielleicht die zahlreichsten von allen.

Unter den Arbeiten, die wirklich kirchlichen, wenn auch immer noch nicht konfessionellen Charakter
haben, steht unstreitig Fr. Aug. Kaulbachs „Beweinung Christi", wie er seine Pieta getauft hat, obenan.
Sie könnte am ersten einen Altar zieren, statt jetzt leider nur die Pinakothek, und würde dort ohne Zweifel
tausende rühren und erschüttern, denn sie ist ein durchweg edles und vornehmes, zugleich das Gefühl mächtig
packendes Bild, wo von allen Figuren der tote Heiland selber am meisten fesselt. Denn man sieht augen-
blicklich, daß das ein ungewöhnlich edler Mensch gewesen sein müsse, der schon imstande war, die zu segnen,
die ihm fluchten, und sich für die Menschheit aufzuopfern. Auch die betagte Mutter ist rührend in ihrem
Schmerz und noch mehr ist es die Magdalena, die sich zu des Heilands Füßen niedergeworfen. Dabei unter-
stützt die koloristische Stimmung in ihrem unheimlichen Reichtum die Wirkung ganz außerordentlich, indem sie
uns sofort etwas Hochtrauriges und Unheilvolles ahnen läßt. Wenn man das Bild in seiner vollendeten
Beherrschung aller Kunstmittel mit früheren, z. B- dem den gleichen Gegenstand der Grablegung behandelnden
des Fischer in unsrer neuen Pinakothek vergleicht, so wird man doch wohl von einem gewaltigen Fortschritt
unsrer Malkunst sprechen müssen. Freilich steht da Ka ulbach ziemlich allein, denn schon die gegenüber
hängende „Kreuzigung Christi" von Stuck ist weit entfernt, uns einen so erhebenden Eindruck zu machen, da
sie nur die brutale Mißhandlung ohne ausreichend versöhnendes Moment zeigt und darum wohl einen schauer-
lichen, aber keinen erhebenden Eindruck macht. Und das, obwohl man dem Künstler trotz seiner wie aus Holz
geschnitzten Figuren Talent und ungewöhnliche Energie gewiß nicht absprechen kann- Beides führt zu einem
weit befriedigenderen Ergebnis in seiner „Pieta", wo wir die vor dem Leichnam ihres Sohnes in stummer
Verzweiflung die Hände ringende Mutter allein sehen. Das ist unstreitig packend gegeben und läßt uns die
Hoffnung, daß sich der so begabte und eigenartige Künstler noch zu reinerer Empfindung abklären werde, nach-
dem ihm das Erste und Unerläßlichste, die Gestaltungskraft, in ungewöhnlichem Maße innewohnt. Sie zeigt
in erfreulicher Weise auch mit gutem Stilgefühl vereinigt ein ganz junger Künstler, Heupel, der eine Gnaden-
mutter, welche die Gläubigen unter den Mantel der christlichen Liebe nimmt, gebracht, die ein entschiedenes
Talent zeigt für solche kirchliche Aufgaben.

Die meisten und vielleicht interessantesten Maler christlicher Bilder haben indes vorgezogen, an Stelle
der streng kirchlichen Auffassung die idyllische und die Verpflanzung in unsre Zeit und Nation zu wählen.
So vor allem Ed. v- Gebhardt in einem der liebenswürdigsten Bilder, die man sehen kann, wo er uns den
„Besuch Christi in Bethanien" (siehe Heft 18) darstellt, aber daraus eine echt westphälische Bürgerstube und
ihn selber auch zu einem hartköpfigen Sohn der roten Erde macht, der den lieben Verwandten, die ihm voll
Andacht zuhören, mit nicht geringer Schärfe den Standpunkt klar macht. Wie der Mann und die Frau da
seine Worte verschlingen, die eben vom Markt zurückkehrende Mutter hinten, während dem Tischdecken für den
unvermutet eingefallenen Gast, auch noch etwas von seinen Lehren zu vernehmen sucht, das ist mit unwider-
 
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