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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1866

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Nr. 51-63 (1. Mai - 31. Mai)
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Ueilage zu Ar. 60 des AUzer Aatm.

Der aorhaische Abgeordnetentag in Frankfurt
am ersten Pfingsttage.
Die Gothaer geben sich alle erdenkliche Mühe, ihre verlorene
Position wieder zurückzuerobern, indem sie ihre alte, aber setzt ab-
gegriffene Kunst des „öffentliche Meinung Machens" nochmals
stielen lassen. Zu diesem Zweck haben sie einen großen Troß
gothaischer Abgeordneten, namentlich auch aus Baden, dessen Kam-
mern mit diesen Herren sehr gesegnet sind, nach Frankfurt in den
Saalbau zusammengerufen, um dort einige verwässerte, feige und
preußenfreundliche Resolutionen zu Gunsten der Neutralität der
Mittel- und Kleinstaaten zu fassen. In Frankfurt war, wie Augen-
zeugen uns berichten, eine-große Aufregung gegen diese preußisch-
gothaische Versammlung, ja, es kam sogar vor, daß mehrere
Kanonenschläge auf den Gängen losgebrannt wurden, um den
gothaischen Schönschwätzern zn beweisen, daß das kernhafte Volk
von Franksurt von ihren vaterlandsfeindlichen Beschlüssen nichts
wissen will. Indessen war auch eine Minderheit großdeutscher
Abgeordneter erschienen, namentlich aus Frankfurt selbst ziemlich
viele und Schleswig-Holsteiner Schmerzenskinder, welche in der
Zahl von 40'(mr Ganzen waren etwa 250 anwesend) andern,
der Neutralität und der preußischen Vergewaltigungspolitik feind- j
liche, dagegen das Selbstbeftimmungsrecht der Schleswig-Holsteine;: j
wahrende Resolutionen einreichten, die aber, wie vorauszusehen j
war, hinuntergestimmt wurden. Am wichtigsten bleibt es immer,
daß die Schleswig-Holsteiner selbst einmüthig und mit der ganzen
Zähigkeit ihres Volkscharakters gegen die Einverleibung in Preußen
protestiren und an dem Recht und an der ihnen zusteheuden
Selbstbestimmung sesthalten, Dinge, für welche die Gothaer früher
in Volksversammlungen und in der Presse am lautesten geschrieen
haben, um dagegen fetzt unsere Schleswig-Holsteiner Brüder den
Krallen des preußischen Vogels preiszu geben; denn sie sind unter
Anführung Bluntschli's' nut Sack und Pack ins Bismarck'sche
Lager hinübergesprungen, ja, man. sagt, daß der Führer unserer
Fremdenlegion einen Ruf als Minister des Innern unter Bis-
marck's Präsidentschaft nach Berlin erhalten wird, was nicht so
unmöglich untre, da dem Fremdengeneral noch Niemand Verstand
abgesprocheu hat, ein Ding, das im Ministerium Bismarck mit
der Laterne gesucht werden muß. —
Bei der Diskussion selbst wird der gothaische, für Neutralität.
sprechende Or. Völk aus Augsburg plötzlich durch mehrere Ka-
nonenschläge unterbrochen; „eine ungeheure Aufregung", sagt die
Neue Frankfurter Zeitung, „bemächtigt sich des Publikums, das
nach den Thüren stürzt, und nur nut großer Mühe.gelingt es,
die Ruhe wiederherzustellen. Die Tribünen sind beim Wiederbe-
ginn der Verhandlungen zum größeren Theil geleert." Diese
Kanonenschläge wiederholten sich noch mehrmals und dürften den
Gothaern anzeigen, welche Stunde jetzt für sie geschlagen hat.
Gegen die Neutralität sprach sehr gut der bejahrte Welcker aus
Heidelberg, über den wir uns freuen, daß er sich aus der gothai-
schen Clique losgemacht hat, mit der er eine Zeitlang zu leuchten
schien. Nach der Neuen Frankfurter Zeitung sprach Welcker etwa
Folgendes:
In den Politischen Bestrebungen der neueren Zeit sei man vielfach von
den Grundsätzen abgewichen, welche stets die leitenden Sterne einer wahr-
haft nationalen Politik bleiben müßten. Dahin gehöre vor Allem das
Verlassen des Rcchtsstandpunktes. — Die s. g. MachLpolittk, zu der
sich leider auch sonst freisinnige Männer hätten hinreißen lassen. Die vor-
geschlagenen Resolutionen heben nach des Redners Ansicht diesen Rechts-
standpunkt nicht genug hervor; die Neutralität ist ihm ein politisches
Unding; Niemand könne im Zweifel sein, daß Preußen gewaltsam die
Ausdehnung seiner Macht in Deutschland suche. Dem entgegenzutreten
sei die Pflicht aller deutschen Staaten. Würden sie dies nicht thun, so
hätten sie damit das nationale Recht Preisgegeben. (S-chr richtig; Bravo !)
