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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Floerke, Gustav: Meine lebendige Grammatik, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0086

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von Gustav Floerke

und fest bleiben, — was verdien' ich sonst? Welcher
Maler oder gar Bildhauer kann ein Mädchen brauchen,
wenn es verliebt ist, oder gar eine Frau, die Sorgen
und Kinder hat! Nein, Signori, — Ihr wißt recht gut:
das verdirbt den Körper, unfern ganzen Stolz und das
einzige Kapital. Damit muß ich warten, bis einmal
der Priester sein Wort mitspricht, bis man alt genug
ist, um an die Vergangenheit zu denken und daran, daß
es Zeit wird, ruhig zu sein, — oder auch nicht, was
meinst du, Tomenechino? . . . Denk' an die Cannettella
da oben, Rums, die dritte Büste meine ich, Herr, von
der wir vorhin sprachen, — brrr — armes Huhn! . . .
Tomenico, nach Mittag hol' ich mir die Handschuhe.
Auf die zehn Lire wirst du wohl vierzehn Tage warten
müssen" — (Domenico nickte zustimmend). „Ich em-
pfehle mich den Herren!"

Sie machte einen tiefen Hofknix und verschwand
trällernd in der Thür.

In den nächsten Tagen schon kam sie zu mir in's
Atelier. Ich hatte sie auf den Toledo und ins Teatro
San Carlo geführt, und sie war außer sich vor Stolz
und Dankbarkeit. Mit Ende des Karnevals hatte sie
genug getobt und ihr und mein Geld ausgegeben. Sie
wollte wieder sitzen und plaudern.

So kam sie allmählich häufiger un.d in letzter Zeit
alle Tage zu mir; ich studierte nach ihrem prächtigen
Kopf, nach ihren musikalischen Bewegungen, so ,^.11sKro
oori brio' auch ihr Tempo war, vor allem aber war
sie wirklich meine lebendige Grammatik geworden für
ihren Neapolitaner Dialekt, mit dem diese übermütigen
Lippen mich völlig aussöhnten. Auch die Anfänge einer
kleinen Liebschaft sind hier im Süden so schwer nicht.. .
Und nun gar im Atelier!

Domenico that anfangs eifersüchtig. „Sie kannte
ihre Neapolitaner", sagte ich lachend. „So", meinte er,
„und du? Wirst du sie heiraten? Sie könnte sich's
vorgenommen haben."

„Es ist zu heiß, um an so ernsthafte Dinge nur
zu denken", antwortete ich lachend. „Sie ist sehr hübsch,
voll Temperament und von merkwürdiger Energie, trotz
dieses Temperaments, aber um diesen Preis denn doch
zu theuer", dachte ich bei mir, unterschied mich also in
letzter Linie durchaus nicht von ,diesen Neapolitanern'.
— Wahrscheinlich aber bildete ich mir ein, daß mein
täglicher Gast mir zu Liebe schließlich doch eine Aus-
nahme machen werde. „Denn", dachte ich ruhig weiter,
„wenn sie sich doch vorgenommen haben sollte, mich ge-
legentlich ernsthaft im Sturm zu nehmen und an Don
Antonios Stelle zu setzen, — könnte auch das nicht
immer noch mit einer Niederlage und längerer Gefangen-
schaft für die Angreiferin enden?" Dazu müßtest du
reicher und berechnender sein, sagte Domenico. Ich aber
^war 25 Jahre alt und lachte. —

So war es gekommen, daß die Barbarella jetzt bei

mir da drüben im Fenster lehnte und sang.

* *

*

„U'snno v liiniso pssssno
Uisnorns s tutts U'ors . . ."

sang die Barbarella am Fenster, — und ich dachte:
„Wenn die Mädchen singen, wollen sie heiraten", wäh-

ez

rend ich versuchte, den Pilgermarsch aus dem „Tann-
häuser" gegen das Cikadengezwitscher im Garten auf-
zupfeifen. —

„Eh, Katzenauge!" sagte Barbarella, die Hand rück-
wärts nach mir ausstreckend, „kommt her! Was liegt
Ihr da am Boden und pfeift wie eine Carrettiere! O,
und nehmt die Blume fort hinterm Ohr — pfui! —
das thun die Bauern."

Sie schlug mich auf die Finger, als ich ihr meine
Nelke auf dieselbe Weise befestigen wollte. Natürlich
ließ ich mir das nicht ohne weiters gefallen, und die
Folge war, daß wir vom Fenster zurücktraten und die
Barbarella gleich darauf siegreich vor dem Spiegel stand,
um ihre ^rioei^ — die Stirnlocken — wieder in Ord-
nung zu bringen.

„Ihr meint, daß die Hitze meinen Widerstand schmilzt
und nur meine Natur übrig läßt" — sagte sie ruhig.
„O, Ihr seid gut, schöner Herr!"

Küsse hatte ich schon viele von ihr gekriegt, warum
nicht? Aber so war es noch jedesmal geendet, wenn
ich mir welche hatte nehmen wollen.

Inzwischen trat ich wieder an das Fenster und
stieß die Schutzläden auf. Tie Tageszeit war vorüber,
wo man hier die Natur nur durch die Gitterstäbe seiner
Persiennes ansieht, wo die Sonne allein ist auf den
bleichen Straßen, wo der Mensch sich versteckt, wie im
Paradiese, als der Herr rief: „Adam, wo bist du?"

Ich stieß die Läden auf. Blendende Helle drang
herein aus dem gewaltigen Lichtkreis; in der Stadt
unter uns war, wie gewöhnlich, irgendwo Feuerwerk, ob-
gleich es noch lange Heller Tag blieb, Papicrballons
stiegen zu uns herauf und vorüber, fernes Händeklatschen
und Stimmengejubel flatterte uns entgegen, ein bleicher
Feuerschein unter der Rauchwolke des Vesuv spielte mit.

Unter uns in dem Schatten der engen tiefen Gasse
erklang eine weiche Tenorstimme. Ich sah hinab. Drunten
stand und ging, den Hut in der Hand, den Kopf im
Nacken, die Augen an den hohen Häusern von Fenster
zu Fenster schweifen lassend, ein verwahrloster Mensch.
Eine gelbe fiebrige Frau sammelte, was etwa an Kupfer-
münzen auf das Pflaster fiel. Es klang merkwürdig
musikalisch, was er sang, während er, ohne hinzuschen,
mit der freien Hand ein Kind neu wickelte; — es war
das alte Lied, welches man für die Fremden singt:

„O ckotes dlspoti" —

und er küßte das Kind, —

„0 snot best»

Ovs sorricksrv" —

und grüßte zu einem Fenster hinauf, von wo ein Bajocc
aufs Pflaster fiel: „Orams tunte!- — und sang weiter:

„Volts il erosto.

Rn ssi t'impsro
Ost!' srinonis,

8snts Uneis!"

Mit einem Blick umspannte ich die ganze blau-
schimmernde Herrlichkeit, von der der Elende drunten im
Schatten sang. Im Bogen unter mir schwang sich Neapel
von Santa Lucia bis Castellamare . . .

„Barbarella", rief ich hinter mich, „komm her; cs
atmet sich leichter im Fenster gegen das Meer hinaus."

(Die Fortsetzung im nächsten Hefte.)
 
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