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Die Gartenkunst — 15.1913

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Nr. 11
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Rothe, Richard: Felsengartenbetrachtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28103#0171

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XV, 11

DIE GARTENKUNST.

163

Mount Desert mit ihrer einzig-arti-
gen Berg- und Felsformation for-
derte ihrer ganzen Natur nach un-
widerstehlich zum Handeln heraus.

Sie verkörperte in ihrer Landschaft
und charakteristischen Vegetation
sozusagen ein aufgeschlagenes Lehr-
buch, überreich an Anregungen und
Winken. Nicht die erhabene Maje-
stät des Hochgebirges der Alpen,
nicht die diese noch übertreffende
Großartigkeit und unbesiegte Wild-
heit unserer nordwestlichen Rocky
Mountains, sondern auf Schritt und
Tritt Kleinarbeit der Natur, Minia-
turen, wie wir sie brauchen, Bilder,
wie sie uns zumeist nur in der Phan-
tasie vorschweben, nicht selten di-
rekt vor unserer Haustüre.

Ich füge deren einige als Illu-
strationen bei, die jedenfalls unmit-
telbarer und anschaulicher sprechen
als eine Beschreibung es vermag.

Trotz alledem, als ich zur Ausfüh-
rung meines kleinen Mustergärtchens schritt, fand ich
mich in die Notwendigkeit versetzt, auf ebenem Kul-
turlande zu bauen, inmitten einer Umgebung, die an
Nüchternheit kaum überboten werden konnte. Wie
leicht und schnell läßt sich doch mit dieser Nüchtern-
heit aufräumen, wenn man beginnt, dem Werke einen
abschließenden natürlichen Rahmen zu geben. Wenn
man es sozusagen einbettet in das dunkle Gebirgsgrün
der Tannen, der nordischen Tsuga
canadensis, Thuya occidentalis und
Zwergkiefern, deren kühlen Ernst
und Starrheit einige Hängebirken
mit leichten Blattwerk an langen,
beweglichen Zweigen mildern. Wenn
man beerentragendes einheimisches
Gestrüpp und Pflanzungen wilder
Rosen hineinleitet ins Steinwerk.

Unstreitig hat das Planen und die
Ausführung eines modernen archi-
tektonischen Hausgartens seinen
Reiz, doch ungleich interessanter und
reizender ist der Bau eines Felsen-
gartens nach freier Eingebung, vom
rein künstlerischen Moment gar nicht
zu reden. Wer sich bisher einmal
einer Aufgabe unabhängig widmen
konnte, wird mit mir übereinstim-
men, daß in der heutigen Gartenge-
staltung das Sondergebiet des Stein-
gärtchens durch seine verschieden-
artigen reichen Möglichkeiten für in-
dividuelle Auffassung und Durch-
führung einzig dasteht. Ich ver-
säume dabei für gewöhnlich keine

Natürliche Felswände auf Mount Desert.

Gelegenheit meinen Auftraggeber zu ermuntern, tätigen
Anteil an der Arbeit zu nehmen und ihm die Lust am
Gestalten beizubringen. Aus solcher Mitarbeit erwächst
für ihn bleibende, opferwillige Freude an einer derarti-
gen Schöpfung, sowie Initative für Erweiterungen und
Verbesserungen derselben. Diesem Verhältnis verdan-
ken wir jenen Kundenkreis, der gelegentlich immer
wieder unseren fachlichen Rat und Beistand sucht und

Teilansicht einer Steingartenanlage kurz vor der Bepflanzung mit alpinen Blumen.
 
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