Unter der scheinbaren Neutralität verberge sich eins Parteinahme für Bis-
marck (Bravo), nur wenn 9 Millionen bewaffnete Deutsche dem Friedens-
brecher sich entgegenstellen, könne der Friede noch erhalten bleiben.
Nach ihm sprach I)r. Passavant aus Frankfurt in dem-
selben Sinne. Recht und Moral, erklär! er, stehen auf Seiten
Oesterreichs, Recht und Moral verlangen es daher auch, sich ans
die Seite Oesterreichs zu stellen. Herr Schulze-Delitschiös
dagegen verteidigte den preußischen Standpunkt nut dem bekannten
gothaischen Phrasengeklingel. Es ist dies der nämliche Schulze,
der nut großer Selbstüberschätzung meine, die sämmtlichen socialen
Fragen des Arbeiterstandes gelöst zu haben. Dieser Herr trieb
den preußischen Trödel so weit, daß er mehrmals von der Gallerte
ausgelacht wurde, namentlich als er behauptete, Preußen sei sehr
friedfertig, Oesterreich aber „lechze nach dem Krieg", und beson-
ders auch noch dann, als er mit Lebhaftigkeit ausrief: „Die preu-
ßische Regierung könne nicht handeln wie sie wolle, sondern sie

müsse das Volk fragen!" Der Schleswig-Holsteiner Hr. v. Neer-
gard erklärt sich gegen den gothaischen Ausschnßantrag, den er
etwas „Ungeheuerliches" nennt. Dann aber trat unser unvermeid-
licher Bluntschli auf und dachte wohl den Beffall des Frank-
furter Publikums eben so zu erhaschen, wie ihm dies bis jetzt am
Landgraben möglich geworden ist. Allein seine preußenfreundliche
Rede machte nicht nur nicht den allermindesten Eindruck, sondern
es wurde ihn: noch obendrein ein schallendes Gelächter zu Theil,
als er die blödsinnige Aeußernng that, Preußen werde „vielleicht"
für das Recht der nationalen Gestaltung kämpfen. Wir hoffen,
daß die Tage von Arranjuez für diesen Bluntschli auch in Baden bald
gezählt find, wenn nur erst die großdeutsch-demokratische Partei
besser organisirt ist, eine Partei, mit der wir — die große katho-
lische Partei — in allen nationalen Fragen vollkommen uns ein-
verstanden erklären. Nach Bluntschli sprach vr. Frese gegen den
Ausschußantrag. Seine Rede ist der Glanzpunkt der ganzen Ver-
handlung. Ehre diesem Mann; denn Frese spricht als Preuße
gegeu die Neutralität und zeigt den andern Deutschen, was das
für ein Glück sei preußisch zu werden. Wir entnehmen die gold-
nen Worte seiner Rede der Neuen Franks. Ztg.:
„Abg. Dr. Frese aus Preußen gegen den Ausschußantrag. Gr
will keine Schutd daran tragen, daß eine so unheilvolle Erklärung zu
Stande komme. Sie sei das Werk derselben Männer, welche die bekannte
Erklärung des Naiionalvereins kürzlich in Berlin zu Stande gebracht haben;
sie könne d'eßhalb Niemanden überraschen. Der großpreußische Liberalismus
habe bereits das Recht Schleswig-Holsteins in dis Schanze geschlagen, ein
Gleiches solle durch diese Erklärung an dem deutschen Recht verübt
werden. Vor zwei Jahren sei von Johann Jacoby das letzte Wort für
das Recht Schleswig-Holsteins im preußischen Abgeordnetenhause eingelegt
worden. Jacoby habe aber damals seinen Antrag zurückziehen müssen, um
nicht auf das preußische Abgeordnetenhaus die Schmach zu laden, das
Recht Schleswig-Holsteins durch eine förmliche Abstimmung m verleugnen.
