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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0043

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Umwandlung in definitive Bewegungsorgane.

Das wichtigste Orientierungsmittel beim fertigen Organismus für die Zu-
gehörigkeit bestimmter Muskelteile zu der einen oder anderen Gruppe sind die Nerven.
Der Spinalnerv verläßt die Anlage des Rückenmarks mit zwei Wurzeln, einer
dorsalen, welche wir hier vernachlässigen können, und einer ventralen, die mit
zahlreichen Fäserchen zu den quergestreiften Muskelfasern des Myotoms verläuft
(Abb. 5, rechts). Jedes Myotom hat seine eigene Innervation aus je einem Spinal-
nerv. Auch nachdem die dorsale und ventrale Wurzel zu einem einheitlichen
Spinalnerv zusammengewachsen sind (Abb. 5, links), setzen sich die Nerven, welche
zu den Abkömmlingen des Myotoms gehen, entsprechend den Fäserchen der ven-
tralen Wurzel nur aus Ausläufern der Zellen im ventralen Rückenmarksabschnitt
zusammen und sind daran zeitlebens erkennbar. Die Ausbreitung eines jeden
Spinalnervs richtet sich in der Folge nach den beiden großen Abschnitten des Myo-
toms: ein dorsaler Ast versorgt den ursprünglichen Teil, die spätere autochthone
Rückenmuskulatur (gelbrot); ein ventraler Ast (in der Brustregion Interkostal-
nerv genannt) geht mit dem Bauchfortsatz und innerviert alle Abkömmlinge von
diesem (karmin). So sind auch die oben besprochenen Eindringlinge in fremde
Regionen (Abb. 9) von den ihrer Abstammung nach ihnen zukommenden Nerven-
ästen versorgt, also dorsale Muskeln. soweit sie ursprünglich ventral lagen,
von ventralen Nervenästen. Der Nerv ist das Orientierungsmittel in dem Gewirr
verschieden gebürtiger Muskeln; denn jeder Muskel behält trotz aller Verlagerung
den ihm ursprünglich zugehörigen Nerv wie einen Ariadnefaden, der den zurück-
gelegten Weg bezeichnet.

Die Verschiebungen der Muskelblasteme sind oft in der Entwicklung unmittel-
bar zu sehen oder durch experimentelle Eingriffe mittelbar zu erkennen. Wird den
mikroskopisch unsichtbaren Blastemverschiebungen der Weg durch einen künst-
lichen Eingriff abgeschnitten, so ist jenseits der zerstörten Straße kein Muskel-
wachstum mehr möglich, diesseits dagegen wohl. Aus den Folgen derartiger Ein-
griffe bei Embryonen läßt sich gleichsam ultramikroskopisch bestimmen, ob tat-
sächlich Verschiebungen im normalen Geschehen stattfinden und welche Richtung
sie nehmen. Diese Methode ist besonders bei den gleich zu besprechenden Extre-
mitätenmuskeln angewendet worden. In vielen Einzelheiten ist die Verschiebung
zur Zeit nur aus dem Nervenverlauf zu erschließen.

Ich habe bisher eine Abspaltung der Myotonie beiseite gelassen, welche
chthone in dem sehr übersichtlichen Entwicklungsverlauf niederer Wirbeltiere deutlich
vom ventralen Myotomteil ausgeht. Bei Haien schnüren sich hier große Knospen
ab, die Dohrn sehen Muskelknospen, welche in die Extremitäten einwachsen
und sich dort in eine dorsale und ventrale Tochterknospe teilen (Abb. 5, Extre-
mität). Auch bei den höheren Tieren werden die Vorder- und Hinterbeine
vom Material der Myotome versorgt, welches sich irgendwie von ihnen ablöst
und in die Extremitätenhöcker gelangt und später mit dem Wachstum der
Extremitäten selbst außerordentlich zunimmt. Die Abschnürung ist allerdings
nur in seltenen Fällen so deutlich wie bei Haien; denn statt der Knospen sondern
sich einzelne Zellen ab; deren Ausschwärmen ist nicht immer mikroskopisch
nachweisbar und auch mit experimentellen Mitteln bisher nicht erwiesen. Die
Innervation geschieht bei allen Tieren durch Zweige des ventralen Astes von
Spinalnerven (Abb. 5). Deshalb ist die Zugehörigkeit der Extremitätenmuskeln
zur ventralen Körperwand sicher, in welcher Arme und Beine auch äußerlich
entstehen (Abb. 8). Dieses Muskelmaterial bezeichnen wir als das auto-
chthone Muskelblastem der Gliedmaßen. Die Tochterknospen liefern dorsale
und ventrale Muskulatur, die als Heber und Senker der zunächst lappenf örmigen
Extremitäten funktionieren. Es ist die dorsale autochthone Gliedmaßen-
gruppe scharf zu unterscheiden von der dorsalen Körper muskulatur. Erstere
ist nur in bezug auf die Eigenmuskulatur der Gliedmaßen dorsal, aber in bezug
auf die Genese aus Myotonien des Stammes wie die gesamte übrige Extremi-
tätenmuskulatur rein ventraler Abkunft (k?,rmiii, Abb. 5). Mit der dorsalen
Körpermuskulatur (gelbrot) hat die genannte Gliedmaßengruppe gar nichts
zu tun. ,,Dorsal" heißt sie nur wegen ihrer Topographie in der Gliedmaße
selbst, nicht wegen ihrer ursprünglichen Topographie im Körper und wegen
ihrer Genese.

Extremitä
ten: auto
 
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