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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0230

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Atemmechanismus.

219

Bei stärkeren Graden ist diese Form nicht mehr normal: paralytisch-phthi-
sischer Habitus. Sind bei dieser Thoraxform die Baiicheingeweide durch
Schwäche der Bauchdecken oder Nachgiebigkeit des Beckenbodens gesenkt,
so kann das Zwerchfell im Stehen stark nach abwärts verlagert werden. Das
Thoraxgewölbe gleicht im Röntgenbild einem hohen Spitzfenster der Spät-
gotik: asthenischer Habitus. Im Liegen rückt erst das Zwerchfell in die
eigentliche Hochlage.

Am stärksten beeinflußt ist bei flacher Brust die obere Apertur, welche
abgeflacht und kürzer im Tiefendurchmesser ist als gewöhnlich (Abb. 119).
Die Lungenspitze wird von der 1. Rippe stranguliert, besonders wenn der Rippen-
knorpel frühzeitig verknöchert. Durch diese Stenose der oberen Apertur wird
die Entstehung der Tuberkulose in den Lungenspitzen begünstigt.

Bei breitem Thorax mit großer unterer Apertur steht das Zwerchfell
tief und ist abgeflacht. Der Brustraum gleicht im Röntgenbild einem romani-
schen Rundbogenfenster. Werden die Rippen in diesem Zustand starr, so ist
die Atmung erschwert: starre Dilatation, emphysematischer Habitus.

Es gibt zahllose Varianten im Spiel der Atemmechanismen, sobald un- Ungewöhn-

-i * licli6

gewöhnliche Anforderungen an den Körper gestellt werden oder pathologische Einflüsse,
Zustände auf den Mechanismus
einwirken. Die Kombinationen
von Muskeln, welche die Be-
wegung übernehmen, muß von
Fall zu Fall beobachtet und
aus den speziellen Bedingungen
verstanden werden. Die Auf-
gabe dieses Kapitels war für
uns —■ wie bei der Bewegung-
aller übrigen Muskeln — weni-
ger die, alle Möglichkeiten im
Detail zu erwägen, weil das
ins Uferlose führt, sondern die
üblichsten Wirkungen zu ana-
lysieren. Was die Atemmecha-
nismen können, ihre allgemeinen Potenzen, ist aus den Detailbeschrei-
bungen zu entnehmen. Was sie gewöhnlich tun, ihre engere Bedeutung
für die üblichen Anforderungen des Lebens, ist in dem oben Mitgeteilten
hinreichend beschrieben; es können danach per analogiam kompliziertere
Bewegungen leicht abgeleitet werden. Die eigentlichen Drahtzieher des Muskel-
spiels sind auch hier die Nerven, welche ihre Impulse vom Zentralnervensystem
empfangen. Das Nervensystem bestimmt — uns unbewußt —■ was geschieht,
indem es jeweils bestimmte Muskelkombinationen in Bewegung setzt (siehe
Atemzentrum, Gehi rn).

Bei Tiefstand des Zwerchfells kommt am ehesten Abflachimg vor, eine Form,
die sich im Frontalschnitt zur Kuppel verhält wie die Sehne zum Bogen. Früher
glaubte man, daß die normale Senkung des Zwerchfells immer so weit ginge. Es ist
aber charakteristisch für einen wohlgebauten Brustkorb, daß bei ruhiger Atmung
keine Formveränderung des Zwerchfells, sondern nur eine Senkung der Kuppeln
statthat. Man kontrolliert dies auf dem Röntgenschirm am Verhalten des phr eni k o -
kostalen Winkels, d. h. der Nische, welche das Zwerchfell und die seitliche
Brustwand miteinander bilden (Abb. 112). Beim ruhigen Atmen steigt dieser Winkel
auf und ab, ohne seine Winkelgröße merklich zu verändern (Abb. 117, 118,
Stellung a, b). Bei forcierter Atmung (Stellung c) wird der Winkel größer, weil
das Zwerchfell abgeflacht ist und sich die Rippen meistens nach auswärts bewegen.

Die paradoxe Stellung des Zwerchfells (Hoch- statt Tiefstand bei Inspiration,
S. 218) kann durch verschiedene Ursachen bedingt sein. Besonders deutlich ist
sie bei vermindertem Tonus des Muskels (Lähmung), weil dann der intraabdominale

Kontrolle
durch Be-

obachtung
(Röntgen-
bild)

Abb. 119. Apertura thoracis superior, von oben, a) ge-
wöhnliche Form, b) bei phthisisch-paralytischem Habitus (ans
Bluntschli, Morph. Jahrb. 1909).
 
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