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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 7 (Aprilheft 1932)
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Strauss, Emil: Lorenz Lammerdien: Romanfragment
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0515

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Bände den sechsten heraus und blätterte, indem er sagte: „Es ist freilich vom
Iahre 18Z5, aber vielleicht stehk er doch schon drin. Richtig. 2llso: 2ll-
phonse de Lamattine —", er stockte, in Klammern stand dabei: „eigentlich de
PraL"; kurz enLschlossen ließ er die ParenLhese aus und las wer'Ler: „— einer
der begabLesten DichLer des neuen Frankreichs, wurde zu Macon 1790 ge-
boren. Seine KindheiL wurde durch manches Unglück, das seine Eltern
während der RevoluLion Lras, geLrnbL, seine Jugend brachte er im College zu
Bellay zu, welches er 1809 verließ; hierauf lebLe er in Lyon und Paris und
bereiste zweimal Italien. 2lnLirevolutionär gesinnt, nahm er nach der ersten
RestauraLion Dienst in der neuerrichLeten königlichen Leibwache, LraL aber,
als dieselbe bei der Wiederkehr Rcapoleons ausgelöst worden war, nach der
zweiten RestanraLion nicht wieder ein. In dieser Zeit fing er an zu dichten.—"
Der Pfarrer las dem Freunde, der sich wieder gesetzt hatte, den ganzen
langen Llttikel mit dem schönen Schluß, die GedichLe LamarLines erschienen
zwar mehr „gemacht" als „geworden", doch könne man dem Verfasser Ge-
müt und Tugend nicht absprechen, langsam vor, sagte dann: „Das wär's!",
sah noch einmal die ParenLhese „eigentlich de Prat" an, streckte im Gedanken,
die verschwiegene EinschalLung dern Zufall zu überlassen, dem Freunde das
Bnch hin und fragte: „Willst du selbst noch einmal lesen?" und ßellLe, als
jener sagte: „Danke, es genügt!", es an seinen Platz zurück.

„Gemüt und Tugend kann man auch dir nicht absprechen, Lammerdien," fuhr
der Pfarrer fott, „das ist schon eine Familienähnlichkeit! nnd daß du keine
Verse machst, ist verzeihlich."

„Ich danke dir!" anLwottete der Lehrer Lrocken. „Kennst du übrigens Ge-
dichte von ihm?"

„Gewiß! und das will was heißen! Wie übrigens fast alle französischen
GedichLe nüchterne, wohldisyoniette, wohlstilisierte, rhetorische Llufsätze in
Reimen! RichLige Leiernbändel! Einfach Lödlich für deutsches GemüL und
Tugend." Er sah durch das gegenüberliegende Fenster den raschen Frühlings-
wolken am blauen Himmel nach, ließ einige französische PoeLen, die er als
StudenL in Straßburg eifrig gelesen hatte, durch die Erinnerung ziehen und
sagte dabei ganz unwillkürlich, wie häufig aus dem UnLerstrom der Ge-
danken ein WorL aufLancht und ohne zn klingen und weiterzuschwingen
zwischen den andern Gedanken wieder hinunLersinkt, jenen Rkamen „De
PraL", und er wäre ihm nicht bewußt geworden, wenn nicht der Lehrer ge-
fragL hätte, was er meine.

„Rkichts; ich sprach nur gedankenlos einen französischen Rkamen ans." Es
schien ihm aber bedeutsam, daß diese UuLerschlagung sich meldete, und er
schritt eine Zeitlang ßumm sinnend den üblichen Weg quer durchs Zimmer
hin und her: häLLe es sich darum gehandelt, dem Lehrer einen Possen zu
spielen, so häLLe ihm die Verschweigung des Rkamens keine unruhige Sekunde
gemacht; nun war aber, was er verhehlte, der ansschlaggebende GewichLsteil
bei der ernsten Erwägung! Indessen war er eine zu LäLige, zu weltliche Iratur
— warmn sollte er den harmlosen und offenbar gedeihlichen Wahn durch die
„Wahrheit" zunichte machen? Der schließliche Erfolg hing ja doch nicht von
jenem Wahn, sondern von der Begabung des Knaben ab. So war es, so
sollte es nun auch laufen.

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