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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1932)
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Schellenberg, Ernst Ludwig: Andreas Haukland
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0370

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gültig, gibt den Menschen, der eS geschrieben, mit all seinem Ungestüm und harten
Willen. Und sicherlich bezeichnet das Wort Holmsteins, des träumenden Philosophen,
der zuerst eine dichterische Fähigkeit in dem jungen Ol Jörgen findet, die heraus-
fordernde Tendenz dieses Erstlingswerkes: „Ja, Roheit! Wenn sie schtvindet, schroin-
det alleS Leben. Die starke, rohe Ursprünglichkeit ist die Quelle, aus der das Leben
schöpft. Wenn Bildung die Menschen übersättigt, sterben sie. Roheit allein kennt
Lebensfreude, Bildung nur Surrogate. Wie Bildung das Lachen Lötet, tötet sie die
Lebensfreude... Für die Gebildeten ist Tugend das Surrogat für Unschuld. Un-
schuld ist roh und ursprünglich. Ich will nicht unter den Tugendsamen leben. Sie
sind feige und sie wissen nichts von dem Willen zum Siege." Und späterhin, als
Ol Jörgen zu schreiben begonnen, spottet er über die Glatten, Gelassenen, Satten;
„da gingen sie hin mit ihren feinen weißen Händen und strichen alle Worte von
Klang und Farbe auS der Sprache." Und sicher: wie mußte einer, der in unmittel-
barer Naturnähe aufgewachsen, den Betrieb einer „Literatur" empfinden, die sich
um Absonderlichkeiten und Verzärtelung bemühte!

Uberhaupt wäre es ein Versehen, Hauklands Bücher vom „ästhetischen" Blickpunkte
aus zu werten. Er sucht mehr das Gegenständliche, die Umwelt, als Entwickelung
und Fortschritt. Die Geschehnisse sind häufig nur gering, aber durch den LebenS-
kreis, in den sie eingeschlossen, erfüllt von überzeugender Gegenwärtigkeit. Der erste
Teil des düstern altgermanischen Romans „D i e Nornen s p i n n e n"* ist viel-
leicht in seiner zwielichtfarbenen Bewegtheit das Glücklichste, was Haukland an reiner
Handlung entfaltet hat. Aber schon die zweite Hälfte löst sich alsbald m selbständige
Schilderungen, bis gegen den Schluß hin die alten Motive dunkel wieder anklingen.
Dieses herbe, harte Buch umspannt am deutlichsten Wesen und Vermögen des
eigenwilligen DichterS. Es ist darin die derbe Entschlossenheit, die grimmige Wucht
altnordischer Sagas; aber nicht mühsam nachempfunden, sondern eigenwertig, voll
Notwendigkeit.

Und ebenso das umfangreichste Werk, „H elge der Wikin g"**, reißig und breit-
strömend. Auch hier wieder das „Milieu", aus welchem die Gestalten emporwachsen
zu Kampf und Nache, zu Fahrt und Fang. Eine Heldensage, die nach Amerika
überschweift, aber immer getreu bleibt dem ernsten Vaterlande. Die alte rüstige
Welt germanischer Ursprünglichkeit. Bild an Bild gefügt, unersättlich. Und das
Köstlichste: niemals krampfige Überhöhung oder Anstrengung. Jmmer fühlt man das
Brausen des Meers, des ewigen, heimatlichen Meers, mahnend und lockend mit
wogender Mannigfaltigkeit. Dieser unverächtliche Roman ist weniger durch seine
verwegenen Abenteuer als durch die bündige Kraft der Darstellung merkwürdig,
welche trotz mancher Krümmungen bis zum Ende wach und regsam hält. Wie denn
Haukland die breiten Flächen liebt, auf denen seine Gestalten bald verschwinden, bald
neu auftauchend entlangwandern.

DaS Bestimmende aber ist immer die Landschaft, aus welcher die Menschen heraus-
ragen wie Baum oder Strauch oder Berg. Sie sind ein untrennbares Stück der
Natur; und es ist wundervoll, wie die einzelnen Personen zu ihrer Umgebung stim-
men, ohne die sie gar nicht gedacht werden können. Hier wird das tiefe Einssein der
nordischen, germanischen Menschen mit der Natur bestätigt. Sie ist nicht Dekoration,
nicht lediglich Hintergrund, sondern eine ehrfürchtige und treue Verbundenheit. Hauk-
land sieht noch mythisch: Wunder an Wunder. Gewiß ist alles primitiv, obne
nervöses Tasten und Hasten, ohne zermürbtes AuSeinanderlegen; aber darum eben
geheimnisvoll groß wie das Reich der Mitternachtssorme selber. DeS DichterS Blick
umfaßt die Dinge mit weitem Staunen, einfach und ohne Moral. Das Grausige,
Böse, Jrre reiht sich selbstverständlich an das Liebliche, Helle und Stille. Hier ist

* Orei Masken-Derlag. ** A. Sponholtz.

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