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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Ein kunstgeschichtlicher Brief von Sulpiz Boisserée
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0212

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Lin kunstgeschicktlicher Brief von Sulpiz Boifseree

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scheint eine sehr leidende Brust zu haben, dabei arbeitet er über die Maßen, wie jemand, der fürchtet, nicht
fertig zu werden, und wenn er heute aufgeregt und geistreich ist, so sieht man ihn bald wieder versunken,
abgemattet und schwermütig. Die Ärzte glauben, daß er durch sorgfältiges Leben sich erhalten, durch Ver-
nachlässigung aber auch sein Ende beschleunigen könne, unterdessen will er auf gar nichts hören, was seine
Gesundheit betrifft."

Aus den Briefen Boisserses wissen wir auch, daß Kaulbach in Gedanken anhaltend mit seinem Bilde,
der Zerstörung Jerusalems, beschäftigt war. Er versicherte eines Tages der Frau Mathilde Boisserse, die
während ihres Aufenthaltes in Rom sehr mager geworden war, sie könne ihm in der Gruppe der verhungerten
Frauen Modell sitzen. Auch fand er, daß sie auffallend dem fast geisterhaften Bilde der „Laura" in der
Leuchtenbergischen Galerie gleiche. Im Frühjahr des nächsten Jahres trennten sich die Freunde, um erst nach
mehreren Jahren wieder zusammenzutreffen.

Seit 1845 hatte sich Sulpiz Boisserse mit seinem Bruder in Bonn niedergelassen, um in der Nähe
des Kölner Dombaues zu sein. Und auch von da aus blieb man in freundschaftlichem Verkehr mit einander.
Als Kaulbach im Sommer 1846 eine vierwöcheutliche Kur in Ems an der Lahn gebrauchte, empfahl ihm
eines Tages Boisserse von Bonn aus den jetzigen Herzog von Meiningen. Er schrieb:

„Bonn, 27. Juni 1846. Lieber Freund! Diese Zeilen überbringt Ihnen der Erbprinz Georg von
Sachsen-Meiningen, welcher hier studiert und mit seinem Begleiter Hauptmann Baron von Reitzenstein
einen kurzen Besuch für morgen in Ems macht. Der Prinz ist Kunstfreund und ein großer Verehrer von
Ihnen. Ihre Hunnenschlacht hängt hier über seinem Arbeitstisch. Durch Lindenschmidt ist er selbst zum
Zeichnen und Komponieren gekommen, wobei er viel Talent zeigt. Der junge Herr wünscht gar sehr Ihre
Bekanntschaft zu machen. Sie werden an ihm den aufrichtigsten, liebenswürdigsten, auspruchlosesten Manu
finden, den man in jedem Stande gleich lieb gewinnen würde.

Der Prinz und Herr Reitzenstein werden Ihnen von uns erzählen, und sagen, wie sehr es uns freuen
würde, Sie hier zu sehen. Die besten Wünsche von uns allen, möge Ihnen die Kür recht gut bekommen und

mögen Sie uns bald besuchen! Ihr ganz ergebener Freund Sulpiz Boisserse."

Kaulbach besuchte denn auch kurz nachher, als er zu seiner eigenen Familie nach Mülheim an der

Ruhr reiste, Boisserses in Bonn, fand aber leider Melchior durch einen Schlaganfall gelähmt.

Nach dieser etwas umfangreichen Einleitung, die zur Erläuterung der Verhältnisse Boisserses zu
Kaulbach wünschenswert schien, soll endlich der im Titel angekündigte Brief Boisserses mitgeteilt werden, der
jedenfalls besonders bemerkenswert ist für die ernste, vollbewußte Auffassung seines Verfassers und dem Em-
pfänger neben vielem Bekannten eine reiche Stoffülle zum Nachdenken bot. Das bisher unveröffentlichte
Schriftstück erklärt sich selbst ohne weitere Bemerkungen. Es wurde, wie wir annehmen können, auf eine
ausdrückliche Bitte Kaulbachs gelegentlich seines Bonner Besuches hin abgefaßt und trügt die Überschrift:
„Flüchtige Andeutungen über die Entwicklung der deutschen Kunst im 19. Jahrhundert für
W. von Kaulbach."

Die Wurzeln zu der neuen Entwicklung der deutschen Kunst im 19. Jahrhundert liegen in dem vorher-
gehenden und finden sich vorzüglich im nördlichen Deutschland. Von Dresden gingen Winkelmann und
Mengs aus, der Vater des letzteren war Hofmaler.

Wichtigkeit bedeutender öffentlichen Kunstsammlungen für die Erhaltung und Wiederbelebung des
Kunstsinns. Ohne die Antiken-Sammlung, welche August II. von Sachsen 1725 und die Gemälde-Sammlung,
welche August III. 1745—54 in Dresden anlegte, würde der Genius von Winkelmann und andrer aus-
gezeichneter Männer, welche großen Einfluß auf die Kunst in Deutschland übten, wohl nicht geweckt worden
sein. Die Düsseldorfer Galerie wirkte auch, indessen bei weitem nicht in dem Maße wie die Dresdner
Sammlungen.

Die Kunstsammlungen wirkten aber noch mehr auf die Schriftsteller, als auf die Künstler selbst. Über-
haupt bahnten in Deutschland die Schriftsteller vor allen und am meisten der Kunst den Weg. Sie brachten
bei den Fürsten und sämtlichen Ständen unsrer gebildeten Welt nach und nach die Antike, Raffael und die
andern edelsten italienischen Künstler, sowie die altdeutschen zu gebührender Anerkennung.

Winkelmann, Geschichte der Kunst, 1764; Lessing, Laokoon, 1765; G. Förster, Ansichten vom Nieder-
rhein, 1791—94; Goethe, Propyläen, 1798—1800; Wackenroder (gest. 1798 als junger Mann), Herzens-
ergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders und sein Anteil an den Phantasien über die Kunst, heraus-
gegeben von L. Tieck, 1799; L. Tieck, Sternbalds Wanderungen, 1798; Friedrich Schlegel, Europa, 1803—1805.
Die Schriften von Wackenroder, Tieck und Schlegel brachten eine außerordentliche, ja unglaubliche Wirkung
hervor; sie trafen mit der neuen Richtung zusammen, welche unsre Litteratur zur bessern Würdigung der
Geschichte und Poesie und der gesamten Bildung des Mittelalters und namentlich auch unsrer vaterländischen
Geschichts- und Sprachdenkmale nahm. — Shakespeare, Dante, Tasso, Ariosto, Calderon wurden übersetzt und
bewundert; die deutschen Minnesänger und Heldendichter, das Nibelungenlied u. s. w. wurden zugänglich ge-
 
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