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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 3 (März 1926)
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Schubert, P.: Noch einmal "Kunstunterricht im bildhaften Gestalten und Kunstbetrachtung"
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Stärk, ...: Unterricht ist Entbindung gestaltender Kräfte
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0061

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34

Ziele auf unserm Arbeiksgebiet, der Kunsterziehung
Lurch bildhaftes Gestalten, bewegen, haben wir wert-
volie Anzeichen. Ein Oberschulrat der Provinz
Hessen-Nassau hat sich bei der Revision der ihm
unterstellken Schulen eingehend mit dem Kunstunter-
richt, besonders mit dem Zeichenunterricht, beschäs-
tigt. Auf den anschließenden Konferenzen hat er
dann in längeren Ausführungen die Bedeutung der
Kunstfächer füc die Iugendlichen hervorgehoben. Er
bekonte, datz kein wissenschastliches Fach so auher-
ordentliche Fortschritte und eine so grundlegende Um-
wandlung aufzuweisen habe, wie der neuzeitliche
Zeichenunterricht. Er sprach die Mahnung aus, den

Kunstfächern und -lehrern die gröjzte Beachkung zu
schenken und sie nach Kräften zu unlerstützen. Diese,
die Kunstlehrer zu neuer, freudiger Arbeit ermuti-
genden Worte eines hervorragenden Schulmannes
zeigen doch, daß es trotz allem mit der Wertschähung
unserer Arbeit auswärts gehk. Wir gehen wohl
nicht fehl, wenn wir annehmen, datz diese Stimme
auch den Willen der obersten Landesschulbehörde aus-
gesprochen hat, die uns die ausgezeichneten Richt-
linien gegeben hat. 3hr dürfen wir darum auch wohl
ruhig die Entscheidung über die Zuteilung der Kunst-
betrachtung und ihren Ausbau durch Zuweisung
einer weiteren Ilnkerrichtsstunde an den Unterricht
im bildhaften Gestalten überlassen.

„Anterricht ist Entbindung gestaltender Kräfte" ^ ^ ^

Die Neuorientierung auf allen Gebieten erstrebt
Lösung und zugleich Förderung aller schlummernden
und keimenden Kräfte. Sie verlangt Herausbildung
der Natur jedes Einzelnen, und die Pflege seiner
ureigensten Borstellungskünste ist das Ziel neuzeit-
licher Pädagogik. Die geistigen und seelischen Kräfte
des Kindes kreten in Wechselbeziehung mit denen
seiner Umwelt, und damit wird der Grund gelegt zur
Gemeinschaft. Die Erziehung des jungen Menschen
futzt einerseits auf seinen Naturanlagen, anderseits
auf den Einflüssen seiner Ilmwelt. Demgemätz müssen
nicht nur diese natürlichen Anlagen geweckt, sondern
die äutzeren Berhältnisse so gestaltet werden, datz sie
als fördernde Faktoren auf das Wachstum und die
Entfaltung einwirken (Ziel der Montesori-Schule).
2m Gegensah zur früheren Erziehungsmethode, wird
also berücksichtigt, datz es nicht Ziel einer Erziehung
sein darf, die vorhandenen natürlichen Anlagen gänz-
lich zu übersehen und nicht zu beachten, um dafür
dem werdenden, sich entwickelnden geistigen und
seelischen Organismus die ihm völlig andersgearteten
Ausdrucksweisen der Welt des Erwachsenen aufzu-
propfen. Die psychologischen Forschungen eines
Meumann und Berworn haben in dieser Beziehung
viel Licht hereingebracht und schlietzlich die gänzliche
Umgestaltung des Zeitgeistes überhaupt. Wir aber
wollen, dem Geist und dem Willen von heute folgend,
als Erzieher dem Kind dort Führer sein, wo es den
Weg zur Entfaltung nicht allein finden kann, nie-
mals aber als Zwingherr seine eigene Fühl- und
Denkart übersehen und unlerdrücken.

