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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0782

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Allgemeines über den mimischen Apparat.

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Doch ist wie beim Knochen nur das feinere Eelief der Gesichtshaut individuell
erworben. Alle gröberen Züge sind vererbt angelegt, wie durch die frappante Ähn-
lichkeit eineiiger Zwillinge bewiesen ist. Die familiären Züge können freilich später
durch Gebrauch oder Nichtgebrauch erheblich verstärkt oder abgeschwächt werden.

Aus den außerordentlich mannigfaltigen Aufgaben der Gesichtsmuskeln ^/mik und
hebt sich die psychische Tätigkeit als Ausdrucksmittel besonders hervor. Wir ihre Analyse
nennen sie deshalb mimische Muskeln. Sie sind beim Menschen am höchsten
differenziert und auch bei dem uns eigenen, höchsten Mittel der Verständigung,
dem Sprechen, beteiligt. Ihre Entfaltung ist ein unmittelbares Zeichen der
geistigen Entwicklung des Individuums. Sie enthält ganz anders wichtige
Rassenmerkmale für außerkörperliche Faktoren, als sie etwa die üblichen
anthropologischen Messungen ergeben (Lang-, Rundschädel u. dgl.); doch ist
davon für die wirkliche Gliederung der uns zunächst stehenden Rassen noch
kaum Gebrauch gemacht worden.

Es handelt sich für uns darum, die einzelnen Muskeln kennen zu lernen
und ihre mechanische Bedeutung für die bewegten Teile des Antlitzes (Haut,
Faszien. Knorpel) festzustellen. Als sekundäre mechanische Mittel für die
Form des Gesichtes in Ruhe und Bewegung kommen die Dicke der Haut, ge-
wisse Bindegewebsstrukturen und Fettpolster in Betracht, welche wie bei den
übrigen Bewegungsapparaten dazu dienen, den Bewegungen standzuhalten
oder auszuweichen. Widerstand zu leisten oder Platz zu schaffen. Um fest-
zustellen, wie der Muskel auf das Gesicht wirkt, genügt es nicht, Lage, Ursprung
und Ansatz bei der Leiche zu kennen, sondern am Lebenden muß ermittelt
werden, was der Muskel tatsächlich leistet. Die Muskeln können einzeln mit
der Elektrode bei schwachen Strömen gereizt werden (Duchenne sehe Methode);
doch muß die Haut der Versuchsperson genügend unempfindlich sein, damit
nicht schmerzhafte Grimassen ausgelöst werden, welche das reine Bewegungs-
bild des betreffenden Muskels überdecken und stören. Das Individuum setzt
selbst die Muskeln durch die Innervation in Tätigkeit und wählt dadurch unter
den mechanischen Mitteln, welche ihm in seinen Antlitzmuskeln potentiell
zur Verfügung stehen, frei aus. Sind schon die mimischen Muskeln an sich
individuell außerordentlich wechselnd ausgebildet, so ist noch variabler der
Gebrauch, welchen das Gehirn mittels der Nerven von ihnen macht. Das
grinsende Lachen des Negers und das Europäerlachen sind grundverschieden:
aber die Muskulaturen weichen nicht dementsprechend voneinander ab, so
daß der Unterschied auf Verschiedenheiten der Innervationsschemata der ver-
schiedenen Völker beruhen muß. Ähnliches gilt für die zahlreichen Asymmetrien
beider Gesichtshälften, welche die Ausdrucksbewegungen der linken Seite viel
ärmlicher als rechts ausstatten; Asymmetrien der Muskeln selbst sind zwar
vorhanden, aber nicht annähernd so groß. Leider fehlen zur Zeit Beobach-
tungen des gleichen Muskelapparates im Leben und im Tode, weil zu viele
soziale und kulturelle Hindernisse im Wege stehen. Nimmt man alles zusammen.
Avas außer an der Leiche in dem Wechsel der verschiedensten Gesichter Lebender
zu beobachten ist und namentlich was bei den als ,,menschliche Automaten"
bezeichneten Geisteskranken für bestimmte Ausdrucksformen dauernd fixiert
vorliegt, so ist es doch möglich, eine genaue biologische Vorstellung von den
einzelnen Gesichtsmuskeln und ihrer Bedeutung als Mittel für das Mienen-
spiel zu erhalten. Davon wird dieses Kapitel handeln. Im allgemeinen Teil
über den Kopf im ganzen wird auf die viel problematischere Frage zurückzu-
kommen sein, warum gerade diese oder jene Muskeln für eine bestimmte Axis-
drucksform (Lachen, Weinen usw.) herangezogen werden; dort wird erst die
Frage nach den Ursachen der Mimik zu stellen sein.

WTir teilen die mimischen Muskeln ein nach den Beziehungen zu den Off- Einteilung

. (Igt miitu -

nungen, die sie umrahmen. Die Muskeln der Mundspalte und Nasenöffnung sehen

Muskeln

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