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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1932)
DOI Artikel:
Bernhart, Joseph: Der Mensch in der Gottlosigkeit: Eine Rede
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0775

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zu horen oder mcht zu höreu, anzunehmen oder zu verwerfen. Nun rst es
hoher Berg und darum tiefes Tal: es geht für den Mensthen höher nnd
sthroster hinauf, es geht auch steiler und jäher hinab. Gegen den Gott, der
geredet hat, im Widerstand zu stehen, es werde das Nein gesprochen oder
nicht, das bringt auch eine neue Tiefe des Menfchlichen herauf ans Licht der
Gesthichte. Hiob anf seinem Asthenhaufen, wie er mit der Scherbe dis
Schwären kratzt an seinem Leibe, verfiel in gottlose Reden, aber seine
Reden traf noch auf ein Ohr;er fluchte in der Verzweiflung, aber er fluchte
einem Gott, der ihn hören konnte, und er fluchte, auf daß Gott ihn höre^
In christlicher Zeit, da wächst mit der Gnade auch die Dämonie, sie wächst
vom Herzen hinauf in den Kopf, von der Seele, von der Triebnatur, wo die
verzeihliche Snnde zu Hause ist, hinein in den Geist, in die Vernnnft, die
allein der wahren Sünde fährg ist, der dämonisthen, der Sünde gegen den
heiligen Geist. 2lm Llnfang der Bibel ist diese Sünde ein für allemal
gezeichnet: Eva sagt, wie sie es weiß und nicht bezweifeln kann, daß Gott
so und so gesprocheu habe, worauf die Schlange gegenfragt: „Hat Gott
wirklich gesprochen?" und das Weib entgegen ihrem Urwissen die Frucht
vom Baume greift. Das ist der wahre Abfall, nicht ein Irrweg des Hee-
zens, sondern die Apostasie des Geistes — die spezififche Sünde im christ--
lichen Äon, die Gottlosigkeit, die weder flucht noch betet, sondern sich hinweg-
seHt und ignoriert oder verwirft und usurpiert. Was sind die heißesten Flüche
Hiobs? Berzweifelte Gebete! Was sind die ruhigsten SäHe Lenins? Der
Änbruch einer Eiszeit, dre das Leben abschnürt von der Kraft der Sonne^
Bon diesem Atheismus, von der Berwerfung Gottes um des Mensthen wil-
len, einer vermeinten Verwerfung im Interesse eines vermeinten Menfchen,
von dem Gottlosen, der trachtet, Gott los zu werden, oder glaubt, Gott sthon
los zu sein (auch eiu Glaube!) — von diesem haben wir zu sprechen.
Wir richten unsern Blrck zuerst auf den Zerfall des Gottesgedankens, danach
auf die Wirkung dieses Zerfalls in der Gegenwart, endlich auf das m^torium
iuiguitstis, in dem der Nöensth der Gottlosigkeit selbst zu einer Offenbarung
wird.

I.

Es war wie der Llusbruch einer lange sthon versteckten Krankheit, als
der Marxismus endlich sem Fundament ganz entblößte. Es gesthah in Ruß-
land — und das nicht von ungefähr. Oberslächlich gesehen, explodierten in
der Revolution des Zarenreiches soziale GegensäHe, Lieser gesehen lag die
Ursache, wie bei allen Erschütterungen des geschichtlichen Daseins, im Ber-
hältnis der Menschen zu den leHLen Dingen des Menschen. Dieses Bolk, das
nur mit halbem Recht als Kulturvolk zählen konnte, hatte kein Mittelalter
durchlebt wie der Westen. Kein heiliger Benedikt, kein Thomas von Aquin
und Dante hatten ihm das Irdische so mit religiösem Sinn durchglüht uud
die Ausprüche der Bernunft an den Glanben, die Ansprüche des Glaubens
an die Bernunft erläutert, kein Konflikt zwischen Papsttum und Kaisertum
war chm so zur bitteren Schnle der menschlrchen Doppelbürgerschaft, so zur
tragischen Läuterung im Znsammenstoß von Kirche nnd Staat geworden
wie den Bölkern des Westens. War Rußlands Geschichte auch bewegt
und blutig, als wir unser Mittelalter hatten, sie wühlte sich doch nicht

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