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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Vincenti, Carl Ferdinand von: Die Jahresausstellung 1892 im Wiener Künstlerhause
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0290

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von Larl v. Vincenti 227

dessen hohe kupferschiiiimernde Kuppel bereits nach dem Kohlmarkt grüßt. Tautenhayns im Staatsanftrag
geschaffenes figurenreiches Bronzerelief „Geburt der Aphrodite", ein Meisterguß nach verlorenem Wachsmodell
der kaiserlichen Erzgießerei, ist in Komposition wie Detailausführung ein vornehmes Werk. Unter den Statuen
fällt der Terracotta-Entwurf Kauffungens für einen der Rampe des Parlamentspalastes zugedachten Thuky-
dides durch sicheren Stil auf; unter den Jdealgruppen möchten wir Waderes (München) „Chloä" und Hund-
riesers (Berlin) Grabdenkmal „Friede", unter den naturalistischen Dürnbauers „Hunger" (zwei um einen Laib
Brot mit Ranbtiergrimm ringende Hungergestalten) hervorheben. Des Parisers Samt ausdrucksvolle Marmorstatue
„Der erste Fehltritt" und des Berliners Herter hübsche Gipsgruppe „Ein seltener Fisch" (der Fischer hat eine
Nixe im Netz) halten die Mitte zwischen diesen beiden Richtungen. Eine höchst gelungene Reiterstatuette (in
Wachs) ist jene des Erzherzogs Albrecht von Alois Düll; Tilgner (Prinz Liechtenstein), Hellmer (Ibsen),
Schott (Kaiser WilhelmII.), Kassin (Ministerpräsidentin Gräfin Taaffe), Schörk (Adolf Werlhner) müssen als
Bildnisplastiker in erster Linie genannt werden, während mehrere andre Bildner sich erfolgreich mit Schau-
spielerbüsten befaßt haben; von Pendl sind wieder treffliche Arbeiten in Silber, Elfenbein und Holz vorhanden,
Rathausky und Schwartz erfreuen uns durch reizende Bronzen und MeisterKlo tz durch treffliche polychromierte
Holzplastik (Haspinger). Der Kenner wird endlich anRotys (Paris) gegossenen und geschlagenen Medaillen nicht
gleichgültig vorübergehen. — Die Hintergrundwand des Säulenhofes nimmt Jul. v. Payers, im kaiserlichen Auf-
träge für das Hosmuseum gemaltes großes Nordpolarbild „Nie zurück!" ein. Mit ihm werden wir sofort unsre Bilder-
schau antreten. Vorher jedoch einige Bemerkungen über Eindrücke, die uns so beim Durchschlendern angeflogen.
Den eigentlichen Ausschlag gibt das Ausland, Wien beherrscht in Bildnis und Landschaft das Feld, im heute so
mächtig sich entwickelnden Sittenbilde jedoch bleibt es zurück. Antike und Sinnbild sind auf dem Aussterbe-
etat, die Neigung zum Geschichtsbild modernisiert sich, aber — Ferdinand Kellers „Kaiser Friedrich" in
allen Ehren und ein älteres Bild Arthur Kampfs aus den Befreiungstagen in Respekt — mit dem deutschen
Nationalbild ists immer noch kümmerlich bestellt. Unglücksfälle sind uns erspart geblieben, ein toter Wilderer,
eine Mädchenleiche auf dem Sezirtisch und eine geköpfte Märtyrerin zählen wenig im Vergleich zu den halb-
vergangenen Schauerlichkeiten der Sensationsmalerei; zugleich ist ein erfreulicher Rückgang der bewußten Häß-
lichkeitskunst zu verzeichnen. Nudidäten keine! Bravo! Aber auch das künstlerisch veredelte Nackte, eine der
begnadeten Herrlichkeiten der Knust, will verschwinden, wir möchten sagen „leider" und wissen unserm in Paris
lebenden Landsmanne Adolf Weiß Dank für sein von so keuscher Anmut überschimmertes nacktes Mädchen,
das sich als „Jugend" legitimiert. An Kuriositäten fehlts nicht, aber mit dem Experiment werden die Maler
sparsamer. Witzig sind sie bisweilen immer noch, aber der Humor!! Da fragt mich nicht! Und jetzt zu
Payers ergreifendem Bilde, das unter allen Umständen eine national-österreichische Kunstthat bedeutet. —
Canon sollte ursprünglich das Nordpolbild für das Museum malen. Wenn wir es nicht bedauern, daß in
den achtzehn Jahren seit der Heimkehr der österreichischen Nordpolexpedition, deren Führer Payer und Weyprecht
gewesen, der Erstgenannte zum Maler geworden und nunmehr selbst diese machtvolle Aufgabe gelöst, so ist
dies wohl die beste Kritik des Werkes. Man kennt den Entwickelungsgang Payers, seine Lernzeit bei Alexander
Wagner in München, seine Pariser Zeit, aus welcher das erste Expeditionsbild, die „Bai des Todes" und der
„Franklin-Cyklus" hervorgingen; dann ward der Begeisterte, Rastlose mit dem Verlust des linken Auges heim-
gesucht . . . schon die Darstellungen im Wiener naturhistorischen Museum hat Payer mit einem Auge gemalt.
Das Kolossalbild, das wir heute vor uns haben, das Werk eines „Einäugigen", entstand in Wien in jenem
kleinen Makart-Atelier, wo einst Lenbach arbeitete. Mit Wehmut gedenken wir jener blühenden Tage! Es ist
klare, kalte, totstille Polar-Mondnacht. Ein Teil der Nordpolfahrer unter Weyprecht ist auf dem Lagerplatze
zu einer schmerzlichen Gruppe vereinigt. Sie haben den „Tegetthoff" verlassen, um nach Europa zu gelangen;
zwei Monate sind sie unterwegs, aber erst zwei Meilen haben sie zurückgelegt. Verzweiflung übermannt die
Erschöpften. Rückkehr nach dem Schiffe scheint ihnen die einzige, wenn auch hoffnungslose Zuflucht. Während
die andre Hälfte der Mannschaft unter Payer, welche auf dem Bilde nicht erscheint, im Anmarsche begriffen
ist, richtet Weyprecht, nachdem er — es ist Sonntag — aus der Bibel vorgelesen, die Verzweifelnden auf und
dringt in sie, ihre Rettung mannhaft nach vorwärts zu suchen. „Nie zurück!" Dies ist der schlichtes, herz-
ergreifende Vorgang. Schlicht, hat ihn Payer dargestellt und uns damit ans Herz gegriffen. Der stille Helden-
mut dieser Männer inmitten der unermeßlichen Polarverlassenheit erschüttert unsre Seele. Wir sehen ein großes
Beispiel und richten uns daran empor. Das Bild ist somit als solches beredt, aber auch als Kunstwerk sagt
es uns viel. Die Gruppe ist lebensvoll komponiert, jeder Kopf bildnistreu nach dem Leben, der verstorbene
Weyprecht nach Tilgners Büste. Zeichnerisch wie koloristisch haben wir einen unverkennbaren Fortschritt seit
dem ersten Polarbild Payers vor uns. Alles wirkt freier, unmittelbarer, die Lichtführung überzeugt. An
sonnigen Tagen hat übrigens das Bild erst nach drei Uhr nachmittags die richtige Beleuchtung. Der Kaiser
sprach sich mit bewegten Worten über das Werk aus.

Was sonst an Profanhistorie vorhanden, ist diesen Blättern kaum neu. Wir haben zwei Apotheosen
des Schmerzenskaisers Friedrich von Ferdinand Keller und von Werner Schuch; des letzteren offizielle

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