Man mag hier einwenden, das hier Gesagte sei
zu jehr bekannt, als datz es noch einer Erwähnung
bedürfe, und deshalb sei es überflüssig. Für alle
diejenigen, die Mühe und Arbeit nicht scheuen mit
der Zeit zu gehen, sind diese Ausführungen selbst-
verständlich: aber es soll auch noch solche geben, die
den Anschlutz an den neuen Zeitgeist suchen, und die
dankbar sind, wenn ihnen der Meg gewiesen wird.

Mit ausrichliger und tiefer Begeisterung gibt
sich das Kind seinem Gestaltungslrieb hin. Stift und
Farbe verwendet es für Zeichnung und Farbenspie!
und ist zugänglich fllr neues Werkzeug und neue
Aufgaben. An der Lösung immer neuer Aufgaben
wächst seine Kraft und sein Selbstvertrauen. Die
Klasse wünscht sich in ihr sehr ödes Klassenzimmer
Wandschmuck. r!m Zeichensaal gefällks den Kindern
besonders gut, denn dort sind an den Wänden recht
lustige Zeichnungen zu sehen und was ihnen beson-
ders behagt: man kann diese Arbeiten schon aus

einiger Entfernung betrachten. Die Arbeitslust be-
kommt ein Ziel gesteckt: Wandschmuck für das
Klassenzimmer. Der fehlt noch. Mit Schere und
schwarzem Papier kann diesem Mangel abgeholfen
werden und in der nächsten Zeichenstunde hat jedes
Kind sein Arbeitsmaterial mitgebracht, und gespannt
wartet jedes was nun gemacht wird. Mit Blel und
Farbe können sie umgehen, aber Scherenschnikte?
so etwas haben sie noch nicht gemacht.

Die Aufgabe: Wir knüpfen an BekannkeS, an Er-
lebtes an. Schneeballschlacht, Eislauf, Rodetn,
Schleifen, Schneemann; oder im Deutschen lesen die
Kinder die „Frau Holle" und.die „Fleißige Grekel":
oder „Der Weihnachtsbaum". — Die Kinder find
ganz Hingabe, ganz Feuer für die Sache und die
Ergebnisse sind psychologisch rvie künstlerisch in-
teressant und wertvoll: eine glelche Aufgabe in etner
älteren Klasse liefert Bergleichsmakerial in Bezug
auf Auffassung, Borstellungskraft und Gedächtnis-
umfang. Die Künstlerseele des Leikers ahnk und spürk
die DerwandtschaftmitderdesKindes und Quellen
sprudeln aus stiller Mitfreude am kindlichen Werk.
Dergestalt geführt tritt das Kind aus seiner an-
fänglichen Zurückhaltung heraus und offenbart seinen
Reichkum und seine Schätze. Die besten Arbeiten
werden ins Klassenzimmer gehängt: dazu bringen die
Kinder alte Rahmen von daheim mit: die werden
hergerichtek und die Klasse ist ordenkltch stolz auf
ihren Wandschmuck und wecht den Ehrgeiz der Paral-
lelklasse, sich ebensolchen zu beschaffen. Die eigene
Arbeit weckt aber üas finkeresse für andere und so
hat sich die Klasse einen Kälender gekauft „Kunst
und Leben", und die Holzschnitte der Künstler finden
rege Beachtung. Aber die Wirkung der Scheren-
schnitte bleibt nicht auf das Klassenzimmer beschrankt.
Die großen Wechselrahmen im Treppenhaus zeigen
immer wieder neue Früchke kindlicher Schöpfer-
kraft. Scherenschnitt, Zeichnung, Aquarell und Hand-
arbeiten aus Stoff und Faden bezeugen die Ilner-
schöpfsichkeik kinolicher Borstellungs- llnd Gestal-
tungskrast: daneben hängen Originalholzschnikte von
Erwachsenen oder ReprodüktioNen von solchen, und
der relfere Schüler erkennt den Zusammenhang
eigener Arbeit und fremder dank eigener Gestaltung:
die Erkenntnis eigenen Wesens erschließt ihm frem-
des und lehrk ihn solches achten, schätzen und lieben.
Für die Oberklassen ist der Weg zum Kunstverständ-,
nis bereiteke. Was aber ferner noch wichtig ist,
das ist die Tatsache, daß die Kollegen anderer Fa-
kultär erkennen, öatz Zeichenunkerricht von heute
 
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