(Langanhalrendes Bravo.) Man spreche hier viel von dem österreichischen
Konkordate, aber Oesterreich habe keinen Obertribunalsbeschluß und was
mehr sei, es habe keinen Liberalismus, der der Sache der Freiheit untreu
geworden sei. (Anhaltendes Bravo.) Die groß-preußische Presse sei die
unsittlichste, die wohl je dagewesen und habe viel an der jetzigen Lage
verschuldet. Diese Lage werde für Preußen herbeiführen, was Oesterreich
bereits habe — die Papiergeldwirthschaft. Man möge nur Hinblicken aus
die Kundgebungen des preußischen Volkes, ob dieses den Krieg für die
preußische Machtvergrößerung wünsche? Es sage sich los von dem Macht-
schwindel des Doctrinarismus und verlange das Selbstbeftimmungsrecht
für Schleswig-Holstein. In Rheinpreußen, in Ostpreußen sei man voran-
gegangen mit dieser heilsamen Rückkehr zur Einsicht; auch die Berliner
werden ihre Großpreußen los werden, wenn man ihnen nur vom übrigen
Deutschland her Zu Hilfe komme. — Redner kritifirt dann im Einzelnen
den Ausschußantrag, welcher den Kern der Sache nicht treffe. Nicht
von Ministern und von Fürsten sei das jetzige Unheil herbeigeführt,
sondern offen spreche der gemeine Reservist, der jetzt in Preußen gezwungen
unter die Fahnen trete, den Namen des Mannes aus, der den Krieg her-
beigeführt. Und dieser deutlich sich aussprechenden Stimmung des Volkes
wage der Ausschußantrag nicht einmal Ausdruck zu geben! (Bravo.)
Die Urheber des Ausschußantrags seien Mitglieder des Nationalvereins,
desselben Nationalvereins, der stetz gegen den Gedanken der Trias gekämpft
habe — und sonderbarerweise verlangten sie jetzt die faktische Herstellung
dieser Trias in Gestalt einer dritten neutralen Gruppe. Die Rolle, die
man dem dritten Deutschland hier zutheilen wolle, sei etwa die der „Füchse"
auf der Universität, welche bei einer Paukerei wachen müssen, daß der
„Pudel" nicht komme. Derartige Beschlüsse einer Versammlung deutscher
Abgeordneten vorzulegen, sei geradezu unwürdig. (Bravo.) Er hoffe, daß
die Mittel- und Kleinstaaten für die ihnen zugedachte Rolle sich bedanken
und dagegen sagen werden: „Neutralität ist der Krieg." (Bravo!) Man
habe gesagt, daß die Zerreißung Deutschlands in Nord- und Süddeutsch-
lands „eines" der größten Uebel sein werde. Es sei nicht eines, sondern
das größte Unglück. Die Erinnerung an einen Bruderkrieg werde Nord-
und Süddeutschland für immer scheiden. (Sehr richtig!) Von dem Parla-
mentsprojekt Bismarcks sei kaum im Ernst zu sprechen, es fei nur zur Ver-
schleppung anderer Fragen bestimmt und das Volk selbst darüber bereits
zur Tagesordnung übergegangen. In den Ausschußanträgen sei von Schles-
wig-Holsteins Recht gar nicht die Rede; dieses Recht werde als ein Opfer-
lamm auf dem Altar des Großpreußenthums niedergelegt. (Bravo.) Red-
ner bittet zum Schluß, von ihm, der gewiß dem Großpreußenthum nicht
huldige, ein Wort als Preuße zu vernehmen: „Im Namen Preußens
helfen Sie uns, unsere Rechte wiederhsrstellen, helfen Sie uns dis Berliner
Kriegspartei dahin zu bringen, wohin sie gehört; unter die Füße! (Lang
anhaltendes Bravo.) Nur dann wird Preußen frei, wenn es in Deutsch-
land ausgeht, geht aber Deutschland in Preußen aus, dann gnade Gott
denen, die nach uns kommen werden!" (Stürmischer Beifall.)
An demselben Pfingsttage fand im Gegensatz zu der gothai-
schen Mehrheit des sog. Abgeordnetentages eine demokratische Volks-
versammlung von 3500 Männern in Frankfurt statt, in welcher
sehr richtige und deutsch-patriotische Beschlüsse gefaßt wurden, die
jeder Vaterlandsfreund, möge er sonst einer kirchlich-politischen
Richtung angchören welcher er wolle, aus vollster Seele unter-
schreibest wird.
So dürfen wir denn endlich hoffen, daß bei dem überall er-
j wachenden gesunden politischen Sinn des Voltes das Gothathum
- seiner Vernichtung in Deutschland entgegeugehen wird, die nichts-
nutzige, Vaterlands- und volksverrätherifche Politik jenes widerlichen,
 
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